"Ich weiß", murmelte Charalon. Gleich darauf zuckte er die Achseln und warf Maziroc ein verzeihungheischendes Lächeln zu. "Aber Eibon leitet diese Expedition nun mal, und damit gibt er auch das Tempo vor. Wir haben uns ihm nur angeschlossen. Ich werde den Teufel tun und mich da einmischen. Entweder würde man es für Schwäche von mir halten, oder es sähe so aus, als ob ich seine Autorität untergraben wolle."
"Dann werde ich eben mit ihm sprechen", erklärte Maziroc entschlossen und stemmte sich in die Höhe. Es gelang ihm nicht, seine Verdrossenheit völlig aus der Stimme heraus zu halten. "Ich sehe absolut nicht ein, warum wir alle darunter leiden und den Sinn dieser Expedition gefährden sollen, dass sich zwei alte Sturköpfe unbedingt einen möglichst großen Platz in der Geschichtsschreibung sichern wollen."
Seine Worte taten ihm fast augenblicklich wieder leid, nicht das was er gesagt hatte, sondern die bewusst verletzende Art, in der er es getan hatte. Durch ein einfaches Lächeln hätte er den Worten die Schärfe nehmen können, aber er brachte es nicht über sich, sondern drehte sich fast überhastet um und stapfte davon, auf Eibon zu, der ein Stück entfernt stand und hitzig mit Bayron und zwei der Elbenkrieger sprach. Als sie ihn bemerkten, unterbrachen sie ihr Gespräch und wandten sich ihm zu. Fragend blickte Eibon ihn an.
"Ich würde Euch gerne einen Moment allein sprechen", bat Maziroc. Unter vier Augen würde es ihm vermutlich eher gelingen, den Elbenkönig von seinem Anliegen zu überzeugen, als vor Zeugen.
"Ich wollte sowieso gerade gehen und nach meinen Männern sehen", behauptete Bayron. Seine Stimme klang gereizt; offenbar hatte auch er mit Eibon gerade eine kleine Meinungsverschiedenheit ausgetragen. Verdrossen wandte er sich um und stapfte davon. Auch die beiden Elbenkrieger verschwanden im Dunkel der Nacht.
"Um was geht es?", erkundigte sich Eibon. Er lächelte. "Wenn Ihr darum bittet, allein mit mir sprechen zu können, dann muss es sich um etwas Wichtiges handeln, wie ich Euch kenne, Maziroc."
"Es geht möglicherweise um unser aller Leben, speziell aber um Eures", erwiderte der Magier. "Die Leute sind dem Tempo, das Ihr von ihnen verlangt, nicht mehr gewachsen, und auch die Pferde nicht. Wir werden sie zuschanden richten, und ihre Reiter werden zu Tode erschöpft sein, wenn wir das gefährliche Gebiet erreichen. Möglicherweise ist es bei Euren Elbenkriegern anders. Ihr habt Eure Eskorte in Ai'Lith ausgetauscht. Erholte Männer und frische Pferde. Wir aber sind nun schon seit beinahe einem Monat unterwegs."
"Merkwürdig", antwortete Eibon. Sein Lächeln war nicht verloschen, hatte sich sogar noch vertieft. "Bayron kam zu mir, um mit mir über genau dasselbe Thema zu sprechen, und ich werde Euch dieselbe Antwort wie ihm geben. Es ist richtig, dass ich meine Eskorte ausgetauscht habe, aber Ihr dürft nicht vergessen, dass sie bereits den doppelten Weg hinter sich hatte, während Ihr uns nur auf dem Rückweg von Cavillon zur Hohen Feste begleitet habt. Auch ich selber bin bereits von Anfang an dabei, und ich leite diese Expedition auch weiterhin. Allerdings sollte Charalon sich fragen, ob er wirklich die richtigen Leute ausgesucht hat, wenn sie nicht einmal einer Belastung gewachsen sind, die ein alter Mann wie ich über einen wesentlich längeren Zeitraum hinweg aushält."
"Ist es so?", fragte Maziroc leise. Aufgrund seiner Erfahrung, seines Selbstbewusstseins und nicht zuletzt aufgrund seiner kräftigen körperlichen Statur strahlte er eine Stärke aus, der die meisten Menschen sich beugten, sobald sie ihm begegneten. Hier jedoch war es genau anders herum. Eine Aura von Macht, Selbstsicherheit und Autorität umgab den greisen Elbenkönig, gegen die Maziroc sich nur mit Mühe behaupten konnte, weil sie ihn sich plötzlich klein und unbedeutend fühlen ließ. Er spürte, dass er diese Diskussion schon verloren hatte, noch bevor sie richtig begann, weil Eibons bloße Präsenz ihn bereits in die Defensive drängte. "Genau das ist ein weiterer Grund, weshalb ich gekommen bin", fügte er hinzu. "Ich sagte, es ginge möglicherweise auch um Euer Leben, denn ich fürchte, Ihr überschätzt Eure Kräfte."
