Dem Spiel eignet eine fundamentale Zwecklosigkeit, die einen tieferen Sinn bzw. ein Ziel implizieren kann; und so haben auch Welt und Kosmos keinen Zweck, sondern ein eigentliches, tieferes Ziel, das jenseits ihrer selbst und all ihrer Vorstellungshorizonte in Gott liegt. Ganz in diesem Sinne schreibt Maximus Confessor:
„Wenn aber auch wir selbst, nach der gegenwärtig herrschenden Abfolge unserer Natur zuerst nach Ähnlichkeit mit den übrigen irdischen Lebewesen gezeugt werdend, dann Kinder werdend, dann, nachdem unsere Jugend nach Art einer kurzlebigen Blüte zur Runzligkeit des Alters geeilt ist, tot sein werdend und in ein anderes Leben versetzt, von diesem gottbegeisterten Lehrer ,Spiel(zeug) des Gottes‘ genannt wurden, [so ist das] nicht außerhalb des Angemessenen. Denn im Vergleich zu dem künftigen Urbild des göttlichen und wahren Lebens ist das gegenwärtige Leben ein Spiel(zeug), und alles, wenn es noch etwas anderes gibt, was weniger seinshaft ist als dieses.“ 51
So hatte schon Clemens Alexandrinus geschrieben: Das Leben ist ein „göttliches Kinderspiel“. 52 Dieses tiefere Ziel von Welt und Geschichte zeigt sich dem religiösen Menschen, der sich in zweiter, rational verantworteter Naivität als Spielzeug und Spielpartner Gottes in dessen Hände legen und dem großen heilsgeschichtlichen Spielplan Gottes von Herzen zustimmen kann. Könnte dies nicht in der Tat das sein, was Jesus meinte, als er vom Wie-die-Kinder-Werden und vom bergeversetzenden Glauben sprach? Spielend Spielzeug Gottes sein? Der wesentliche Ausdruck dieser Grundeinstellung ist das „Spiel“ der Liturgie, jenes zweckfreie Tun des Menschen, in dem er sich so sehr Gott überantwortet und diesen walten bzw. „spielen“ lässt, dass sich ihm anfanghaft die himmlische Liturgie, das ewige Spiel Gottes und der Heiligen, eröffnet. 53
So steht am Ende der Überlegungen nun wiederum der homo ludens , der aristotelische
. Das ist in christlicher Deutung jener Mensch, der um den tieferen Sinn der Wirklichkeit in Gott weiß, diesem Wissen spielend und feiernd Ausdruck verleiht, seiner Rolle, d. h. seiner Sendung, im göttlichen Heilsdrama gerecht zu werden sucht und glaubend darauf hofft, einst in die ewige Freude des göttlichen Spieles eintreten zu dürfen. In einer dem hl. Hippolyt zugeschriebenen Osterpredigt beschreibt der Verfasser die Vollendung des „Spieles“ Heilsgeschichte deswegen hymnisch als den ultimativen letzten Tanz des Kosmos, angeführt von Christus. In Christus, der spielenden und tanzenden Weisheit Gottes, erkennt Hippolyt den „Vortänzer im mystischen Reigen, wenn der tanzende Chor der Erde zu Gott heimkehrt“. 54 Die Menschen sind die liebsten, zur ewigen Gottesgemeinschaft bestimmten
, und gerade hierin liegt ihre unüberbietbare und unverlierbare Würde:
, spielend leben sollen sie! Oder mit dem Appell Hugo Rahners: „Ite et ludite“! 55
