Und der Zuhälter dachte: Wie konnte ich nur auf so ein mickeriges Hühnchen reinfallen. Nein, wenn sie einen dicken Bauch hat, dann kann sie noch nicht einmal in der Bar helfen. Es ist scheußlich, dass sie mich so in der Hand hat. Aber es wird noch der Augenblick kommen, wo ich ihr alle Schlechtigkeiten heimzahlen werde.
Als sie die Kleinstadt erreicht hatten, und Elvira ihn dirigierte, saß er mit zusammengekniffenen Lippen hinter dem Lenkrad. Dann endlich standen sie vor ihrem Elternhaus, einem roten Backsteinbau mit einem überaus gepflegten Garten. Alles roch hier nach Sauberkeit und Anständigkeit.
Albert dachte: Wenn meine versoffenen Eltern hier gelebt hätten, von allen geachtet, du mein Gott, dann wäre auch etwas aus mir geworden. Die, die es haben, wollen es nicht, werfen es sogar fort, und andere, die sich ihr ganzes Leben danach verzehren, bekommen es vielleicht nie.
Elvira schaute Albert von der Seite an. Merkwürdigerweise passte er so gar nicht in diese kleine Villengegend. Jetzt kam er ihr richtig schäbig und verlebt vor, war gar nicht mehr der große Held, den sie angehimmelt hatte. Sie sah jetzt zum ersten Mal bei Tageslicht seine harten, verlebten Züge und die eiskalten Augen. An den Seiten ergrauten schon die Schläfen. Außerdem hatte er sich viel zu auffällig gekleidet.
Das junge Mädchen schämte sich entsetzlich.
»Komm«, sagte sie zaghaft.
Sie stiegen aus. Und sie erinnerte sich an den Abend, da sie hastig über diese Stufen gelaufen war, nicht mehr zurückgeschaut hatte. Als junges, unfertiges Mädchen hatte sie das Elternhaus verlassen. Inzwischen war sie innerlich um so vieles reifer geworden. Der Schmelz der Jugend war verbraucht.
Mit zittrigen Fingern klingelte sie.
»Papa«, würgte sie hervor, als sie ihn in der Tür stehen sah.
Sein Gesicht war sehr weiß und gefasst.
»Kommt herein«, sagte er mit ruhiger Stimme und trat zur Seite. Keine nette, liebevolle Begrüßung wie früher. Ihr war, als wäre er ein Fremder.
Beklommen betrat sie das Haus. Dem Zuhälter war auch nicht ganz wohl in seiner Haut. Im Salon saß die Mutter. Sie war in den letzten Wochen über den Kummer der Tochter sehr gealtert. Viele weiße Fäden durchzogen ihr schönes Haar.
»Mutti!«, rief sie laut und wollte sich an ihren Hals stürzen und ein wenig dort ihren Kummer ausweinen. Sie war gar nicht mehr glücklich. Um des Kindes willen musste sie diesen Mann heiraten und so alles »ungeschehen machen«. Aber ihr Herz würde dabei leer ausgehen. All das wollte sie ihr beichten, aber auch hier begegnete ihr nur frostige Kälte.
Die Mutter streckte ihre Hand aus. Sie wirkte so zerbrechlich und durchsichtig.
»Elvira«, sagte nur leise, und dann brach ihre Stimme.
Sie stellte ihnen Albert vor. Kälte war mit ins Zimmer gekommen. Und der Zuhälter dachte: Hier hat sie gelebt, umgeben von Luxus und Liebe. Und das hat sie aufgegeben, um in so einer schäbigen Bude unter dem Dach zu leben und gemeine Küchenarbeit zu verrichten. Wer sollte sie noch begreifen? War sie vielleicht nicht ganz normal?
»Setzt euch«, sagte der Vater.
Gehorsam setzten sie sich.
»Elvira«, sagte er ruhig, »ich sage nichts, mache dir keinen Vorwurf, nichts. Du hast es gewollt. Wir haben alles für dich getan, was in unserer Macht lag. Wir haben dich großgezogen und immer liebgehabt. Aber das war anscheinend nicht genug. Du bist fortgelaufen, ohne daran zu denken, wie sehr du Mutter damit treffen musstest. Wochenlang hast du dich nicht gemeldet, und wir lebten in tausend Ängsten, bis dein Brief kam. Die ganze Zeit hast du nur an dich gedacht, immerzu an dich. Und bestimmt wärst du auch heute nicht zu uns gekommen, wenn du uns nicht brauchtest, in einer gewissen Sache ...« Er machte eine Pause. Dann sagte er leise: »Kinder können so grausam sein. In einer Nacht können sie alles zerstören, wofür man jahrelang gelebt und sich aufgeopfert hat. Du hättest es einmal guthaben sollen und ein besseres Leben leben, als wir es seinerzeit mussten, im Krieg und danach.