"Ach ja? Fürchtet Ihr das?", fragte Eibon mit plötzlich geradezu hohntriefender Stimme. Der zuvor sanfte Spott war ätzendem Sarkasmus gewichen, und Zorn flammte in seinem Blick auf. Der Widerschein eines der Lagerfeuer tanzte über sein Gesicht und ließ es für einen Moment wie eine dämonische Fratze aussehen. "Ich denke, das solltet Ihr getrost meine Sorge sein lassen. Ich habe schon wesentlich bedeutsamere Entscheidungen getroffen, lange bevor Ihr überhaupt auf der Welt wart, und ich glaube, ich weiß selbst am besten, wie viel ich mir zumuten kann."
"Was soll das?", murmelte Maziroc, irritiert über die plötzliche Aggressivität des Elbenkönigs. "Wir sind ausgezogen, um gemeinsam die Hintergründe einer möglicherweise immensen Gefahr zu ergründen." Auch in seine Stimme mischte sich nun Ärger. "Aber stattdessen habe ich im Moment das Gefühl, in einen Wettkampf zwischen kleinen Kindern geraten zu sein, die sich gegenseitig zu übertrumpfen versuchen. Ihr und Charalon und wer sonst noch immer, die sich beweisen wollen, wozu sie noch in der Lage sind. Begreift Ihr denn nicht, dass es hier um weitaus Wichtigeres geht? Anderenfalls bin ich hier wohl fehl am Platz und sollte nach Cavillon zurückreiten."
"Das ist ...", zischte Eibon, brach dann aber ab. Der Zorn verschwand aus seinem Blick, und für einen Moment blickte er fast betreten zu Boden. "... richtig", vollendete er den begonnen Satz und lächelte beschämt. "Ich fürchte, Ihr habt recht. Ich mag es nur einfach nicht, wenn man mich behandelt, als ob ich bereits zum alten Eisen gehören würde, deshalb habe ich vielleicht gerade ein wenig heftig reagiert. Bitte entschuldigt. Aber dennoch ist es wichtig, dass wir unser Ziel so schnell wie möglich erreichen. Jede Stunde, die wir vertrödeln, kann weitere Menschenleben kosten."
"Das sehe ich ein, aber es ändert nichts daran, dass vor allem unsere Pferde dieses mörderische Tempo nicht mehr lange durchhalten werden, und wenn wir sie verlieren, dann kommen wir erst recht langsam voran."
Eibon seufzte. "Ich hätte Euch in Ai'Lith gerne ausgeruhte Tiere gegeben, aber Ihr wisst, dass kein Elbenpferd einen menschlichen Reiter duldet."
"Gerade deshalb müssen wir unsere eigenen Pferde schonen, und außerdem auch unsere Leute", beharrte Maziroc unnachgiebig. "Alles wäre kein Problem, wenn wir nur etwas langsamer reiten und ein paar kurze Pausen mehr einlegen würden. Wir würden nicht einmal nennenswert viel Zeit verlieren, und wenn wir angegriffen würden, wären wir jederzeit kampfbereit. Gegenwärtig jedoch wäre kaum einer von uns in der Lage, einem überraschend auftauchendem Angreifer auch nur irgendwelchen nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen."
Mit einem Mal lächelte Eibon erneut.
"Glaubt Ihr wirklich, das wüsste ich nicht?", entgegnete er. "Haltet Ihr mich wirklich für einen so schlechten König und Anführer?" Er schüttelte mit mildem Tadel den Kopf. "Wisst Ihr, Maziroc, im Grunde ist dieses ganze Gespräch unnötig. Das hätte ich auch Bayron erklärt, wenn Ihr nicht dazwischengekommen wäret. Von morgen an werden wir ohnehin langsamer vorrücken, weil mir das Gebiet allmählich zu unsicher für einen so raschen Vormarsch erscheint. Ich möchte nicht mit unserer ganzen Truppe in einen Hinterhalt reiten. Aus diesem Grund werde ich Scouts vorausschicken, die das Gelände erkunden. Währenddessen werden die Übrigen langsam nachrücken und genug Gelegenheit haben, sich zu erholen und frische Kräfte zu sammeln. So hatte ich es von Anfang an vor. Seid Ihr nun zufrieden?"
"Und warum habt Ihr das dann nicht gleich gesagt?", fragte Maziroc, ohne auch nur zu versuchen, seine Verärgerung zu verbergen. "Dann hätten wir uns dieses Gespräch wirklich sparen können, und die Männer hätten erst gar nicht begonnen, an Euren Entscheidungen zu zweifeln."
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