Noch immer gibt es viele Sportlerinnen, die sich nicht outen. Aus Angst vor negativen Reaktionen innerhalb der Familie oder des Sportklubs, aber auch, um Sponsoren nicht zu verlieren. Andere gehen mit ihrer Homosexualität offen um. Wir möchten mit diesem Buch aufzeigen, wie vielfältig die Biografien lesbischer Athletinnen sind. Jede Frau hat ihre eigene Geschichte, mit ihren schönen und schwierigen Momenten. Unser grosser Dank gilt jenen mutigen Sportlerinnen, die uns ihr Vertrauen geschenkt und uns in sehr persönlichen Interviews aus ihrem Leben erzählt haben, uns einen nahen und intimen Einblick gewährt haben. Hie und da flossen Tränen, weil das Erlebte auch Jahre später noch schmerzhaft sein kann. Das uns entgegengebrachte Vertrauen hat uns berührt und beeindruckt.
Dieses Buch ist eine Herzensangelegenheit, geschrieben und erarbeitet mit viel Leidenschaft und Freude. Dies wünschen wir nun auch Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser – viel Freude bei der Lektüre.
Auf dass wir alle mehr Vorbilder haben – und weniger Vorurteile!
Über lesbische Heldinnen im Spitzensport
Marianne Meier
Tränen, Umarmungen und Küsse nach errungenen Siegen oder bitteren Niederlagen – Emotionen sind das Highlight einer jeden Sportberichterstattung. Solche öffentlichen Gefühlsbekundungen im Ziel oder auf der Tribüne sind häufig heterosexuellen Sportstars vorbehalten. Sport wird oftmals als Spiegel der Gesellschaft bezeichnet. Durch seine Popularität und die mediale Öffentlichkeit vermag er Trends zu setzen, aber auch Diskriminierungen wie Sexismus, Rassismus oder Homophobie zu thematisieren.
Diese Einführung ordnet frauenliebende Frauen und Spitzensport im wissenschaftlich-historischen Kontext ein. Nebst internationalen Richtlinien gegen Homophobie im Sport geht es auch um die Sichtbarkeit lesbischer Frauen im Spitzensport und deren Entwicklung in den letzten Jahren, mit speziellem Fokus auf die Schweiz. Zudem werden Voraussetzungen aufgezeigt, die sportliche Grössen zu Vorbildern werden lassen, und Funktionen dargelegt, die diese Personen einnehmen können.
Weshalb braucht es dieses Buch?
Die Sporthochschule Köln hat im Mai 2019 Resultate der Outsport-Studie veröffentlicht. Dabei wurden 5524 Menschen in 31 europäischen Ländern befragt. Es ging darum, herauszufinden, welche Massnahmen gegen Homophobie und Transphobie im Sport zu ergreifen sind. Die Studie kam zum Ergebnis, dass vor allem Sportstars, die offen zu ihrer Sexualität und/oder Geschlechtsidentität stehen, eine wichtige Rolle als Vorbild spielen können. 1Auch einige Autorinnen dieses Buches hätten sich in ihrer Jugend lesbische Sportvorbilder gewünscht, nur schon weibliche waren selten. Dabei ist es müssig zu spekulieren, ob es frauenliebende Athletinnen damals wirklich gab. Auf jeden Fall waren sie nicht sichtbar und sind es bis heute nur begrenzt. Entsprechend den gängigen Klischees sind die heute bekannten homosexuellen Topathletinnen in Sportarten wie etwa Fussball aktiv, die in unseren Breitengraden als «typisch männlich» bezeichnet werden. Dieses Buch zeigt auf, dass frauenliebende Protagonistinnen in allen Sportarten zu finden sind, und möchte diesen ein Gesicht und eine Stimme geben. Gerade im Sport dominieren immer noch starre Vorstellungen, wie man und frau zu sein hat. Insbesondere der Spitzensport wird von wirtschaftlichen Interessen sowie einem patriarchalen Weltbild beherrscht. Dagegen schreiben wir fünf Autorinnen an. Obwohl die Ablehnung von Lebensentwürfen, die nicht der althergebrachten Norm entsprechen, im Jahr 2020 in der Schweiz eigentlich kein Thema mehr sein sollte, ist dieses Anderssein nach wie vor mit Unbehagen, Befremden und Unwissen behaftet. Dieses Buch zeigt die Hintergründe und die Komplexität des Lesbischseins im Sportbusiness auf und stellt gleichzeitig die erfrischende Vielfalt einem breiteren Publikum vor. Die ehemalige stellvertretende Generaldirektorin der SRG, Ladina Heimgartner, bringt die Notwendigkeit dieser Publikation auf den Punkt: «Es braucht Bücher wie dieses, damit es Bücher wie dieses in Zukunft einmal nicht mehr braucht.»
