Und mit dem Dokumentar-Film, den wir heute Abend gesehen haben, mache ich es mir auch einfach, indem ich einfach behaupte, der steirische Regisseur und Produzent Alfred Ninaus mache aus Kohr eine Art zweiten Erzherzog Johann und habe im jetzt soeben gesehenen Kohrfilm aus dem Jahr 2011 genauso wie bei seinem tatsächlichen Erzherzog-Johann-Film aus dem Jahr 2009 vieles Wichtiges weggelassen, gleichsam weil als ob es nicht ins öffentlichkeitswirksame Tourismuskonzept passe: im Falle des steirischen Erzherzogs das ohnehin gern verschwiegene Faktum, dass dieser im Auftrag des Kaisers in der 1848-Revolution als Reichsverweser das Vertrauen der Demokraten in ihn bedenkenlos missbraucht und sämtliche Abmachungen mit ihnen gebrochen und die Bürgerkriege dadurch zum Eskalieren gebracht hat. Der Kunstschaffende Alfred Ninaus jedenfalls lässt in seinen Kunst-beziehungsweise Dokumentarwerken, sei es aus Gründen der Kunst, sei es aus Gründen der Tourismuswerbung, vieles weg, beim Erzherzog wie auch bei Kohr. Das eben, was nicht passt.
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Mit Kohr habe ich persönlich mich zum ersten Mal beschäftigt infolge der Nationalratswahl 1999 sowie infolge des Schüssel-Haider-Paktes, der die ÖVP zur Kanzlerpartei machte und dem Neoliberalismus in Österreich Tür und Tor weit öffnete.
2002, nach vieljähriger Vorbereitungsarbeit unter anderem seitens des Arztes Werner Vogt, des Ökonomen Stephan Schulmeister und der Frauenrechtlerin Ministerin außer Dienst Johanna Dohnal, kam es allen vorangegangenen jahrelangen Widerständen sämtlicher Parteien zum Trotze zum Volksbegehren Sozialstaat Österreich .
In einer Informationsveranstaltung dazu hat damals ein aus Fairnessgründen eingeladener ÖVPler namens Lopatka (das ist bekanntlich derjenige Steirer, der sämtliche Schüsselwahlkämpfe gemanagt hat und zurzeit gewissermaßen von und bei Frank Stronach Nationalratsabgeordnete für den ÖVP-Klub, wie man so sagt, einkauft und damit sukzessive einen fliegenden wahllosen Wechsel zu einer ÖVP-FPÖ-Regierung ermöglicht) – besagter Lopatka sagte im Winter 2001/2002 in einer Diskussion in Graz-Mariatrost: In Österreich habe noch kein Volksbegehren jemals etwas bewirkt, das Sozialstaatsvolksbegehren sei also ein sinnloses Unterfangen. Die angestrebte Sozialstaatsklausel in der Verfassung sei ohnehin bloß eine Leerformel und Worthülse, die in der Realität unanwendbar, nutzlos und totes Recht wäre. Denn auch bei uns hier in Österreich werde die Politik von den USA aus bestimmt. Wirklich wahr, Lopatka redete so. Wie auch später immer ungestraft.
In einer bald darauf folgenden Bewerbungsveranstaltung für das Sozialstaatsvolksbegehren habe ich daher, die demoralisieren wollenden Worte des schwarzen Reinhold Lopatka über die Nutzlosigkeit von Sozialstaatsverträglichkeitsprüfungen in meinen Ohren, dem Publikum, zirka 150 bis 200 Leuten in einem Jazzlokal in der Grazer Innenstadt, von Leopold Kohr erzählt. Man hatte, quer durch die anwesenden Parteien und Alternativgruppierungen, von Kohr nichts mehr gewusst oder nie etwas gehört gehabt von Kohr und war sodann aber angetan von ihm. Dies auch deshalb, weil der europaweit zum Gegenfeuer gegen den weltweiten Neoliberalismus aufrufende weltbekannte Soziologe Pierre Bourdieu durchaus kohrartig von Gärtnerphantasie geschrieben hat und ebenfalls durchaus kohrhartig davon, dass die Politiker damit aufhören müssten, in der Logik der Global-Regel und des Global-Reglements zu denken, sonst läuft die beste Absicht der Welt Gefahr, den verfolgten Zielen strikt entgegengesetzte Resultate zu zeitigen. All das würde viel Klugheit, Bescheidenheit, Realitätskenntnis, Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge und für die kleinen Leute voraussetzen. Eine wahre Revolution wäre das! Eine wahre Revolution wäre das!
Protect the local globally, Schützt überall auf der Welt das Lokale , so, mit dieser Losung der Lebensdemokratiebewegung und mittels Pierre Bourdieu wurde Kohrs Small is beautiful damals an besagtem Abend im Jazzlokal vom Publikum und von meiner tatsächlichen Wenigkeit übersetzt – sozusagen ins Volksbegehren Sozialstaat Österreich .
