»Aber, uh, wir haben da doch neulich das … das Ding gemacht, oder? Was du wolltest?«, wandte Lyzzi rechtfertigend ein. »Filmabend oder wie das hieß. Netflix und … Schiller, Tschilling, Chili oder so?«
Man warf ein, dass sie wohl »Netflix and Chill« meinte und das ja eigentlich auch nur eine Umschreibung für Sex war.
»Ja, das. Auf der Couch aufrecht nebeneinandersitzen und dabei das flache Tafel-Fernseh-Ding ansehen.«
Hanna stöhnte müde und wandte sich an die Runde. »Ja, wir wollten gemeinsam Filme gucken. Ghost – Nachricht von Sam, weil ich dachte, dass er ihr auch gefällt mit den Schattendämon-Geister-Dingern und so, aber eine halbe Stunde in den Film hinein, hat sie dann gesagt, dass es da eine bessere Version gäbe und …«
»Die fand ich halt interessanter. Wir wollten was gucken, was wir beide interessant fanden.«
»Es war eine Pornoversion des Films …«
»Eine Parodie. Du hast gesagt, dass du Parodien magst!«
»Witzige! Keine mit nacktem Schlammringen!«
»Ich fand die sehr witzig!«
Helprecht schritt an dieser eskalierenden Stelle beschwichtigend ein und fragte Lyzzi, ob sie denn »ernährungstechnisch« wirklich so viel Sex bräuchte. Lyzzi gab zu, dass – nein – dies nicht der Fall wäre.
»Ich will halt einfach auch mal etwas anderes machen, weißt du, wie andere Paare auch«, flehte Hanna.
»Lyzzi«, setzte Therapeutin Helprecht nach. »Niemand will, dass Sie Sex komplett aufgeben. Man merkt, wie wichtig Ihnen dieser Part des Zusammenseins ist. Hanna weiß auch, wie wichtig Ihnen das ist«, sagte Helprecht. Allgemeines und verständnisvolles Nicken. »Aber eine Partnerschaft ist ein – Geben und Nehmen«, sagte sie und die letzten drei Wörter wurden im mantraartigen Einklang von der ganzen Gruppe wiederholt.
Lyzzi zuckte zusammen und sah sich irritiert um. Sie fragte sich, ob sie nicht doch schon wieder an irgendwelche Wochenend-Satanisten geraten war, konzentrierte sich jedoch schnell wieder auf das Wesentliche. Weniger Sex? Sie war nicht erfreut, blickte aber auf Hanna und seufzte dann resignierend. »Okay. Fein. Ich schätze … Ich schätze, wir könnten, vielleicht, auch mal, gelegentlich, mehr Nicht-Sex-Sachen machen, ab und zu mal.«
»Gibt es vielleicht etwas, das Sie zuletzt gemacht haben, an dem Sie beide Spaß hatten und das kein Verkehr war?«, fragte Helprecht.
Beide überlegten mehrere Sekunden lang. Tatsächlich war es Lyzzi, der zuerst etwas einfiel.
»Uff … uh, also …. ich mochte es, wie wir neulich, uh, Hummer essen waren.«
»Ja? Ja, stimmt. Das war nett. Ein schöner Restaurantbesuch am Hafen war das«, pflichtete Hanna bei.
»Ja. Lebewesen mit Seele, die bei lebendigem Leibe gekocht werden. Das war … das war schön. Dazu bin ich als Kind auch immer eingeschlafen.«
»Nun, ja. Ich schätze, ja. Das können wir doch vielleicht weiterverfolgen, oder? Öfter mal wiederholen?«, fragte Hanna optimistisch die Therapeutin. Helprecht, die zwar mit etwas mehr Zeit wirklich gerne mit Lyzzi weiter über ihre Kindheit gesprochen hätte, stimmte zu und gab befriedigt mit den erzielten Fortschritten weiter zum nächsten Paar.
Feldstudien
Christina Wermescher
B
edächtig ging Belinda vor dem großen Hasenstall, der hinter dem Haus stand, in die Knie. Sie studierte die verschiedenen Schildchen, bis ihre Augen an einem haften blieben, auf dem in krakeliger Schrift geschrieben stand: »Freddy, Deutscher Riese«. Ein Blick durch das Drahtgeflecht verriet ihr, dass der Name hielt, was er versprach. Freddy war mehr Koloss als Kaninchen, genau das Richtige für heute. Schließlich wollte Belinda an diesem Abend ihre Ruhe haben. Zweifelnd besah sie sich ihren handlichen Picknickkorb, verschwand im Haus und kam wenig später mit einem Kartoffelsack zurück.
