Solche Worte schmeichelten dem Brigadier. Aber noch mehr schmeichelte ihm, dass er der obersten Armeeführung offenbar unentbehrlich schien. Denn jener Herr, der im «Sternen» in Grosshöchstetten den Vorsitz des Tisches Nr. 2 innehatte, Divisionär Weidenmann, Chef des Nachrichtendienstes, wandte sich um den Jahreswechsel an ihn mit der Anfrage, ob er bereit wäre, eine Studie über die Zivilverteidigungsmassnahmen in andern Ländern anzufertigen.
Nichts lieber als das. Bevölkerungsschutz war sein Fachgebiet, da machte ihm keiner etwas vor. Und ein solcher Auftrag würde dem kontaktfreudigen Pensionär erst noch Gelegenheit bieten, seine Beziehungen weiterzupflegen, bei den Leuten zu bleiben, den Blick über die Landesgrenze zu werfen.
Am 13. Januar 1976 setzte sich P. B., 5Weidenmanns Adjunkt, mit Jeanmaire telefonisch in Verbindung, um die Einzelheiten des Auftrags zu besprechen: Honorar, Spesen, Befristung, Arbeitsort. Jeanmaire gab sich kulant, man wurde rasch handelseinig. Kurz danach läutete das Telefon erneut bei Jeanmaire. Am Apparat war Verena Ogg. 6
Ogg: Machst Du etwas?
Jeanmaire: Ich schaffe, ja.
O: Ich wollte schauen, ob Du «pfusest».
J: Nein, nein, ich schaffe, ich bin hinter dem Telefon, siehst, nur einmal geläutet.
O: Das ist wunderbar, das ist in Ordnung.
J: Ich will heute mein Papier erledigen.
O: Ja … dann kann man nachher hinter das Andere, gell.
J: Mhm.
O: Mhm. Ist es gut gegangen diesen Morgen?
J: Ja, ich habe sogar den Seppli gesehen.
O: Welcher Seppli?
J: Der Seppli F(V)ischer. 7
O: Ah der Seppli Fischer …
J: Ja, und er hat gesagt: «Was machen Sie da»? hat er mir gesagt, non «que faites-vous là, que faites-vous là».
O: … hat er gemacht.
J: Im Treppenhaus und nachher sind wir in den Gang gegangen und er hat noch lange mit mir gesprochen. Und dann habe ich ihm gesagt, ich ginge zum Weidenmann. «Ja ja, er habe scheints etwas für mich», der Herr Weidenmann, etc. und er hat gefunden, ich sähe gut aus und ob es mir gut ginge, und er glaube, mein Nachfolger habe gut begonnen, hat er mir gesagt, und heute Nachmittag habe er Rapport mit ihnen, nicht wahr.
O: So, ist in Ordnung.
J: Um 14 Uhr, in 10 Minuten, müssen sie in den Saal rein, nicht wahr.
O: Das ist in Ordnung, Du.
J: Voilà,
O: Er soll sie nur bürsten, «die Sieche».
J: Mh, «die dumme Cheibe», nicht wahr.
O: Hahahaha.
J: «Chüe».
O: Ist das etwas, das, was der Weidenmann hat?
J: Ja ja, ich bekomme es schriftlich.
O: Und würde es Dir passen?
J: Es würde mir passen. Ich bekomme ein Büro an der Thunstrasse 22.
O: Ou! das wäre ganz toll.
M: Das ist gerade bei der Tramhaltestelle Luisenstrasse. Ich bin zu Fuss gegangen, schauen gehen, es ist eine alte Hütte, aber sie haben dort ihren Technischen Dienst. 8[…] Also die Bedingungen wären diese: Ungefähre Dauer des Auftrages 6 Monate. 2. 500 Franken pro Monat. 3.
O: Aber das ist noch schön, das zahlt Dir gerade schön die Reise.
J: Und nachher die Reisen Lausanne–Bern unbeschränkt bezahlt.
O: A-a!
J: Und 4. wenn ich in Bern übernachte 40 Stein.
O: Das ist aber toll.
J: Und 5. pro Mahlzeit 20 Franken.
O: Du, das ist aber grosszügig.
J: Voilà.
O: Aber, und es interessiert Dich, der Job an und für sich? […]
J: Ja, nicht wahr, ich muss prospektieren, einfach ein Inventar machen über die Massnahmen, die getroffen werden, zuerst einmal in allen Staaten, wo wir Vertreter haben […]. Und zweitens, in allen anderen möglichen Staaten – und da habe ich schon wieder Glück gehabt, etwas wahnsinniges, als ich zum Bundeshaus herausgekommen bin, läuft vorbei der Colonel Jacques Frémond. 9Der Jacques Frémond ist bei mir Generalstäbler geworden im Jahre 47 mit dem Zermatten.
O: Ja.
