Beispiele für Kasusrektion
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a. |
[des Diebstahls] Genbeschuldigen / bezichtigten / verdächtigen |
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b. |
[dem Großvater] Dathelfen |
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c. |
[die Aussage] Akkverweigern |
(18) |
a. |
während [des Urlaubs] Gen |
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b. |
mit [meinem Freund] Dat |
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c. |
ohne [meinen Freund] Akk |
(19) |
a. |
[seiner Sache] Gensicher |
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b. |
[ihrem Mann] Dattreu |
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c. |
[einen Meter] Akklang |
(20) |
a. |
[Lisas] GenMütze; [Omas] GenBrille |
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b. |
das Auto [unseres Nachbarn] Gen |
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c. |
[Timos] GenErklärung [der Situation] Gen |
Der Genitiv bereitet sowohl im Erstspracherwerb als auch im Zweitspracherwerb die meisten Schwierigkeiten – ausgenommen hiervon sind Genitivformen von Eigennamen und Verwandtschaftbezeichnungen, vgl. (20a). Es ist daher zu empfehlen, die anderen Kontexte erst auf etwas fortgeschrittenem Niveau (im Rahmen bildungssprachlicher Förderung) systematisch in Angriff zu nehmen. Zunächst sollten die Formen der anderen drei Kasus Vorrang haben. Genitivattribute wie in (20b) lassen sich ohne Bedeutungsverlust gut ersetzen durch von -Phrasen ( das Auto von unserem Nachbarn ), die den Dativ erfordern.
Für recht große Unsicherheit und Verwirrung (z.T. auch bei erwachsenen deutschen MuttersprachlerInnen) sorgen genitivregierende Präpositionen, die zunehmend (insbesondere in der gesprochenen Sprache) auch mit dem Dativ verwendet werden. Von den Kasusschwankungen betroffen sind u.a. die Präpositionen trotz , statt , fern , während , wegen , inklusive . Es lassen sich bestimmte Kontexte identifizieren (u.a. DUDEN 2016: 624 oder Duden-Online), in denen besonders häufig der Dativ gebraucht wird, z. B. wenn dem präpositionsregierten Nomen noch ein Genitivattribut folgt (21) oder wenn der Artikel fehlt (22). Als Lehrkraft kann man diese SprachwandelSprachwandelerscheinungen nicht aufhalten. Sprache verändert sich beständig – in einigen Bereichen eher zu spüren als in anderen. Auf fortgeschrittenem Sprachniveau (sowie im Fachunterricht Deutsch) lassen sich zu den Kasusschwankungen genitivregierender Präpositionen spannende, den Wandel aufspürende Unterrichtsstunden gestalten.
(21) |
trotz dem Einspruch des Pfarrers vs. trotz des Einspruchs des Pfarrers |
(22) |
trotz heftigem Regen vs. trotz heftigen Regens |
Typischerweise regieren Präpositionen nur einen Kasus. Das eben beschriebene Phänomen konkurrierender Kasus ist dem Sprachwandel geschuldet und nicht zu verwechseln mit Präpositionen, die tatsächlich zwei Kasus regieren – gemeint sind die sogenannten Wechselpräpositionen. Wir wenden uns diesem herausfordernden Lerngegenstand am Ende des Kapitels in mehr Ausführlichkeit zu.
Kommen wir, um den Überblick über Kasuszuweisungsmöglichkeiten abzuschließen, nun aber erst einmal zur Kongruenz – neben der Rektion eine weitere Art der Kasuszuweisung.
Kasuszuweisung durch KongruenzKasuszuweisung durch Kongruenz
Hierbei übernehmen Nominalphrasen in bestimmten Konstruktionen das Kasusmerkmal einer anderen NominalphraseNominalphrase. Besonders relevant für SprachanfängerInnen sind prädikative Konstruktionen, vgl. (23), bei denen eine Nominalphrase (NP) als Ergänzung eines Kopulaverbs ( sein , werden , bleiben ) fungiert. Diese NP bildet zusammen mit dem Kopulaverb den prädikativen Ausdruck und übernimmt den Kasus des Subjekts – also den Nominativ.4 Ein weiteres Kongruenzbeispiel sehen wir in den Vergleichskonstruktionen von (24).5 Da die Konstruktionen von (23) und (24) auch im Sprachvergleich recht einfach sind, bietet es sich an, sie bereits auf frühen Sprachniveaustufen gezielt einzubinden, um Nominativformen zu üben.
Beispiele für Kasuskongruenz
(23) |
a. |
[Er] Nomist [ein guter Lehrer] Nom. |
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b. |
[Sie] Nombleibt [unsere Klassenlehrerin] Nom. |
(24) |
a. |
[Er] Nomtrampelt wie [ein Elefant] Nom. |
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b. |
[Sie] Nomrennt schneller als [meine Schwester] Nom. |
Die Konjunktionen als und wie können sich auch in anderen Kontexten mit einer NominalphraseNominalphrase verbinden, die dann den Kasus der Bezugsphrase übernimmt, vgl. (25) und (26). Für ein leichteres Erkennen sind die Konjunktionalphrasen farblich hinterlegt. In den Beispielen von (25) wird das Bezugsnomen durch die Konjunktionalphrase näher charakterisiert, während in den Beispielen von (26) ein Vergleich ausgedrückt wird (DUDEN 2016: 855). Diese eher bildungssprachlichen Konstruktionen sind für Lernende deutlich anspruchsvoller als die einfachen (auf den Nominativ beschränkten) Vergleichskonstruktionen in (24) und setzen eine gewisse Sicherheit mit den Formen des Kasusparadigmas bereits voraus.
