Seufzend lässt sie sich auf mein Bett sinken.
»Ih, könntest du mal wieder frisch beziehen. Wenn ich dir schon erlaube, im Bett zu essen, solltest du wenigstens dafür sorgen, dass keine Nutella-Flecken …«
»Die anderen dürfen das doch auch«, unterbreche ich ihr Ablenkungsmanöver mit dem dümmsten, wirkungslosesten und dennoch weltweit am häufigsten benutzten Kinder-Argument. Ehrlich, ich frage mich wirklich, warum wir Kinder das tun? Jedes Mal?! Obwohl man schon VOR dem Aussprechen weiß, dass die Erwachsenen quasi nur darauf gewartet haben, dass es einem wieder rausrutscht …
Achtung, in 3, 2, 1 …
»Die anderen sind mir egal«, sagt Mama, was ja klar war. ›Aber du bist nicht die anderen‹, wäre auch noch eine mögliche Antwortalternative gewesen. Was sollte sie auch sonst erwidern: Echt, wirklich? Okay, also wenn das so ist, kein Problem, dann darfst du das selbstverständlich auch?!
»Das ist total gemein«, erwidere ich und kann nur den Kopf über mich schütteln. Das hier ist echt Kindergartenniveau, liebe Tildy. Du hast es voll versaut.
»Nee«, sagt Mama nur ganz lässig. »Das ist nicht gemein, sondern das Gegenteil.«
»Von gemein gibt’s kein Gegenteil«, ruft Liv hilfsbereit herüber.
»Doch!«, antwortet Mama. »So was wie vernünftig, klug, wohlgesonnen.«
»Pf«, sage ich und rolle mit den Augen.
»Mann Matti«, regt sich Mama daraufhin auf. »Okay, ich fasse es dir noch mal zusammen.« Sie holt Luft und setzt sich meinen Kuschelhund auf den Schoß. Oh nein, jetzt bitte nicht mit Hundestimme sprechen, sonst muss ich lachen, obwohl ich wütend bin … Aber Mama wedelt nur einmal mit seinem Schwanz und sagt dann: »Ich bin halt deine Mutter, daran kannst du nichts ändern. Und ich bin als Erziehungsberechtigte dazu berechtigt, dich zu erziehen. Heißt, ich bin verpflichtet, auf dich aufzupassen. Während andere Eltern alles erlauben, wie ich ja schon sehr oft gehört habe, bin ich da ein wenig wählerischer. Im Gegensatz zu anscheinend allen anderen Eltern erlaube ich es ja leider auch nicht, dass du ohne Fahrradhelm fährst, Hotpants anziehst, bei denen dein Po rausplumpst, oder mit bauchfreien Spaghetti-Tops in die Schule gehst, an denen kaum Stoff ist. Oder wir zweihundert Euro für Turnschuhe ausgeben, bloß weil da Streifen oder sonst welche Zeichen drauf sind, die du dir genauso gut selbst draufmalen könntest; und zwar auf alle fünf Paar No-Name-Schuhe, die man eigentlich für das Geld bekommt …«
»Mamaaa«, mischt sich Liv ein und lehnt sich an den Türrahmen, »Tildi hat’s verstaaanden.«
»Also dann«, sagt Mama zufrieden und steht auf, als ob mit ihrem ›Ich bin deine Mutter und ich hab dich lieb und deshalb hab ich doppelt recht‹-Monolog alles gesagt wäre.
»Äh, warte mal«, sage ich, »du hast die Zusammenfassung vergessen.«
»Dein Ernst jetzt?«, fragt Mama und lässt sich wieder aufs Bett plumpsen. »Mein liebes Kind«, sagt sie. »Ich erlaube nicht, dass du einen Jutjub-Sender hast …«
»YouTube-Kanal«, verbessere ich.
»Sag ich doch. Also ich will das nicht, dass du da Videos zeigst …«
»… postest«, murmele ich.
»… von dir und von uns und von deinem Zimmer und von deinem Bett und …«
»Mama, ich mache DIYs«, unterbreche ich sie. »Hast du mich auf denen schon mal gesehen? Da sind höchstens meine Hände drauf.«
»Schlimm genug«, sagt Mama. »Und deine süße Stimme. Und Hintergrund von unserem Zuhause und so.«
»Aber …«, will ich protestieren, doch Mama redet einfach weiter.
»Das ist einfach zu gefährlich und ich hab dir schon tausend Mal …«
»Was ist denn an Backvideos gefährlich? Es gibt keine Backvideo-Stalker«, rufe ich. Ich rufe das immer an dieser Stelle und ich werde das so lang rufen, bis Mama endlich …
»Nicht die Backvideos«, sagt Mama geduldig und klopft neben sich aufs Bett.
