Ich habe für meine Schulkinder Gedichte zu vielen Lebensfragen des kindlichen Alltags geschrieben, zu allen Sinnen, Gefühlen, zu zwischenmenschlichem Verhalten. Wir haben an Hand der Gedichte gemeinsam nachgedacht, Schlüsse für unser Leben gezogen. Die Gedichte erschienen später im Baden-Verlag unter dem Titel «Mut ist gut» – bebildert mit Zeichnungen der Kinder.
Du bist ein Fluss
ich bin ein Baum
wie wunderbar
Selber hatte ich nie einen Kinderwunsch. Ich war eine gute Lehrerin, aber ich wäre mit meinem Hintergrund keine gute Mutter geworden.
Neben meinem Beruf war ich noch immer einsam. In einer schönen Wohnung zwar, aber allein, und ich litt zunehmend darunter. Mit Ende Dreissig fuhr ich einmal nach Zürich und besuchte eine Frauenbar. Dort schaute ich mich um, fand mich aber in diesem Milieu nicht zurecht.
In meinem Alleinsein kam mir die Möglichkeit einer Ausbildung zur Erwachsenenbildnerin sehr gelegen. Ich stieg mit Begeisterung ein, und ich legte von Anfang an offen, dass ich Frauen liebe. Das befremdete zwar einige, andere aber schätzten meine Offenheit. Die Ausbildungsgruppe bestand fast ausschliesslich aus Frauen. Mit ihnen erlebte ich Schwesterlichkeit und entdeckte so etwas wie eine gesellige Ader in mir. Ich tanzte gern, in meinem eigenen Rhythmus natürlich, ich lachte gern und war schlagfertig.
Unter diesen Frauen fiel mir eine auf. Sie hatte einen fliessenden, weichen Gang wie eine Katze und langes, blondes Haar wie eine Prinzessin. Sie war für mich wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Befremdlich war mir allerdings ihr ständiges Lächeln, und ich begann mich zu fragen, was wohl dahinterstecken mochte. In einer Zweierarbeit sprach ich Eva auf dieses Lächeln hin an. Eva sagt heute, für sie sei diese Frage so etwas wie ein Türöffner zu sich selbst gewesen. Sie habe nicht damit gerechnet, dass jemals jemand hinter ihre heile, glückliche Fassade zu sehen vermöchte. Wir hatten jedoch weiterhin wenig miteinander zu tun, zu sehr stammte Eva aus einem anderen, gutbürgerlichen Umfeld. Sie war verheiratet, hatte Kinder und war hoch angesehen. Sie und ich? Nein, wir passten überhaupt nicht zusammen. Ich, zwar Lehrerin, aber «dem Teufel vom Karren gesprungen», und Eva eine Prinzessin … Im Nachhinein erscheint mir das wie eine Froschkönig-Situation. Gelegentlich fühle ich mich auch heute noch als ein von der Wand gefallener Prinz, entzaubert, erlöst vom Froschsein.
Damals griff der Zufall ein. Während einer Weiterbildungswoche ergab es sich, dass Eva und ich im selben Zimmer untergebracht waren, und es entstand zwischen uns eine Atmosphäre absichtsloser Zärtlichkeit, die unsere Tage unausgesprochen verklärte. Am Ende dieser Woche nahm ich sehr schweren Herzens von Eva Abschied. Als Symbol für meine Befindlichkeit malte ich eine trauernde, einsame schwarze Katze. Beim Anblick dieser Katze erschrak Eva, nicht ahnend, dass diese Katze noch eine verheissungsvolle und denkwürdige Rolle für uns spielen würde. Eva fürchtete eine zu grosse Anhänglichkeit von meiner Seite, sodass sie mir von zu Hause aus umgehend einen Brief schrieb, dass in ihrem Leben kein Platz sei für einen näheren Kontakt zu mir. Ich antwortete ebenso umgehend, auch ich sei gebunden, wenn auch auf Distanz.
Nachdem wir uns so klar positioniert hatten, sahen wir uns gelegentlich ganz unverbindlich. Vermutlich waren wir beide überrascht, wie wohl wir uns fühlten in der gegenseitigen Anwesenheit. Ganz leicht und unbeschwert. Alles schien geklärt zwischen uns. Dann, am 31. Januar 1981, verabredeten wir uns zwanglos bei Eva zu Hause. Eva wollte eigentlich mit mir reden, und ich wollte schweigen. Wir hielten uns bei den Händen. Als wir uns um 23 Uhr schüchtern und aufgeregt küssten, erlosch das Licht in der ganzen Stadt. Ausser dem Licht einer Kerze auf dem Klavier war es stockfinster.