Wer sind die Akteurinnen dieses Buches?
Dieses Buch befasst sich mit frauenliebenden Spitzensportlerinnen in der Deutschschweiz. Bewusst wurde darauf geachtet, dass möglichst verschiedene Sportarten und Altersgruppen vertreten sind. Als Methode haben sich die Autorinnen für die Oral History entschieden, um den eigenen Erzählungen und Sichtweisen der porträtierten Frauen in offen geführten Interviews möglichst viel Raum zu geben. 2Als Spitzensportlerin wurde eingestuft, wer jemals in der höchsten schweizerischen Liga einer Sportart aktiv oder Mitglied eines Nationalkaders war oder ist. Der Profistatus war dabei kein Kriterium. Insbesondere im helvetischen Frauensport gibt es sowieso nur wenige Athletinnen, die vom Sport leben können. Gerade in Randsportarten wie Orientierungslauf oder Kanu bedeuten sportliche Höchstleistungen für Frauen und Männer keine finanzielle Absicherung. Bei in der Schweiz beliebten Teamsportarten wie beispielsweise Fussball oder Eishockey haben nur die Männer in der obersten Liga finanziell quasi ausgesorgt. Als Paradebeispiel für diesen eklatanten Geschlechterunterschied im gleichen Sport sorgte im November 2018 der FC Basel. Während das Männerteam beim Galadinner sass, verkauften die FCB-Spielerinnen beim gleichen Jubiläumsanlass Tombolalose und erhielten danach in einem Nebenraum Sandwiches. 3Die Definition von Spitzensport muss also relativiert werden und unterscheidet sich, je nach Geschlecht, enorm bezüglich des gesellschaftlichen Stellenwerts und natürlich des Lohnes.
Nebst der sportlichen Höchstqualifikation wird die Gruppe der porträtierten Athletinnen auch durch ihre sexuelle Orientierung definiert. Dabei geht es um homosexuelle Menschen, die als Frauen gelesen werden möchten. In einer verkürzten Form wird im Buch von «lesbischen Frauen» geschrieben, aber dieses Kriterium ist sehr breit zu verstehen und beinhaltet zum Beispiel auch bisexuelle oder queere Frauen. Obwohl die porträtierten Sportlerinnen mit Frauen liiert sind oder waren, bezeichnen sich selbst nicht alle als lesbisch. Um eine Schubladisierung zu vermeiden, verwenden die Autorinnen daher auch den inklusiveren Begriff «frauenliebend».
Wie wurden die in diesem Buch porträtierten Frauen ausgewählt? Die genannten Kriterien der frauenliebenden Spitzensportlerin bildeten den Ausgangspunkt. Die Auswahl geschah nach dem Schneeballprinzip und stützte sich auf das breite Netzwerk der fünf Autorinnen. Es ging darum, mutige Frauen zu gewinnen, die bereit waren, ihre privaten Lebensgeschichten inklusive Fotoporträt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nebst Sportarten und Alter gab es grosse Bemühungen, zusätzliche intersektionale Aspekte zu berücksichtigen. Eine porträtierte Schweizer Athletin hat türkisch-italienische Wurzeln und stammt aus einem muslimisch-katholischen Elternhaus. Doch es ist wohl kein Zufall, dass beispielsweise lesbische Women of Colour im Schweizer Spitzensport kaum sichtbar sind respektive nicht sein möchten.
Bei der sogenannten Intersektionalität geht es um die Überschneidung verschiedener Formen der Diskriminierung und Privilegierung in einer Person. Die Realität einer lesbischen Spitzensportlerin könnte durch eine körperliche Beeinträchtigung oder das Tragen eines Kopftuches aufgrund der Religion anders aussehen. Die verschiedenen Formen der Diskriminierung oder der Bevorzugung sind miteinander verflochten und können sich gegenseitig auch abschwächen oder verstärken. Die Judo-Olympiasiegerin von Rio 2016, Rafaela Silva, sah sich zum Beispiel nach den verpatzten Sommerspielen in London 2012 in ihrem Heimatland Brasilien mit massiven Anfeindungen konfrontiert. Aufgrund ihrer Favela-Herkunft und Hautfarbe wurde sie in den Medien rassistisch verunglimpft. 4Zwei Tage nachdem sie 2016 in Rio die Goldmedaille gewonnen hatte, gab sie ihr Coming-out. Sie sagte, dass sie sich durch ihren Erfolg weniger angreifbar fühle. 5Trotz der klaren Notwendigkeit, über alle Facetten von Sport und LGBTIQ+ zu schreiben, haben sich die Autorinnen dieses Buches entschieden, den Fokus auf homo- und bisexuelle Spitzensportlerinnen zu legen, welche auf diese Weise sichtbarer werden und eine Vorbildfunktion einnehmen können.
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