Die Wehen waren schrecklich. Der Arzt betrachtete ihren Körper. Sie sah mager und erschöpft aus, am Ende ihrer Kräfte. Er verstand einfach nicht, wie sie so lange hatte schaffen können. Und dazu ihre Jugendlichkeit.
Das Kind musste dann mit Kaiserschnitt geholt werden. Gegen Morgen endlich erhielt Lie-San Bescheid. Und er machte sich auf den Weg nach Hause. Er war todmüde und stolperte vor sich hin. Jetzt wollte er sich erst einmal eine starke Tasse Kaffee bereiten.
Als er die Küchentür aufstieß, sah er Albert. Er stand ans Fenster gelehnt. Als er jetzt den Chinesen kommen hörte, drehte er sich um.
»Ich suche dich schon die ganze Zeit. Wo warst du?«
Die schwarzen Augen des Asiaten sahen ihn ausdruckslos an.
»Bin ich dein Sklave?«, erwiderte er kalt.
Albert ballte die Hände. Es ärgerte ihn, dass der Chinese ihm immer überlegen sein würde. Er besaß Haltung und so etwas wie eine gute Bildung. Immer würde er ihn spüren lassen, dass sie nicht auf derselben Stufe standen. War er denn nicht ein Chinese und er ein Weißer?
»Ich muss mit dir sprechen«, sagte Albert hastig. »Du kannst das hier jetzt Elvira allein überlassen. Ab heute wirst du im Nachtclub für mich kochen.«
»Ich bleibe vorläufig noch hier«, sagte der Chinese.
»Aber die Küche ist fertig. Modern, leicht zu arbeiten. Du wirst deine Freude haben.«
»Trotzdem bleibe ich hier, oder du überlässt jemand anderem die Küche.«
»Du hast sie angelernt. Sie wird es doch wohl endlich können! Zu irgendetwas wird sie mir wohl nütze sein, verdammt noch mal!«
»Sie hat dir diese Nacht einen Sohn geboren. Sie muss sich jetzt um das Kind kümmern.«
Der Zuhälter starrte ihn an. »Das habe ich ganz vergessen.«
»Es ist so.«
Die beiden Männer maßen sich gegenseitig mit einem langen Blick. Albert war es, der die Augen niederschlug.
»So werde ich einen anderen suchen müssen«, murmelte er »Du wirst dann mitkommen?«
»Nur, wenn Elvira hier nicht mehr arbeiten muss.«
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich dämm kümmern werde«, sagte er grantig.
Lie-San lächelte leicht. Nun hatte er endlich erreicht, dass die junge Frau nicht mehr so schwer arbeiten musste. Jetzt würde sie nur noch Zeit für ihren kleinen Sohn haben und sich selbst pflegen können, würde wieder lachen und heiter werden. Bei so einem kleinen Kind musste das Herz doch groß und weit werden. Hätte der Chinese nur Alberts Gedanken erraten können, hätte er sich anders verhalten.
»Sie liegt in der Klinik«, sagte Lie-San. »Du wirst hingehen! Die Formalitäten müssen erledigt werden.«
Albert vergaß zuerst, dass er einen Sohn hatte. Aber gegen Mittag erinnerte ihn Lie-San wieder daran. Und so fuhr er zur Klinik.
Elvira hatte nicht damit gerechnet, dass Albert sie besuchen würde. Umso erstaunter war sie dann, als sie ihn in der Tür stehen sah. Er hatte ihr nichts mitgebracht. Fast böse sagte er: »Nun hast du es ja erreicht! Das Kind ist also ehelich geboren. Du hast also alles bekommen, was du wolltest. In Zukunft wirst du also tun, was ich dir befehle.«
Sie duckte sich ins Bett hinein. Wahnsinnige Angst überfiel sie. Den ganzen Morgen hatte sie gegrübelt. Aber fortgehen, das konnte sie nicht. Der Krieg war noch nicht lange zu Ende, und Kinderkrippen gab es damals nicht. Entweder musste sie das Kind in ein Waisenhaus geben und arbeiten gehen, oder es behalten und Albert untertan sein. Nein, ihr Kind sollte keine freudlose Jugend erleben. Sie würde immer vor ihm stehen, es so vor Albert schützen.
So lag sie nur da mit zitternden Lippen und schaute ihn an, sagte aber kein Wort.
»Ich werde es anmelden. Wie soll es heißen?«
»Patrick«, stammelte sie.
»Gut, dann wäre also alles erledigt.«
»Du wirst das Krankenhaus bezahlen müssen. Ich habe nicht so viel Geld.«
Er fluchte wild vor sich hin.