Am nächsten Tag war in der Zeitung zu lesen, dass eine Katze ins Transistorenhäuschen geraten sei und das habe die ganze Stadt in Dunkelheit gehüllt. Im Moment, als wir uns küssten, ist die schwarze Katze, Symbol meiner Einsamkeit, gestorben. Für mich ist das die schönste Liebesgeschichte der Welt.
Dieser Abend hatte entscheidende Folgen für unser beider Leben. Wir machten uns auf einen gemeinsamen, lebenslangen Weg. Es gab kein Zurück mehr. Für mich war die Aufgabe, die sich in der Folge stellte, vergleichsweise einfach: Ich lenkte mein schwankendes Lebensschiff in einen sicheren Hafen. Eva dagegen musste sich aus sehr engen Verflechtungen lösen, um freie Fahrt für ihr Leben zu gewinnen. Sie war sehr bürgerlich eingebunden, sie war Ehefrau und Mutter. Doch sie hat den Schritt gewagt.
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Wir waren anfänglich unterwegs wie zwei Kinder, Brüderchen und Schwesterchen, in einem verwunschenen Wald, und wir versuchten uns gegenseitig vor Gefahren und vergifteten Brunnen zu bewahren. Eva war damals in vielen Handlungen blockiert. Sie hatte gelernt, abzuwarten und zu reagieren. Wir haben unterschiedliche Temperamente. Ich sprang in diese Lücke, wurde überaktiv, und das schaffte natürlich Konfliktpotenzial.
Für mich war Eva von Anfang an das Zentralgestirn, um das ich kreiste, und wir erlebten am Anfang unserer Beziehung eine Zeit himmelhochjauchzender Freude. Ich wünschte mir nichts mehr, als Eva glücklich zu machen. Im Gegenzug sollte sie mich meiner Existenz vergewissern. Das war für uns beide eine zu grosse Aufgabe. Wir mussten einsehen, dass wir uns nicht gegenseitig erlösen konnten. Allerdings ist Eva auch heute noch meine hilfreichste Begleiterin, wenn ich in Melancholie zu versinken drohe, oder wenn ich mich in Selbstzweifeln verheddere.
Wir machten beide eine langjährige Therapie. Dort habe ich vor allem die Geschichte mit meinem Vater aufgearbeitet. Später stellte sich heraus, dass auch Eva eine Inzestgeschichte mit ihrem Grossvater zu verarbeiten hatte.
Letztlich haben wir gelernt, mit unseren Unterschiedlichkeiten zu leben und uns gegenseitig zu ergänzen und zu bereichern. Eva soll ihre Stärken bei mir leben können. Es entlastet mich, wenn ich eine starke Partnerin an meiner Seite habe.
Doch zurück zu dem, was äusserlich passierte. Kurz nachdem wir uns füreinander entschieden hatten, kauften wir mutig gemeinsam ein Haus. Das war 1982, ich war gerade 44 Jahre alt. Dieses Haus mit Garten war unser Paradies: Voller Rosen, Rhododendren, mit Apfel- und Aprikosenbäumen. Erst nachdem ich mit Eva zusammenzog und wir uns diesen Boden geschaffen hatten, der getragen hat, bin ich wirklich auf die Welt gekommen.
Mit fünfzig Jahren reisten Eva und ich nach Big Sur in Kalifornien, an das Esalen-Institut. Hier fand ich den Weg zur bildenden Kunst, ein weiterer Wendepunkt in meinem Leben. Ich begegnete einem Maler, der mein Mal-Feuer weckte mit dem denkwürdigen Satz: «Es gibt einen Platz in der Hölle für Malerinnen, die ihren Auftrag nicht erfüllt haben.»
Er machte Druck mit den Worten: «Wenn Malen deine Sehnsucht ist, dann warte nicht, bis du pensioniert bist, dann wird es zu spät sein. Lass dich ausbilden – jetzt!» Mein jüngster Gedichtband, der im Dezember 2014 erschien, heisst passend: «wann wenn nicht JETZT».
Nach unserem Aufenthalt in Kalifornien belegte ich Kurse an der Kunstgewerbeschule in Zürich, absolvierte Fernkurse, setzte mich mit Zeichnen, Perspektiven, Licht, Schatten und Form auseinander. Ich wollte nicht einfach Hobbymalerin sein, ich wollte Malerin sein, das Handwerk von Grund auf lernen. Malen wurde mir zur Berufung. In der Welt der Farben und der Formen bin ich zu Hause. Meine Hingabe ans Malen hat mich nie wieder verlassen. Ich male mit wenigen Ausnahmen täglich. Seit 25 Jahren stelle ich in regelmässigen Abständen in renommierten Galerien aus.
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