»Ich glaube nicht, dass mein derzeitiger Auftraggeber « – ich betone das Wort, weil ich Boris eigentlich nie so bezeichnen würde – »mich einfach so gehen lässt. Er hat in mich investiert, hat mich ausgebildet. Der wird es kaum hinnehmen, dass ich weggehe und meine eigene Agentur gründe.«
»Mach dir darüber keine Gedanken«, sagt der Mann ungerührt. »Der wird dir nicht in die Quere kommen. Was du überlegen musst ist, wen du einstellen willst. Ich habe viele Aufträge für dich, die kannst du unmöglich alle allein erledigen. Du kannst klein anfangen, aber ab einem gewissen Punkt wirst du ähnlich viele Angestellte haben wie dein jetziger Manager.«
Auftraggeber, Manager – verwendet er das als Phrasen oder denkt er wirklich, dass das so läuft? Sklaventreiber wäre ein treffenderer Ausdruck. Besitzer. Wir haben uns schließlich nie um diesen Job beworben. Es gibt dafür auch kein Gehalt. Will dieser Mann, dass ich die Dinge wie Boris erledige oder doch anders mache?
»Du findest alles was du brauchst im Büro, einschließlich deines ersten Falls. Du kannst dir die Dinge einteilen, wie du willst, aber meine einzige Bedingung ist, dass meine Aufträge immer Vorrang vor allen anderen haben. Im Gegenzug bekommst du das Haus, ein bisschen Bargeld und natürlich ein Leben ohne Halsband. Bist du einverstanden?«
Da muss ich nicht zweimal drüber nachdenken. Nicht, dass ich mit allem wirklich einverstanden wäre, was er verspricht. Ich erwarte auch gar nicht, dass er seine Versprechen hält. Aber nein, ich bin gut darin, Leute zu hintergehen. Ich bin sehr gut. Und egal, was er glaubt über mich zu wissen, das einzige, was ich wirklich gut kann, ist, auf mich selbst aufzupassen.
Kapitel 1
6 MONATE SPÄTER
Er riecht nach Angstschweiß. Ich schlage die Beine übereinander, die Füße auf dem Schreibtisch, hinter dem ich Platz genommen habe. An dem ich mich rumfläze, wäre der bessere Ausdruck. Schlamm tropft von den Sohlen meiner Stiefel. Ich muss das später sauber machen; aber jetzt unterstützt es erst mal das knallharte Image, das ich mir geben will. Mit mir ist nicht zu spaßen. Mir sind Regeln, Konventionen und Kleiderordnungen egal. Während der Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs einen makellosen Anzug trägt, sitze ich da in meinen Leder-Leggings und einer Tunika. Leggings, weil die mich nicht am Kämpfen oder Dächer-Springen hindern und eine Tunika, weil sie länger ist als ein normales Hemd und man folglich mehr Platz hat für versteckte Taschen. Alles in schwarz, selbstredend. Blutflecke sind verdammt schwer aus Kleidungsstücken rauszukriegen. Ich bin nun mal praktisch veranlagt.
Mein Haar ist unter der schwarzen Kappe verborgen, die ich neuerdings immer trage. Ich bin der Meinung, sie gibt mir das mysteriöse Etwas, obwohl Lily ständig nervt, ich soll das Ding abnehmen. Das Mädchen hat einfach keinen Sinn dafür, wie wichtig es ist, mit seinem Outfit eine Botschaft zu senden. Leg dich nicht mit mir an – das soll meine Kleidung ausdrücken. Besonders die schlammverschmierten Stiefel auf dem Schreibtisch.
Der Mann räuspert sich.
»Sie wurden mir sehr empfohlen«, sagt er zögerlich, als sei er sich nicht ganz sicher, ob er jetzt sprechen darf.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Wer hat mich empfohlen?«
Er reißt die Augen auf. Wie das Kaninchen vor der Schlange. Er hat Angst, aber nicht nur vor mir.
»Kontakte«, sagt er ausweichend. »Ich bin bereit zu zahlen, was Sie verlangen.«
Sofort steigen die Preise auf meiner Liste um das Zehnfache. Ich liebe reiche Klienten. Sie wollen selten wissen, was ich Leuten mit weniger Geld berechne.
»Was genau wollen Sie von mir?« frage ich und sehe ihn mir genauer an. Er sieht nicht wie jemand aus, der normalerweise mit Killern umgeht. Er sieht eher wie ein Bürohengst aus, der über Dinge aus der Schattenwelt höchstens in der Zeitung liest.