»Bis jetzt habe ich für dich nur immer bezahlt, bezahlt und nochmals bezahlt. Du wirst mir alles zurückerstatten, das schwöre ich dir.«
Uber vierzehn Tage blieb sie in der Klinik. Und diese Zeit war die schönste für sie, seitdem sie von zu Hause fortgelaufen war, obwohl sie viele Schmerzen erdulden musste. Aber sie war glücklich. Hier waren nette Menschen, hier hatte sie ihren Sohn ganz für sich. Man wunderte sich darüber, dass sie nie Besuch bekam. Nur einmal tauchte Lie-San auf.
»Du wirst nicht mehr in der Küche arbeiten müssen. Ich gehe in die Nachtbar. Aber das habe ich für dich durchgedrückt, Elvira.«
Tränen liefen ihr übers Gesicht.
»O Lie-San, du bist so gut zu mir. Einmal war ich so böse und habe dir nicht geglaubt, und du bist nur gut zu mir.«
»Jemand muss ein wenig Licht in dein Leben bringen«, sagte er ruhig. »Ohne Licht ein Mensch nicht leben, verkümmert.«
»Ich habe Angst vor der Zukunft. Und wenn ich jetzt nach Hause komme, dann bist du auch nicht mehr da, Lie-San. Ich werde sehr einsam sein.«
»Wenn es meine Zeit erlaubt, werde ich euch besuchen kommen und nachschauen, was der Kleine macht.«
Als er fort war, packte sie sein Geschenk aus. Es war eine kleine blaue Rassel für Patrick. Darüber musste sie so schrecklich weinen, dass die Schwestern sie kaum beruhigen konnten.
Aber dann war die schöne Zeit vorbei, und sie musste das Krankenhaus verlassen. Leer und traurig wirkte das Hinterzimmer, als sie mit Patrick einzog.
Zu später Stunde tauchte Albert auf, blieb breitbeinig in der Tür stehen, dann kam er langsam näher und sah mit gerunzelter Stirn auf das Kind.
»Wenn es Ärger macht, werfe ich es hinaus. Ich habe dir immer gesagt, dass ich es nicht haben will. Hast du mich verstanden?«
Sie erwiderte nichts.
»Du brauchst nicht mehr in der Küche zu arbeiten. Ich musste es dem verdammten Chinesen versprechen, sonst wäre er nicht mit in die Nachtbar gekommen.«
»Er hat es mir gesagt.«
Er schaute sie höhnisch an.
»Und du glaubst, du könntest jetzt wie eine Made im Speck hier leben? Irrtum! Ich habe dir gesagt, du wirst mir alles zurückzahlen. Alles, hast du kapiert! Ich habe Nachsicht mit dir gehabt. Aber in drei Wochen ist es vorbei, dann wirst du nachts für mich auf den Strich gehen. Im Hafenviertel. Kapiert? Du wirst so alle Gelder wieder reinbringen. Am Tage kannst du dich um das Balg kümmern, aber nachts wirst du für mich auf Anschaffe gehen.«
Sie starrte ihn so entgeistert an, dass er gemein auflachte. »Ich habe dich ja gut eingelernt. Du bist jetzt mit allen Taktiken vertraut. Und solltest du etwas noch nicht wissen, da sind ja Lola und Anke. Von ihnen kannst du noch viel lernen. Und sie werden dir auch sagen, was mit dir geschieht, wenn du nicht dein Soll erfüllst.«
Fassungslos ließ sie sich auf das Bett fallen. Sie würgte und würgte.
»Ich bin deine Frau«, brachte sie mühsam hervor. »Das kannst du doch nicht wirklich wollen! Was werden sie sagen?«
»Wer weiß das denn schon?«, höhnte er.
»Ich werde es sagen«, stammelte sie.
»Man wird dich für eine Spinnerin halten«, gab er brutal zurück.
Sie legte ihre kalten Hände an die pochenden Schläfen.
»Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Mann seine Alte auf den Strich schickt«, lachte er. »Das ist denen hier nicht neu. Und sie kennen mich alle. Und weißt du auch, wie mein Spitzname lautet?«
»Nein!«
»Albert, der über Leichen geht!«
Ein kalter Schauer rann ihr über den Rücken. Und in dieser Sekunde wusste sie, dass alles so werden würde, wie er gesagt hatte.
Bewusstlos brach sie zusammen.
Patrick war fünf Wochen alt, als eines Abends Albert wieder bei ihr auftauchte. Das Kind schlief friedlich.
»So, die Zeit der Schonung ist jetzt um. Du wirst noch heute für mich auf den Strich gehen. Und da du noch ziemlich mickerig aussiehst, will ich das Soll nicht zu hochschrauben. Du wirst mir die erste Zeit dreihundert bringen oder ich prügele dich wund.«
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