Unter anderem ausgelöst vom frühen Tod seines Vaters, hat Jack Urwin 2014 den weltweit viel beachteten Essay »A Stiff Upper Lip Is Killing British Men« im VICE Magazine veröffentlicht, dessen Themen er hier fortführt. Von der Mob-Mentalität, wie sie bei Fußballspielen und in Fight Club zur Schau gestellt wird, bis zu unseren Großvätern, die aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrten, ohne je gelernt zu haben, über ihre Gefühle zu sprechen, untersucht Urwin, wie der Mythos der Maskulinität entstanden ist und warum er toxisch, ja tödlich ist. Warum tun wir uns trotzdem so schwer damit, diese fragwürdigen Ideale hinter uns zu lassen?
Teils Essay, teils persönliches Manifest, ist Boys don’t cry eine witzige und scharfe Auseinandersetzung mit toxischer Männlichkeit und ihren Folgen – und ein Plädoyer für einen anderen Umgang miteinander.
Jack Urwin wurde 1992 in Loughborough (UK) geboren und studierte Journalismus in London. Er arbeitete als Promoter für verschiedene große und Indie-Musiklabels, weshalb ihn Enrique Iglesias, völlig zu Unrecht, wie Urwin meint, einen »Drill-Sergeant« nannte. Er schreibt für diverse Zeitschriften, u. a. McSweeney’s und VICE , über Politik, psychische Gesundheit und Genderthemen. Urwin lebt derzeit in Toronto, Kanada.
JACK URWIN
IDENTITÄT, GEFÜHL UND MÄNNLICHKEIT
AUS DEM ENGLISCHEN VON ELVIRA WILLEMS
Die Originalausgabe des vorliegenden
Buches erschien unter dem Titel
Man Up. Surviving Modern Masculinity
bei Icon Books
© 2016 Jack Urwin
Edition Nautilus GmbH
Schützenstraße 49 a · D - 22761 Hamburg
www.edition-nautilus.de
Alle Rechte vorbehalten
© Edition Nautilus GmbH 2016
Deutsche Erstausgabe März 2017
Umschlaggestaltung:
Maja Bechert, Hamburg
www.majabechert.de
Autorenporträt Seite 2 Unter anderem ausgelöst vom frühen Tod seines Vaters, hat Jack Urwin 2014 den weltweit viel beachteten Essay »A Stiff Upper Lip Is Killing British Men« im VICE Magazine veröffentlicht, dessen Themen er hier fortführt. Von der Mob-Mentalität, wie sie bei Fußballspielen und in Fight Club zur Schau gestellt wird, bis zu unseren Großvätern, die aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrten, ohne je gelernt zu haben, über ihre Gefühle zu sprechen, untersucht Urwin, wie der Mythos der Maskulinität entstanden ist und warum er toxisch, ja tödlich ist. Warum tun wir uns trotzdem so schwer damit, diese fragwürdigen Ideale hinter uns zu lassen? Teils Essay, teils persönliches Manifest, ist Boys don’t cry eine witzige und scharfe Auseinandersetzung mit toxischer Männlichkeit und ihren Folgen – und ein Plädoyer für einen anderen Umgang miteinander. Jack Urwin wurde 1992 in Loughborough (UK) geboren und studierte Journalismus in London. Er arbeitete als Promoter für verschiedene große und Indie-Musiklabels, weshalb ihn Enrique Iglesias, völlig zu Unrecht, wie Urwin meint, einen »Drill-Sergeant« nannte. Er schreibt für diverse Zeitschriften, u. a. McSweeney’s und VICE , über Politik, psychische Gesundheit und Genderthemen. Urwin lebt derzeit in Toronto, Kanada.
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© Michael Barker
4., neu durchgesehene und
korrigierte Auflage Juni 2021
ePub ISBN 978-3-96054-043-4
Einführung
Wann ist ein Mann ein Mann?