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Ich bin von den geschätzten Gastgebern des heutigen Abends, wenn ich richtig verstanden habe, auch dazu angehalten, hier in unsrer aller ruhigen Herberge sehr wohl auch Kritisches zu Leopold Kohr von mir zu geben, damit es in der Diskussion lebhaft zu- und rundgeht. Nun:
Kohr sagte von sich, er habe immer versucht, niemanden zu verletzen. Die Folge davon sei gewesen, dass man ihm zugehört habe. Niemanden verletzen zu wollen, damit man überhaupt miteinander reden kann, erklärt vielleicht viele der scheinbaren oder tatsächlichen Widersprüche bei Kohr, der aber offensichtlich wirklich versucht hat, persönliche Freundschaften trotz ideologischer Feindschaft zu knüpfen, zu pflegen und aufrechtzuerhalten. Freilich hat Kohrs permanente Konzilianz und haben seine vielen verschiedensten Freundschaften dem Fluchtmenschen Kohr in der Emigration gewiss und verständlicherweise beim Überleben und Weiterkommen geholfen. Freundschaft war wie gesagt sein Lebens- und Überlebensprinzip.
Was jedoch an Kohr vielleicht als Widersprüchlichkeit tatsächlich irritiert, ist zum Beispiel, dass er von sich sagte, er sei ein Pessimist, zu nichts fähig, nur ein Redner und Schwätzer und alles andere als ein Praktiker und dass die Dinge, auch die, die er vorschlage, aufgrund der Beschaffenheit der Welt und der Menschen nicht gut ausgehen werden. Das wie gesagt irritiert vermutlich. Allerdings kann man es, will mir scheinen, als Provokation und Ironie auffassen. So wie Kohr eben als Ganzen als Provokateur und Ironiker. Ironie bedeutet bekanntlich, dass man das Gegenteil von dem sagt, was man meint. Und eine Provokation kann darin bestehen, dass man das Gegenteil von dem bezweckt, was man sagt.
Was meines Erachtens aber dennoch wehtut an Leopold Kohr, sind Wortmeldungen wie in etwa, dass nichts im Leben wirklich tragisch sei und dass er ja selber schlimmste Armut und schindendeste Arbeit erlebt habe, dabei aber glücklich gewesen sei und geborgen. Solche Kohrschen Sichtweisen vom menschlichen Leben und Leiden wollen, scheint es, nichts davon wissen, was Menschen täglich an Elend und Qual aushalten müssen und wie ihnen die Existenz zerstört wird. Für Kohr selber war freilich wie gesagt sein Lachen seine Überlebenshilfe. Ich persönlich weiß aber nun einmal nicht, ob dieses Kohrsche Lachen mitunter auch grausam und dumm gewesen ist. Ich weiß das einfach nicht. Es steht nicht in Kohrs Büchern.
Um zu helfen, dass Menschen aus dem Elend herauskommen, müssten die die Entscheidungen treffenden Politiker selber in Dreck und Elend gelebt und es überlebt haben. Nur solche Politiker können wirklich helfen, meinte er, wie gesagt. Kohr selber jedenfalls hat immer wieder viel Hilfe erfahren in seinem Leben. Von kleinen, armen Leuten, einer Bäckerfamilie zum Beispiel, und aber auch von vielen Leuten mit großen Namen und viel Geld. Er hat viel Glück gehabt. Otto Habsburg zum Beispiel hat ihm viel geholfen. Habsburg war seines Zeichens aber gewiss kein Politiker, der aus dem Elend und Dreck gekommen ist. Und Kohr konnte, trotz Small ist beautiful , gerade auch dem Ländergebilde der Donaumonarchie viel abgewinnen. Auch ist Kohr Bundespräsident Kurt Waldheim durch dick und dünn beigestanden, möglicherweise aufgrund einer alten Freundschaft Kohrs mit einem ehemaligen österreichischen Außenminister und Freund Waldheims. Und Kohr hat auch einmal absurderweise, aus welchen österreichfreundlichen Gründen auch immer, geäußert, dass in Österreich der Antifaschismus der Widerstandsgruppen über kurz oder lang selber und allein mit Hitler fertiggeworden wäre. Und Kohr hat den völkerrechtlichen Begriff des Genozids juristisch nicht zu verstehen vermocht. Und Kohr hatte als junger Mensch freundschaftliche Verbindungen zur Familie des SA-Führers Röhm. Das alles mag mehr oder weniger Zufall sein und nicht viel zu bedeuten haben, es stößt linke Linke aber sicherlich ab. Wirkt auf linke Linke zumindest erschreckend und unheimlich und vielleicht gar als entlarvend. Andererseits hat gerade Kreisky (heutzutage sicherlich für die meisten heutigen Linken ein linker Linker) zum Zwecke seiner Regierungsübernahme und hat sowieso die SPÖ von Kriegsende an Nazieliten ganz selbstverständlich in die Partei aufgenommen und Ex- beziehungsweise Immer-noch-Nazis in staatliche, ökonomische und gesellschaftliche Machtpositionen gehievt beziehungsweise dort gehalten und dementsprechende rotbraune Eiertänze aufgeführt.
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