Das Kätzchen faucht. Ich weiß, dass es mich verstehen kann.
»Tut mir leid«, sage ich ihm. »Bin müde. Ist ja nicht meine Schuld, dass du da oben nicht weitergekommen bist.«
Weil ich aber nicht als zu egoistisch rüberkommen will, schütte ich ein bisschen Wasser in eine Schale und stelle sie auf den Boden. Da hat das Kleine wenigstens was zu trinken.
»Schlafenszeit«, gähne ich. Ich klettere in meine Hängematte und mache mich sofort auf ins Land der Träume.
Miau. Miau.
Ich blinzele und starre in große gelbe Augen mit großen schwarzen Pupillen. Barthaare streichen meine Wangen.
Ich stöhne und schließe wieder die Augen. Es fühlt sich viel zu früh an.
Miau.
»Sei still« murmele ich und stecke meinen Kopf unter das Kissen.
Daraufhin beginnt das Kätzchen mein Hemd mit seinen Krallen zu bearbeiten. Toll. Ein Wecker mit Krallen. Die schlimmste Erfindung, die je gemacht wurde.
»Hau ab«, grummele ich, aber die Katze rührt sich nicht vom Fleck. Wahrscheinlich hat sie Hunger.
Ich atme tief durch. Es ist ein Kater. Normalerweise lasse ich keine männlichen Wesen in mein Bett. Ich schlafe mit ihnen in ihrem eigenen und verlasse sie vor Tagesanbruch. Das ist meine Regel. Keine Beziehungskisten. Zum Glück ist dieses Männchen kein Mensch.
Miauuu.
»Also gut.« Ich seufze theatralisch und setze mich auf, überrasche damit das Kätzchen. Es fällt kopfüber und landet in meinem Schoß, miaut dabei empört.
Der Kleine wird von mir keine Entschuldigung zu hören kriegen. Ist schließlich seine Schuld, was macht er auf meiner Brust.
Ich gähne laut, nehme ihn hoch und steige aus der Hängematte. Normalerweise würde ich mich jetzt erst anziehen, aber der kleine Kater verlangt weiter etwas zu fressen. Ich lass mich einfach zu leicht manipulieren.
Ich nehme ihn mit nach unten in die Küche. Im Haus ist alles still, wir sind offenbar die ersten, die aufgestanden sind.
»Schau weg«, warne ich ihn, bevor ich die eine Schranktür öffne, hinter der sich Stapel von Katzenfutter verbergen. Das ist mein gut gehütetes kleines Geheimnis. Sogar für mich riecht das sehr appetitanregend, aber ich habe meine Katzenseite unter Kontrolle und kann der Versuchung widerstehen. Ich schütte etwas von dem Futter in eine Schüssel und stelle sie dem Kleinen hin. Er frisst gierig, ich schaue amüsiert zu.
Während er sein Frühstück genießt, mache ich mir gebackene Bohnen auf Toast. Es ist einer dieser Tage. Irgendwie sehen die Bohnen fast wie Dosen-Katzenfutter aus. Bin mir nicht sicher, ob sie das mehr oder weniger verführerisch machen.
Miau.
Er hat sein Futter schon verschlungen und scheint immer noch hungrig zu sein. Katzen halt. Gierige Schlingel.
Ich grinse und gebe ihm noch etwas. Ich möchte ihm gern einen Namen geben, aber wahrscheinlich hat er schon einen. Um das herauszufinden, müsste ich mich verwandeln, bin aber nicht in Stimmung. Ich weiß, dass die Katzen mich verstehen können, wenn ich menschliche Gestalt habe; umgekehrt kann ich nur verstehen, was sie mit ihrem Miau meinen, nicht aber die eigentlichen Wörter.
Vielleicht mache ich das mit der Wandlung später. Aber bis dahin ist er wahrscheinlich schon wieder verschwunden. Es sei denn, Lily hat recht und ich habe den örtlichen Katzen schon beigebracht, dass sie nur hierher kommen müssen, wenn sie etwas zu fressen wollen. Aber da kann ich nichts dran ändern.
Plötzlich schießt mir ein Gedanke durch den Kopf, und ich hätte fast selbst miaut. Ich glaube, ich hatte gerade eine fantastische Idee.
Ich beuge mich zu dem kleinen Kater hinunter. Er ignoriert mich, damit beschäftigt, die letzten Krümel zu fressen. Keine Ahnung, wie der zwei Schüsseln Katzenfutter in dieser Geschwindigkeit vertilgen konnte. Sogar ich hätte dafür länger gebraucht.
»Hey, Kleiner«, sage ich ruhig. »Wollen wir ein Geschäft machen?«
Seine Ohren zucken, aber er frisst weiter.
»Wie wär’s, wenn ich dir jeden Tag was zu fressen gebe und du im Gegenzug für mich ein paar Dinge erledigst? Dir bestimmte Orte vornimmst und die auskundschaftest? Mir sagst, ob da Menschen rumlungern? So was in der Art?«
Ich spüre, wie er darüber nachdenkt, er ist aber noch zu sehr mit seinem Futter beschäftigt. Seufzend warte ich, bis er fertig ist.