Du hast es nicht gewollt, Elvira. Wenn wir jetzt nicht glücklicher über deinen Besuch sind, dann hast du dir es selbst zuzuschreiben. Weißt du, wir sind am Ende. Du hast uns so tief getroffen. Und es gibt einen Augenblick, in dem auch Eltern nicht mehr können.
Du hast deinen Weg gewählt. Nun denn. Wenn du glaubst, wir wären dumm und altmodisch und verstünden die Welt nicht, dann musst du deinen Weg gehen. Wir halten dich nicht mehr zurück, Elvira. Mutter und ich haben auch noch ein Recht auf ein Leben, weißt du! Wir lassen uns nicht ganz zerstören.
Alles, was dir einmal lieb und teuer war, hast du dem ersten besten Mann geschenkt. Du bist schwanger, du musst jetzt heiraten. Nun, Elvira, wir versagen es dir nicht. Ich gebe dir meine Einwilligung. Damit bist du dann erwachsen und auch volljährig und du hast jetzt endgültig dein Leben in der Hand. Du kannst tun und lassen, was du willst. Das hast du doch immer gewollt, nicht wahr?«
Elvira hatte die ganze Zeit stumm dagesessen und nicht gewagt, die Augen zu heben. Sie war nicht nur wegen der Bescheinigung heimgekommen, sie hatte sich nach zu Hause gesehnt. Aus vollem Herzen hatte sie gehofft, die Eltern würden sagen: Bleib bei uns, wir sorgen für dich und das Kind. Es wird schon alles gut werden. Sie sehnte sich nach deren Trost und Liebe, und jetzt begriff sie den Fernfahrer und den Chinesen. So viele hatten es gut gemeint, aber sie hatte nur schnippisch geantwortet und sich noch sehr wichtig genommen.
Das war hart, das war unendlich hart. Elvira spürte sehr wohl, dass die Eltern Albert durchschauten. Sie fragten gar nichts. War sie ihnen so gleichgültig geworden? Aber dann erinnerte sie sich daran, dass die Mutter ein schwaches Herz hatte. All die Wochen des schrecklichen Wartens! In Elviras Ohren begann es zu dröhnen. Du bist egoistisch, egoistisch!
Albert saß nur daneben und schwieg. Ihm war gar nicht wohl unter den stechenden Augen des Richters. Dieser verabscheute ihn, das spürte er ganz deutlich. Große Töne hatte er spucken wollen, ihnen sagen, welch ein Flittchen ihre Tochter sei, aber er brachte es nicht über die Lippen.
Nachdem der Vater gesprochen hatte, stand die Mutter auf und deckte den Tisch. Wie reglose Holzpuppen saßen sie sich gegenüber und sprachen kein Wort. Man nahm den Kuchen zu sich und trank den Kaffee.
»Wo wollt ihr heiraten?«, fragte der Vater höflich.
»In Hamburg«, sagte Albert. Das war sein erstes Wort.
»Wahrscheinlich nur standesamtlich, wie ich mir denken kann?«
«Ja«, würgte Elvira hervor.
Die Mutter sagte leise: »Ich habe noch Großmutters Schleier. Ich habe ihn auch getragen. Aber den brauchst du ja jetzt wohl nicht.«
Jedes Wort war wie ein Keulenschlag. Elvira musste daran denken, mit wieviel Aufregung und Lustigkeit die Hochzeiten von Freunden und Bekannten verbunden waren. Wie festlich wurde der große Tag begangen, wie stolz waren die Eltern. Mit wie viel Liebe suchte das Brautpaar die Möbel aus. So viele schöne Erinnerungen waren damit verbunden. Und jetzt würde sie selbst heiraten. Kalt und fremd würde alles sein.
»Ich werde alles regeln«, hörte sie den Vater sagen. »Schickt mir die Formulare zu, und ich werde sie unterzeichnen. Aber wegen Mutters Gesundheitszustand können wir nicht zur Hochzeit kommen. Das könnt ihr doch verstehen.«
Und Albert dachte: Ein Richter geht nicht auf die Hochzeit eines Zuhälters. Aber er sagte es natürlich nicht. Wenig später brachen sie auf.
Sie standen an der Tür, gaben sich die Hand. Kein Lächeln war in den Gesichtern. Nur in den Augen der Mutter schimmerten Tränen. Schließlich war es ja ihr einziges Kind. Aber sie wollte es ja doch.
Erst als sie wieder im Auto saßen und ein ganzes Stück fort waren, brach sie in Tränen aus. Albert sagte mit kalter Stimme: »Du bist ein dummes Luder. Damals hättest du auf Knien liegen sollen und dankbar sein müssen für all das hier. Und was hast du blöde Gans getan? Und jetzt hast du mich auch noch reingerissen, du verdammte Schlampe!«
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