Widerwillig setze ich mich.
»Schatz, in den Social-Media-Kanälen sind eine Menge perverser Vollidioten unterwegs. Die dann auf Ideen kommen … was weiß ich für welche. Will ich auch gar nicht wissen. Die nehmen dann mit dir Kontakt auf und schreiben dich an und bitten dich, dass das alles unter euch bleibt oder hinterlassen komische Kommentare …«
»Man kann die Kommentarfunktion doch ausstellen!«, rufe ich.
»Trotzdem«, meint Mama. »Dann versuchen die halt irgendwie anders Kontakt aufzunehmen, im Internet ist das alles möglich, da gibt’s so PI-Adressen und …«
»IP«, verbessert Liv und dehnt mit knackenden Zehen ihre Füße.
Mama schüttelt sich. »Das kann doch nicht gesund sein … Dann eben IP, jedenfalls so Zeug. Und die finden dann Zugangsdaten und Passwörter raus und kommen dir auf die Spur und belästigen dich oder stalken dich oder schicken so Standbilder …«
»… Screenshots oder Snaps«, übersetzt Liv
»… ja, die schicken sie dann in irgendwelche schrecklichen Verbrecher-Ringe im Dings, wie heißt das, Darknet. Und die Fotos werden dann geteilt und das kriegt man nie wieder raus aus dem Internet. Und warte mal, die Kommentarfunktion ausstellen? Das ist doch genau das, was den Jutjubern Spaß macht, dass sie Feedback bekommen und so.«
Ich zucke sicherheitshalber bloß mit den Schultern, weil Mama natürlich völlig recht hat.
»Aber!«, ruft Mama und ich ahne, was jetzt kommt. »Aber«, wiederholt sie, »wenn man sie anlassen würde, kommt da ja nicht nur Lob oder Daumen-Hochs. Stell dir doch mal vor, du spielst jetzt dein Blätterteig-Video ab …«
»Mama, sie lädt ihr Puff-Pastry-DIY hoch«, sagt Liv grinsend zwischen zwei Pliés und erntet von Mama einen unwirschen Blick.
»Also du stellst es online«, fährt Mama fort, »und nach zwei Stunden merkst du, dass es die meisten deiner Zuschauer scheiße finden.«
»Mama!«, protestieren Liv und ich.
»Na, ist doch so«, sagt Mama. »Zwei Likes, achtundneunzig Daumenrunters und siebzig niederschmetternde Kommentare von solchen Neidklopsen, wie nennt man die noch mal?«
»Hater«, sagen Liv und ich im Chor.
»Genau. Was da unter dem Deckmantel der Anonymität alles möglich ist …! Deckmantel der Anonymität, ja, das habe ich jetzt wirklich gut ausgedrückt.« Mama grinst unglücklich. Dann streicht sie mir die Haare hinters Ohr und sieht mir in die Augen. »Matzimäuschen, da will ich dich mal sehen. Nach so einem Erlebnis brauchst du glatt eine Psychotherapie. Ehrlich, so was stelle ich mir schlimm vor. Da kriegt man glatt Albträume von. Und das meine ich echt ernst. Ich weiß doch, wie das ist. Es können mir zehn Leute sagen, dass ihnen meine Bilder gefallen, aber der eine gehässige Kommentar, lässt einen nicht mehr los und beißt sich so richtig tief in die Seele hinein und hinterlässt einen riesigen Haufen Selbstzweifel.«
»Och Mama, also ich finde deine Bilder sehr schön!«, sagt Liv und macht einen Spagat im Türrahmen.
»Ich auch«, sage ich.
»Danke«, sagt Mama, »aber verstehst du, was ich sagen will? Aus so affigen Mistkommentaren kann sich leicht Mobbing entwickeln. Ist wie Mobbing-next-level sozusagen, nur dass man sich noch schwieriger dagegen wehren kann als im echten Leben. Mensch, gegen so ’n Scheißesturm kommt man doch einfach nicht an!«
Liv kriegt einen Lachanfall und wechselt das Bein. »Man sagt Shitstorm«, kichert sie und dehnt sich weiter.
»Das wusste ich ausnahmsweise«, meint Mama. »Sag mal, ich bin mir nicht sicher, ob deine Ballettlehrerin Ahnung von menschlicher Anatomie hat. Wo sollt ihr eure Beine denn noch überall hinbiegen? Okay, also, Scheißesturm klingt noch drastischer, finde ich. Und wenn so was erst mal mit voller Wucht auf einen niederregnet, ist das total dramatisch. Hm, was sagst du, Matzi?«
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