Weitere Beispiele für Kasuskongruenz
(25) |
a. |
[Er] Nomwird als [gute Führungskraft] Nomgeschätzt. |
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b. |
Man wollte [Herrn Schmidt] Akkals [kompetenten Sachverständigen] Akkgewinnen. |
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c. |
Als [guter Menschenkennerin] Datfiel [ihr] Datsein Verhalten sofort auf. |
(26) |
a. |
Wie [viele andere Viren] Nombreitet sich [das Coronavirus] Nomüber Tröpfcheninfektion aus. |
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b. |
Er begrüßte [seinen stärksten Konkurenten] Akkwie [einen guten Freund] Akk. |
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c. |
Wie [jedem anderen] Datist auch [mir] Datbewusst, dass es so nicht weiter gehen kann. |
Der Vollständigkeit halber seien zwei weitere Beispiele für Kasuskongruenz aufgeführt – relevant für Fortgeschrittene und das schriftsprachliche Register. Es handelt sich um sogenanne Appositionen – um Nominalphrasen (NP), die einer anderen NP folgen, die sie näher modifizieren und mit deren Kasus sie übereinstimmen:
(27) |
a. |
[Herr Erhard] Nom, [der neue Direktor] Nom, hielt eine kurze Rede. |
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b. |
Ich hätte [Herrn Erhard] Akk, [unseren früheren Nachbarn] Akk, fast nicht wiedererkannt. |
WechselpräpositionenWechselpräpositionen
Wechselpräpositionen gehören zur Domäne der Lokalisierungsausdrücke (oder auch Raumausdrücke), denen mit Kapitel 6 eine eigene Abhandlung gewidmet ist. An dieser Stelle interessieren daher nur die kasusrelevanten Spezifika. Während ein Teil der lokalen Präpositionen nur einen Kasus regiert (z. B. aus , von und zu → Dativ; durch und um → Akkusativ), regieren die Wechselpräpositionen, vgl. (28), zwei Kasus: Dativ und Akkusativ. Mit der Kasuswahl gehen bedeutsame Unterschiede einher: Um eine Orts- bzw. Lageveränderung auszudrücken, muss der Akkusativ gewählt werden, vgl. (29). Er kodiert das Merkmal [+direktional]. Die Ortsveränderung wird mit „wohin?“ erfragt. Beim Verbleiben an einem Ort (zu erfragen mit „wo?“) ist der Dativ zuständig, vgl. (30), und zwar unabhängig davon, ob eine Bewegung an diesem Ort stattfindet (a./b.) oder nicht (c./d.). Der Dativ kodiert das Merkmal [–direktional].
(28) |
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an, auf, hinter, in, neben, über, unter, vor, zwischen |
(29) |
a. |
Er springt auf [den Tisch] Akk . |
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b. |
Er tanzt in [den Raum] Akk . |
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c. |
Er stellt die Schuhe unter [die Bank] Akk . |
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d. |
Er hängt das Bild an [die Wand] Akk . |
(30) |
a. |
Er springt auf [dem Tisch] Dat . |
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b. |
Er tanzt in [dem Raum] Dat . |
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c. |
Die Schuhe stehen unter [der Bank] Dat . |
|
d. |
Das Bild hängt an [der Wand] Dat . |
Nehmen wir noch einmal die Lernendenperspektive ein und vergleichen die grammatische Kodierung von [+/–direktional] im Deutschen mit der im Russischen und Türkischen. Wie in Tab. 4.6 zu sehen, kodieren alle drei Sprachen die Distinktion [+/–direktional] durch Kasus. Während jedoch im Russischen und im Türkischen die Unterscheidung durch Suffixe direkt am Nomen markiert wird, steckt im Deutschen die entsprechende Information im polyfunktionalen Artikel und dieser geht dem (das Relatum bezeichnenden) Nomen voran. Pränominale (unbetonte) Informationsträger bereiten im Erwerbsprozess größere Schwierigkeiten als postnominale, weil sie der Wahrnehmung weniger zugänglich sind (vgl. u.a. Slobin 1973). Sowohl die russischen als auch die türkischen Deutschlernenden müssen sich also diesbezüglich, von einer erwerbsgünstigen Konstellation kommend, mit einer erwerbsnachteiligen Konstellation auseinandersetzen. Eine weitere Hürde stellt die Polyfunktionalität des Artikels dar, der im Deutschen neben Kasus auch noch Definitheit, Numerus und Genus verschlüsselt (siehe hierzu den Anfang des Kapitels 4.2).
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