1Als klassische Referenztexte sind hier zu nennen Johan HUIZINGA: Homo ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel / Hans NACHOD (Übers.). Reinbek: Rowohlt, 222011 (Rowohlts Enzyklopädie; 55435); Frederik Jacobus BUYTENDIJK: Wesen und Sinn des Spieles: Das Spielen des Menschen und der Tiere als Erscheinungsform der Lebenstriebe . Berlin: Wolff, 1933; Gerhard VON KUJAWA: Ursprung und Sinn des Spiels: eine kleine Flugschrift versehen mit Randbemerkungen eines Schildbürgers . Leipzig: Seemann, 1940 (Kleine Bücherei zur Geistesgeschichte; 4). Vgl. auch Frederik Jacobus BUYTENDIJK: Das menschliche Spielen. In: Hans-Georg GADAMER; Paul VOGLER (Hrsg.): Kulturanthropologie . Stuttgart: Georg Thieme, 1973 (Neue Anthropologie; 4), S. 88–122; Roger CAILLOIS: Die Spiele und die Menschen: Maske u. Rausch / Sigrid VON MASSENBACH (Übers.). Frankfurt a. M.: Ullstein, 1982; Harvey COX: Das Fest der Narren: Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe . Stuttgart: Kreuz-Verlag, 41972; Gunter GEBAUER; Christoph WULF: Spiel – Ritual – Geste: mimetisches Handeln in der sozialen Welt . Reinbek: Rowohlt, 1998 (Rowohlts Enzyklopädie; 55591); Gerd GRÜNEISL (Hrsg.): Mensch und Spiel: Der mobile „homo ludens“ im digitalen Zeitalter . Unna: LKD-Verlag, 2001; Ursula Pia JAUCH: Homo ludens – der Mensch, ein Spieler . Zürich: Vontobel-Stiftung, 2001; Stefan KIECHLE: Spielend leben . Würzburg: Echter, 2008 (Ignatianische Impulse; 34); Franz MAHR; Albert SCHLERETH (Hrsg.): homo faber, homo ludens . München: Kösel, 1971 (Alternativen; 9); Jürgen MOLTMANN: Die ersten Freigelassenen der Schöpfung: Versuche über die Freude an der Freiheit und das Wohlgefallen am Spiel . München: Kaiser, 61981; Jörg SPLETT: Spiel-Sinn. In: Peter REIFENBERG (Hrsg.): Sehnsucht nach Sinn: Hoffnung – Orientierung – Glauben . Frankfurt a. M.: Josef Knecht, 2003, S. 95–101.
2HERAKLIT: Fragment 52. In: Hermann DIELS; Walter KRANZ (Hrsg.): Die Fragmente der Vorsokratiker: Griechisch und Deutsch . Bd. 1. Berlin: Weidmann, 61951, S. 162: „
“. Dies kommentierend schreibt der große Neuplatoniker Proklos: „Und so sagen denn andere, daß der Weltbildner in seiner Gestaltung des Kosmos ein Spiel aufführe, wie es schon Herakleitos gesagt hat“ ( Eis ton Timaion Platonos II, 101; zitiert nach Hugo RAHNER: Der spielende Mensch . Einsiedeln: Johannesverlag, 51960, S. 19).
3Carl Gustav JUNG; Karl KERÉNYI: Das göttliche Kind: Eine Einführung in das Wesen der Mythologie . Düsseldorf: Patmos, 2006. Das Werk, das 1941 erstmals erschienen ist, weist eine recht komplexe Redaktionsgeschichte mit teils unterschiedlich betitelten und zusammengestellten Auflagen auf. Erste Überblicke über die Fülle des Gotteskindmythos liefern etwa auch Paul SCHWARZENAU: Der Mythos vom Neubeginn . Stuttgart: Kreuz Verlag, 1984, und Renate GÜNTHER: Der Mythos vom göttlichen Kind: Jesus – Krishna – Buddha . Düsseldorf: Patmos, 1997, die sich keineswegs auf die drei im Untertitel genannten „Kindgötter“ beschränkt. Vgl. auch das Themenheft „Kindsgötter und Gotteskind“ der Zeitschrift Welt und Umwelt der Bibel 4 (2010).
4RAHNER: Der spielende Mensch (wie Anm. 2).
5PLATON: Nomoi Z, 803 b-c ( Platon: Werke in acht Bänden / Gunter EIGLER [Hrsg.]. Bd. 8,2: Gesetze , Buch VII–XII. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, 42005, S. 46–49): „
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