Männerdämmerung
Boys don’t cry– Jungen weinen nicht: Kindheit, soziale Konditionierung und psychische Gesundheit
Fight Club: Aggression, Risiko und Mob-Mentalität
Mann am Boden: Männlichkeit im Militär und institutionalisierte Gewalt
Der ideale Mann: Körperbild, Konsumdenken und das oberflächliche Gesicht moderner Männlichkeit
Mann & Frau: Familien, persönliche Beziehungen und die destruktive Natur verdrängter Gefühle
Männlichkeit jenseitsvon (heterosexuellen) Männern: Die Auswirkungen auf Frauenrechts- und LGBT-Bewegung
Ausrasten: Sex, Vergewaltigungskultur und der Frust männlicher Jungfrauen
Wir müssen reden: Was wir für Veränderungen tun können
Dank
Anmerkungen
Er hat mich verarscht, da bin ich mir ganz sicher. Dreizehn Jahre lang habe ich die letzten Worte aus dem Mund meines Vaters analysiert, und ich habe nicht mehr den geringsten Zweifel, dass diese beiden Silben mit demselben finsteren Sarkasmus gesprochen wurden wie alles, was ihm je über die Lippen kam. Der Scheißkerl. Der geniale, widerliche Scheißkerl.
Richard Urwins Sinn für Humor war, wie bei den meisten Vätern, gewöhnungsbedürftig. Zuweilen offenbarten die Tiefe und Komplexität seiner Witze den Verstand eines ehemaligen Mitglieds des Hochbegabtenclubs Mensa International (nach dem ersten Jahr war er zu knauserig, um seine Mitgliedschaft zu erneuern), doch bei anderen Gelegenheiten entbehrten sie jeglichen Geistes oder Geschmacks und man fragte sich, wie Mensa bloß auf die Idee gekommen war, diesem Mann einen überdurchschnittlichen IQ zu attestieren. Mein Bruder und meine Schwester erinnern sich an einen Vorfall, bei dem unser Vater die Zeit stoppte, die die Lüftung im Badezimmer noch lief, nachdem man das Licht ausgeschaltet hatte, sie dann nach oben rief und exakt in dem Augenblick mit den Fingern schnippte, in dem die Lüftung verstummte, und erwartete, dass seine Kinder beeindruckt wären von seiner Fähigkeit, Macht über Haushaltsgeräte auszuüben – oder wenigstens davon, dass er sieben Minuten ausgeharrt hatte, um die Zeit zu stoppen, und weitere sieben Minuten, um ihnen den Streich vorzuführen. Wenn er gewusst hätte, dass er seinen zweiundfünfzigsten Geburtstag nicht mehr erleben würde, hätte er womöglich nicht vierzehn Minuten seines Lebens damit vergeudet, darauf zu warten, dass eine Lüftung ausgeht (ach, wem will ich denn hier was vormachen, natürlich hätte er das).
Zu unserem großen Entsetzen trug er regelmäßig hautenge Lycra-Radlerhosen, was kurios war, denn sein Leben lang hat ihn niemand von uns je Fahrrad fahren sehen. Ein Freund der Familie bemerkte einmal: »Ich weiß nie, wo ich hinsehen soll, wenn Richard seine Radlershorts anhat.« Wahrscheinlich ging es bei seiner Vorliebe für dieses spezielle Kleidungsstück, genau wie bei der Episode mit der Badezimmerlüftung und vielen anderen Aspekten der Persönlichkeit meines Vaters, um das, was er mehr liebte als alles andere: Leute zu verarschen. Dieser Mann hatte sich mit Leib und Seele dermaßen der Unaufrichtigkeit verschrieben, dass er, als ich ihn fragte, wie es ihm ginge, nachdem er ein paar Tage wegen Grippe nicht zur Arbeit gewesen war, aufstand und erklärte: »Besser!« Und dann ging er ins Badezimmer, um zu sterben.
Gut möglich, dass er keine Ahnung hatte, dass er ein paar Sekunden später das Bewusstsein verlieren und neben der Toilette zu Boden sinken würde. Gut möglich, dass er log, um mich zu schützen. Aber die letztendliche Erklärung – und die, die ich am ehesten glaube – ist die, dass er wusste, dass er sterben würde, und fest entschlossen war, eine letzte Pointe zu landen, zum allerletzten Mal noch einen draufzusetzen. Und das nötigt mir verdammt großen Respekt ab. Die Vorstellung, dass der letzte Gedanke meines Vaters – während seine Sicht verschwamm und sich seine Lippen blau färbten, bevor er sich der kalten Hand des Todes anheimgab – »Ha, ha, ha! Hab ich dich drangekriegt, du kleiner Scheißer!« war, hat etwas seltsam Tröstliches. Ich glaube, das würde ihm gefallen.
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