»Mein Bruder wurde getötet. Ich möchte, dass Sie herausfinden, wer das getan hat.«
Nun richte ich mich doch ein wenig auf. »Da sind Sie hier aber an der falschen Adresse, Mister« sage ich mit leicht verächtlicher Stimme. »Ich suche keine Mörder. Ich beauftrage sie.«
Er zuckt sichtlich zusammen. »Sobald Sie den Mörder meines Bruders gefunden haben, können Sie den Kerl gerne umbringen.«
Ich spitze die Lippen. Das ist ungewöhnlich. Das ist doch tatsächlich mal etwas Neues. Ich mache den Job jetzt seit einem halben Jahr, und das sehr erfolgreich, aber bisher hat mich niemand darum gebeten, einen Mörder zu finden.
»Und was, wenn einer meiner Leute Ihren Bruder umgebracht hat?« frage ich, nehme jetzt doch die Füße vom Tisch und sehe in meinen Akten nach. »Wie heißt er?«
»Ich glaube nicht, dass es ein Profikiller war«, murmelt er und sieht mir nicht in die Augen. »Es schien nicht geplant zu sein und war sehr brutal.« Er schüttelt sich etwas. »Da war sehr viel Blut.«
Interessant. Er hat Recht, hört sich nicht nach einem Profi an. Es gehört zu unserem Berufsethos, den Tatort möglichst sauber zu hinterlassen. Wir wollen es der Polizei doch nicht zu leicht machen.
»Wie heißt er?« frage ich noch einmal.
»Winston Kindler. Krämerstraße 14B. Er hatte da einen Süßwarenladen.«
Süßigkeiten? Vielleicht sollte ich diesen Fall selbst übernehmen. Klingt vielversprechend.
Ich blättere durch meine Karteikarten, bin mir aber schon sicher, da keinen Kindler zu finden. Auch wenn ich nicht jeden Job selbst erledige, habe ich doch immer mit allen Kunden direkt zu tun. Und ich erinnere mich an die Namen unserer Zielpersonen.
»Was macht die Polizei?« frage ich abwesend.
»Nichts«, sagt er, und der Ärger ist hörbar. »Die glauben, es war ein Überfall, aber seine Brieftasche war noch da. Die Kasse war leer, aber der Safe völlig intakt. Es war noch früh am Tag, also wären sowieso kaum Einnahmen da gewesen. Ergibt überhaupt keinen Sinn.«
Ich nicke. »Tun wir mal so, als ob ich diesen Fall annehmen würde. Über was für ein Honorar reden wir da?«
Zum ersten Mal, seit er mein Büro betreten hat, lächelt er.
»Wie wär’s mit einem Blankoscheck?«
Im Kühlschrank liegt ein Kopf. Ich seufze. Nicht schon wieder.
»Lily!« rufe ich. »Ich hab dir doch gesagt, keine Leichenteile in der Küche!«
Meine Freundin lacht. »Bis du das Kühlaggregat im Leichenraum repariert hast, ist das der einzige Ort, an dem wir sie aufheben können.«
Ich stöhne auf. Wir haben jetzt schon seit zwei Monaten Probleme mit dem Kühlraum. Immer wenn ich denke, es ist alles in Ordnung, funktioniert er wieder nicht. Es ist wie verhext – oder ein Spuk?
»Ich kümmere mich drum«, verspreche ich. »Wir haben gerade einen echt reichen Kunden an der Angel, da können wir uns zur Abwechslung mal einen richtigen Handwerker leisten.«
Nicht den coolen Typen aus dem Eckhaus, der das kostenlos gerichtet hat, weil er sich einen Kuss von Lily dafür versprochen hat. Er hat die Sache wahrscheinlich verschlimmert. Und natürlich von Lily keinen Kuss bekommen. Lily steht nicht auf Männer, auch wenn sie ihnen das nicht auf die Nase bindet. Sie nutzt die Vorteile, die ihr ihr gutes Aussehen verschafft.
Ich schließe den Kühlschrank, weil ich nicht länger in die toten Augen des Frauenkopfes starren will. Um genau zu sein, fehlt ein Auge. Das ist zwar nicht genug, um mir den Appetit aufs Abendessen zu verderben, sieht aber auch nicht gerade anregend aus.
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