Tante Kuni trug immer eine Kittelschürze und hatte einen Kropf. Ihre Stimme war deshalb kratzend und es war anstrengend für sie, zu sprechen. Onkel Bertram trug stets Cordhosen und eine Weste. Darunter ein kariertes Hemd. Immer! Kuni war quasi die Hauserin, was ich nicht ganz nachvollziehen konnte, denn unter Ordnung und Sauberkeit verstand ich etwas anderes.
Onkel Bertram war anscheinend der Ersatzvater für Alois, jedoch nicht der Ersatzmann für Tante Trudel.
Wieder einmal waren wir zur Erntezeit in Teppach. Fünf Brüder, die in der Nähe wohnten, halfen fleißig mit. Der sechste Bruder wohnte damals schon in der Nähe von Stuttgart. Manchmal war auch mein Großvater dabei und verrichtete leichtere Arbeiten.
Ich liebte es, alles zu erkunden. Ich half meiner Tante, mit der Schubkarre Heu und Stroh von der Scheune zu den Kühen zu schaffen. Irgendwie hatte ich aber das Bedürfnis, im Haus für Sauberkeit zu sorgen. Meine Tante Trudel, die damals schon verhärmt und abgearbeitet aussah, bekam einen wohlwollenden Gesichtsausdruck und wollte zuerst dankend ablehnen. Doch durch meine Frage, wo Besen, Eimer und Putzmittel zu finden seien, merkte sie, dass ich nicht lockerlassen würde. So zeigte sie mir, wo alles zu finden war.
Ich begann mit der Milchküche, machte in Bad und Küche weiter und merkte nicht, wie schnell die Zeit verging. Später, als ich das Wohnzimmer betrat, lag Alois ganz gemütlich mit einem Kreuzworträtsel auf der Couch. „Äh, Alois, brauchen die Helfer dich nicht bei der Ernte?“, fragte ich. Gelassen sah er mich an und meinte, dass noch Zeit sei, bis er die Ernte holen könne. Aha, und abgesehen davon – ein Blick zur Uhr – dachte ich ans Kühe melken. Als ob er meine Gedanken hätte lesen können, stand er ohne Eile auf, nahm sein Transistorradio und schlenderte Richtung Kuhstall. Mmh, Musik beim Melken. Hatte ich bei unseren Nachbarn noch nicht gesehen oder gehört. Zurück in der Wohnküche empfing mich Tante Trudel mit einem freudigen Lächeln, kam auf mich zu und nahm meine Hände. „Ach Anne, so sauber war es bei uns noch nie.“ Täuschte ich mich oder hatte sie Tränen in den Augen? Ihre rauen und abgearbeiteten Hände drückten meine ganz fest, bis ich sie zögerlich wieder zurückzog: „Ach Tante Trudel, das habe ich doch gerne gemacht.“
Als die Brüder fertig waren mit der Ernte, gab es noch eine deftige Brotzeit, bevor wir wieder nach Hause fuhren.
Wann der Abriss des alten Hauses und der Neubau besprochen worden war, hatte ich nicht mitbekommen. Ich konnte mich erinnern, dass mein Vater Ende der 60er-Jahre mehrere Wochen, an Wochenenden, in Teppach gewesen war, um beim Neubau zu helfen. Anscheinend gab es keine Probleme oder Disharmonien. Na, mein Vater, den ich sehr geliebt habe, war kein Mann vieler Worte. Wir zwei verstanden uns auch so.
Meiner Mutter gefiel es nicht, dass er jedes Wochenende nach Teppach fuhr. Unser großer Gemüsegarten müsse auch gepflegt werden. Auch das Holz für die kommende kalte Jahreszeit säge und hacke sich nicht von selbst. Mein drei Jahre älterer Bruder hatte bei diesen Andeutungen taube Ohren und für solche Arbeiten linke Hände. Er spielte lieber Fußball.
Meine Mutter war Schneiderin und verdiente sich ein Zubrot, indem sie für Bekannte und Nachbarn schneiderte. Sogar Brautkleider hatte sie in ihrem Programm, was ich bewunderte. Damals hatte sie nur eine mechanische Pfaff-Nähmaschine. Leider hat sie mir ihr Talent nicht vererbt.
Kapitel 4
Kontakte zu unbekannten Verwandten und Behörden
Die Telefonate mit Charlotte häuften sich. Wir überlegten, was zu tun sei. Allmählich hörte ich zwischen Charlottes Worten, dass sie kalte Füße bekam.
Ein amtliches Schreiben vom Grundbuchamt der Gemeinde besiegelte meine spätere Erbenposition. Es wurde ein Lastschriftmandat für die fälligen Grundsteuern des Anwesens in Teppach benötigt. Ich rief beim Grundbuchamt an, um mich zu erkundigen, wer diese Steuer zahlen solle. Die freundliche Verwaltungsangestellte gab mir den Rat, bei der Bank anzurufen, um die Liquidität zu erfahren.