J: Ist ehemaliger Regimentsoberst, ist Professor und Direktor der Ecole Internationale Politique in Genf […] und Oberst im Generalstab: «Qu’est-ce que tu fais, mon cher Jean-Louis, j’ai cru que tu étais en retraite. Tu sors du Département Militaire fédéral?» J’ai dit, «oui, je viens de recevoir une nouvelle mission.» Und er ist ja sogar Direktor des Roten Kreuzes gewesen, vor zwei Jahren ausgetreten, ist aber noch im Verwaltungsrat drin, und er hat ja mit der relation internationale saumässig viel Beziehungen. […] Und er hat gesagt: «Je te conseille, 1. (Pause, weil O. rasch weg musste) Und da habe ich gleich auf meiner La Suisse notieren können und jetzt habe ich es bereits hier auf einem Kärtli notiert, die Nr. vom Oberst im Generalstab de Mülinen, der ist im Roten Kreuz und hat Beziehungen mit allen Ländern der Erde.
O: Das ist natürlich Schwein.
J: Und kann gerade zu ihm gehen, nachher die zweite Adresse, der Rubli, der ist Arzt in Zürich, ist gegenwärtig in Schuls im Guardaval. 10
O: Hahahahaha.
J: Und da haben wir gelacht, und er hat mir gesagt, ich soll zum Rubli gehen, der Rubli ist ja in Vietnam gewesen, überall, er hat gesagt, er kennt alle Völker der Erde, der könne mir Adressen und Zeugs und Sachen geben, an wen ich mich wenden kann, nicht wahr. Voilà!
O: Das ist gut, du, da bin ich also froh für Dich. Weisst, da regst Du Dich nicht auf, Du kannst komplett frei machen.
J: Keine Beschwerden und nichts […].
O: Genau, also etwas besseres könnte Dir nicht passieren.
J: Mhm-mhm, nein.
O: Das ist fein. Aber bei Dir ist man d’accord daheim?
J: Ja ja, sehr.
O: So.
J: Sehr sogar.
O: Ah, dann ist das in Ordnung.
J: Nein nein, meine Frau selber und der Arzt hat es mir auch gesagt, es sei besser, ich mache noch etwas als Übergang als einfach anzufangen herumzusaufen, nicht wahr. 11
Wenig später konnte er sich eines weiteren Zeichens seiner Unentbehrlichkeit erfreuen. Brigadier Schuler, Direktor der Abteilung Militärwissenschaften an der ETH Zürich, fragte an, ob er im Sommersemester 1977 eine Freifachvorlesung über «Zivilschutz in der Schweiz und im Ausland» halten wolle. 12
Für Jeanmaire hätte der Wechsel in den Ruhestand kaum idealer beginnen können. Geehrt, umworben und erst noch die Aussicht, mit einem kleinen Pensum die Rente ein bisschen anzuheben. Was hätte ihm Besseres widerfahren können?
Dieser glückliche Mann hatte allerdings nicht die leiseste Ahnung, dass er landesweit auch der am schärfsten beobachtete Mann war. Selbst an jenem Morgen des 25. November 1975, als er um 7 Uhr das Haus verlassen hatte, zum Büro und anschliessend zur Guisan-Kaserne fuhr, waren ihm die Beamten der Berner Sicherheits- und Kriminalpolizei auf den Fersen – genau bis 9.07 Uhr, 13als er mit den anderen Generälen den Car nach Thun bestieg. Er ahnte nicht, dass der Bundesrat, den er abends im «Sternen» so erheiterte hatte, im Bild darüber war, was sich um ihn, den fröhlichen Possenreisser, zusammenbraute. Wie er auch nicht den geringsten Verdacht schöpfte, als ihm Divisionär Weidenmann jenen Auftrag für die Zivilschutzstudie zuhielt, der kein wirklicher Auftrag war, sondern den Zweck hatte, ihn auch nach der Pensionierung besser überwachen zu können und womöglich in eine Falle zu locken. 14
Dies alles trug sich um den Jahreswechsel 1975/76 zu. Doch drehen wir den Film um vierzehn Monate zurück.
Die ersten Hinweise
Bupo-Kommissär Hans Hofer war eben aus London zurückgekehrt. Er hatte dort am 22./23. Oktober 1974 an einer Zusammenkunft des so genannten 9er-Klubs 1teilgenommen, einer losen Vereinigung von Abwehrdiensten, deren Mitglieder sich regelmässig trafen, um Fragen der terroristischen Bedrohung, der Spionageabwehr, der kommunistischen Unterwanderung zu erörtern. Kaum hatte Hofer seine Koffer ausgepackt, rief ihn der Chef in sein neues Büro – Bundesanwaltschaft und Bundespolizei hatten unlängst das fertig gestellte Verwaltungsgebäude an der Taubenhalde unterhalb des Bundeshauses bezogen.
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