Obwohl der Garten von einer hohen Thuja-Hecke umgeben war, schaute sie sich kurz um, bevor sie Freddy mit einem beherzten Griff im Genick packte und in den Sack steckte. Der Kaninchenkoloss wurde nicht müde, panisch zu strampeln. Belinda war versucht, den Sack gegen den Türrahmen zu schlagen, als sie ins Haus zurückkehrte. Doch ohnmächtig oder gar tot würde der Schmaus nicht halb so viel Anklang finden.
Sie ging direkt zur Kellertür. Es hatte keinen Sinn, die unliebsame Begegnung unnötig lange hinauszuzögern. Und je eher sie sie hinter sich brachte, desto eher war sie wieder oben und konnte sich auf den Abend mit Wolfgang vorbereiten. Vorsichtig stieg sie die steile Treppe hinunter. Auf halbem Weg streifte sie ihre High Heels ab. Nicht, dass sie Belinda behindert hätten, sie hatte sich sehr schnell an diese Art Schuhe gewöhnt. Nein, aber sie wollte ihr Gegenüber nicht unnötig reizen. Die Treffen im Keller wurden ohnehin zunehmend unangenehmer.
Barfuß schritt sie durch das Halbdunkel. Nur eine nackte Glühlampe erhellte den Raum spärlich. Als sie vor der massiven Stahltür ankam, holte sie tief Luft. Der Schlüssel steckte im Schloss. Belinda drehte ihn um und zog die schwere Tür auf. Das grelle Licht der Neonröhren blendete sie wie jedes Mal, wenn sie dieses Zimmer betrat. So oft schon hatte sie sich vorgenommen, eine andere Beleuchtung zu installieren. Doch insgeheim wusste sie, dass sie es doch niemals tun würde. Zittra war es sicherlich egal, und die wenigen Minuten, die sich Belinda hier aufhielt, rechtfertigten den Aufwand nicht.
Zittra hockte auf einem der beiden Stühle, die ebenso wie der dazugehörende Tisch fest mit dem Boden verschraubt waren. Langsam sah sie auf.
»Du trägst ja immer noch diesen hässlichen Fetzen!«, blaffte sie statt einer Begrüßung. Belinda presste die Lippen zusammen. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, schwang sie den Sack auf den Tisch. Das Riesenkarnickel hoppelte heraus und schaute für eine bange Sekunde in Zittras Richtung. Als sie ihn blitzschnell packte, kreischte er für ein Kaninchen ganz und gar untypisch, doch Belinda wusste, dass sich im Angesicht des Todes alle Säugetiere in etwa gleich anhörten. Kurz vor dem Exitus war ein Hund akustisch nicht mehr von einem Gnu zu unterscheiden, und warum sollte Freddy hier eine Ausnahme machen. Schließlich ließ Zittra ihn lachend los, und er flitzte in Windeseile vom Tisch herunter und in die gegenüberliegende Ecke des Zimmers schräg hinter Belinda, um sich dort zusammen zu kauern und vor Angst zu zittern.
»Freddy findet meine Erscheinung wohl ansprechender als deine«, kommentierte Belinda trocken.
»Bring doch morgen ein Salatblatt mit, dann fragen wir es nach seiner Meinung«, konterte Zittra ohne zu zögern.
Belinda seufzte. Sie hatte diese Streitereien so satt. Langsam setzte sie sich auf den zweiten Stuhl. Zittras Gesichtsausdruck verriet, dass sie diese Annäherung überraschte. Nicht dass Belinda ihr Einverständnis für irgendetwas brauchen würde, aber ohne die Gewissheit, einen Feind im Keller zu haben, wäre ihr doch wohler. Darum versuchte sie es nun mit versöhnlicheren Tönen.
»Mutter. Wie lange willst du denn noch mit mir streiten?«
Bei der Anrede »Mutter« zuckte Zittra kurz zusammen, doch ihre Miene versteinerte sich sofort wieder. Grimmig funkelte sie Belinda aus ihren orangefarbenen Augen an.
»So lange, bis du zur Vernunft gekommen bist!«
»Aber was ist denn so schlimm an meinem neuen Outfit?« Belinda strich sich durch die blonde Mähne und rückte ihren Busen zurecht.
»Ich verkleide mich doch auch nicht als Schwein!«, schrie Zittra. Speichel tropfte von ihren spitzen Zähnen, während sie Belinda angewidert musterte. »Das ist absurd und abstoßend. Kuronne, du bist unsere fähigste Jägerin, und nun rennst du herum in der Hülle eines Beutetiers. Schämst du dich denn nicht?«
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