Auch bei der Sparkasse gab mir eine nette Angestellte Auskunft. Ich könne die Grundsteuern vom Erbenkonto abbuchen lassen. Ich müsse jedoch meine Personalien angeben. Über genaue Beträge dürfe sie mir noch keine Auskunft geben, weil wir noch keinen Erbschein besäßen. Dies war der Stein, der ins Rollen gebracht werden musste.
Wieder war es für mich Zeit, im Amtsgericht anzurufen, um zu erfahren, wie der Stand in Sachen Erbermittlung war. Nach etlichen Versuchen, die sich über drei Tage hinzogen, kam ich endlich zum zuständigen Rechtspfleger durch. Ende 2016 war es ein anderer gewesen, der, Gott sei Dank, ein paar Wochen später in Rente gegangen war. Wenn er so gearbeitet hat, wie er redete, na, Gute Nacht…
Sein Nachfolger sollte sich jedoch als noch schlimmer herausstellen. Da wären hellseherische Fähigkeiten ausnahmsweise sehr angebracht gewesen und ich hätte mir so einiges erspart. Wortkarg ließ er mich wissen, dass noch lange nicht alle Erben ermittelt worden seien. Er erklärte: „Wenn jemand ermittelt wurde und dieser ablehnt, werden dessen Nachkommen ermittelt.“ Die berühmte Frist von sechs Wochen musste immer abgewartet werden, egal ob angenommen oder ausgeschlagen würde. Außerdem könnten auch Kandidaten im Ausland wohnen.
Meine Gestik, die ich mir seit Beginn dieser „Erben-Ära“ angewöhnte: Ich legte meine linke Hand auf die Stirn, weil ich in der rechten entweder einen Stift oder den Telefonhörer hielt.
Dann kam der enttäuschende Anruf von Charlotte. „Du Anne, sei nicht böse, aber ich lehne das Erbe ab. Das halten meine Nerven nicht durch. Und du willst wirklich weitermachen?“ „Ja schon, doch ich bin verwundert, denn ich habe dich kämpferisch und mutig eingeschätzt.“ „Ja schon, aber das ist absolutes Neuland, das man nicht einschätzen kann, außerdem habe ich kaum Zeit, mich um die Erbschaft zu kümmern. Wie du weißt, bin ich mit meiner Physiopraxis selbstständig. Wenn ich nicht in der Praxis bin, brauchen mich meine Familie und der Haushalt.“ Das Angebot meiner Mithilfe und Unterstützung konnte sie nicht umstimmen. Sie wünschte mir viel Erfolg.
Mein Mann verstand die Entscheidung von Charlotte und hoffte, dass ich auch ausschlage. Hätte ich gewusst, was alles auf uns zukommen würde, hätte ich ausgeschlagen.
Wochen vergingen, keine Reaktion seitens des Amtsgerichts. Eines Tages bestellte ich mir bei der Verbraucherzentrale das Büchlein „Erbengemeinschaft, meine Rechte als Miterbe“, weil ich mir mehr Wissen über das Thema Erbengemeinschaft aneignen wollte. Nach dem Erhalt und dem groben Durchblättern, machte ich meine Geste und sagte zu mir: „Ich weiß, was ich nicht weiß.“
Die Lektüre war aber für einen Neuling auf diesem Gebiet sehr hilfreich und klärte in einigen Schritten über das Thema auf – auch mithilfe von Fallbeispielen.
Unterwegs im Internet bekam ich nach der Eingabe „Erbengemeinschaft“ das Gefühl, dass ich weiß Gott nicht allein unwissend war. Man konnte sich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag durchgoogeln und war am Ende noch verwirrter.
Hatte man das gesuchte Thema in puncto Erbengemeinschaft gefunden, wurde es beschrieben, komma, wenn dies aber folgende Voraussetzung nicht beinhaltete, komma, dann war der erste Satz außer Kraft oder der zweite Satz oder, oder…
Zunehmend ärgerte ich mich über das Amtsgericht. Eines Tages setzte ich mich hin und schrieb dem Direktor des Amtsgerichts eine Mail.
So höflich und freundlich, wie es mein Gemüt zuließ, beschrieb ich mein Anliegen: Meine bisherige telefonische Erfahrung mit dem Rechtspfleger (wenn ich ihn mal erreicht hatte), seine Wortkargheit und seine sehr wenigen Informationen waren für mich bisher sehr unbefriedigend. Ich schilderte den katastrophalen Zustand des zu erbenden Gebäudes. Ich/wir sollten es dann halt reparieren und renovieren. „Wer soll das bezahlen?“, fragte ich ihn. „Na, das müsst ihr untereinander klären.“
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