Er wischt sich mit der Vorderpfote übers Gesicht – so süß, mein Herz schmilzt nur so dahin. Das ist zu viel für mein kaltes Mörderherz. Ich sollte mich nicht mit Katzenbabies einlassen. Die verursachen bei mir totale Gefühlsduselei.
»Also, was meinst du?« frage ich. »Willst du für mich spionieren?«
Auch wenn ich mich nicht verwandelt habe, spüre ich doch seine Zustimmung und grinse. Ich habe gerade einen Spion gewonnen, den nie jemand verdächtigen würde. Klar, er wird mir nicht sagen können, worüber die Menschen, die er antrifft, gesprochen haben, aber er kann Dinge ausspähen. Katzen sieht man schließlich überall, und die meisten Menschen beachten sie nicht weiter. Sehr wenige Menschen wissen, dass ich mit ihnen sprechen kann. Das wird so geil.
Ich lese den kleinen Kater auf und trage ihn zur Eingangstür.
»Komm morgen wieder, dann bekommst du Futter und einen Auftrag.«
Er schaut mich mit einem so intelligenten Ausdruck an, dass ich keinerlei Zweifel habe - unsere Zusammenarbeit wird ein voller Erfolg werden.
Plötzlich habe ich das Bild anderer Katzen vor Augen.
Ich lächle. »Ja, du kannst auch deine Freunde mitbringen, falls die Interesse haben.«
Er dreht sich um und rennt davon, ohne sich noch einmal nach mir umzuschauen. Katzen beachten mich meist mehr als sie andere Menschen wahrnehmen, aber sie wollen trotzdem nicht zahm oder emotional bedürftig erscheinen. Ihr Wort halten sie aber immer. Katzen können manchmal etwas hinterlistig sein, halten damit aber wenigstens nicht hinter dem Berg.
Ich gehe ins Haus zurück und frühstücke. Die Bohnen sind kalt, der Toast ist durchgeweicht, aber egal. In Gedanken mache ich schon Pläne für ein Katzennetzwerk im Untergrund. Ich muss dringend noch Katzenfutter bestellen. Lily wird das nicht gefallen, aber sie wird bald den Vorteil davon erkennen. Es liegt in ihrer Natur, Katzen nicht zu mögen, aber immerhin mag sie mich. Ich bin ihre beste Freundin, und umgekehrt.
Ich gähne und stelle meinen Teller in die Spüle, in der Hoffnung, dass jemand ihn abwaschen wird. Eher unwahrscheinlich, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich muss mich um Wichtigeres als schmutziges Geschirr kümmern.
In meinem Büro lege ich wie immer die Füße auf den Schreibtisch und nehme die erste Akte vom Stapel. Darin starrt mich ein Foto des Mordopfers an. Auf dem Bild ist der Mann noch am Leben, aber sein Blick ist seltsam gejagt, angstvoll. Entweder hat er immer Angst gehabt oder speziell vor der Person, die das Foto gemacht hat. Ich setze neben das Bild ein kleines Fragezeichen. Das ist doch schon mal ein guter Ausgangspunkt für die Ermittlung.
Der Bruder des Opfers hat auf die nächste Seite eine kurze Aussage geschrieben. Laut ihm war Winston Kindler ein ruhiger, zurückgezogen lebender Mann mit wenigen Hobbies. Er ging gelegentlich angeln, sonst gab’s da kaum etwas. Keine Drogen, kein Alkoholmissbrauch. Keine Spielsucht – ein so langweiliger Typ, dass ich beim Lesen fast einschlafe. Alles, was Winston gemacht zu haben schien, war, in seinem Bonbonladen zu sitzen oder zu Hause. Ich denke, dem Laden muss ich als erstes einen Besuch abstatten.
Bis jetzt gibt’s jedenfalls keinen Grund, warum ihn irgendjemand hätte umbringen sollen.
Auf einem Notizblock schreibe ich ein paar Anweisungen für Benjamin: Bankkonten, Polizeiregister, Krankenakten.
Benjamin ist ein Dieb, der beste, und er wird leicht an diese Infos rankommen. Wir brauchen niemanden um diese Dokumente zu bitten. Ist doch viel leichter, sie zu stehlen. Vielleicht ergeben sich ein paar neue Anhaltspunkte, wenn er die Sachen besorgt hat, aber im Moment bleibt mir nichts übrig, als den Laden und den Tatort zu besichtigen. Hört sich nicht besonders spannend an. Jedenfalls nicht nach so viel Spaß wie ein guter Mord. Aber dann erinnere ich mich wieder an diesen wunderbaren Blankoscheck und bin auf einmal der Meinung, es gäbe kaum etwas Schöneres, als einen Süßwarenladen aufzusuchen.
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