– Spielen impliziert Freude und Weltzustimmung . So kann sich im hingebungsvollen und zweckfreien, nicht irrationalen, aber doch „irrationalistischen“ Spiel jene grundsätzliche Haltung ausdrücken, die Josef Pieper „Zustimmung zur Welt“ genannt hat 16 und die theologisch als implizite Affirmation des Schöpfers und seines Willens gedeutet werden kann.
– Spielen ist kreativ . Das Spiel ist aus sich selbst heraus, d. h. ohne dies bewusst zu intendieren oder zu „bezwecken“, kreativ, es schafft eine eigene Welt und ist notwendig unbegrenzt und expansiv, es weitet sich aus, schafft sich neue Spielräume, -rollen, -partner und -regeln.
– Spielen ist ein Beziehungsgeschehen mit bestimmten Rollen . Jedes Spiel fußt fundamental auf Beziehung und Differenzierung, Zuteilung und beziehungshafter Zuordnung von Rollen, und seien diese nur virtuell (wie der imaginierte Spielgefährte bzw. das personifizierte Spielzeug des Kindes).
– Spielen hat eine wichtige Sozialfunktion . Gesellschaften leben wesentlich von ritualisierten, öffentlichen Spielvollzügen, die der Institutionalisierung (Max Weber), der Integration des Religiös-Numinosen (Rudolf Otto), der sozialverträglichen Einhegung individueller Lebensübergänge (Arnold van Gennep, rites de passage ) sowie der Bewältigung von Glücks- und Kontingenzerfahrungen dienen. 17
– Dem Spielen eignet eine eigene Zeitstruktur . Im Spiel wird die mathematisch-chronologische Zeit durchbrochen durch eine wesentlich subjektive „Hetero-“ bzw. „Diachronie“, eine innere Zeit im Sinne des augustinisch-phänomenologischen Zeitverständnisses, die das Spiel (vor allem freilich das liturgische) theologisch auch als Prolepse der Ewigkeit erkennbar werden lässt.
Inwieweit erlaubt diese „Positivphänomenologie“ des Spiels nun – im Ausgang von Spr 8,22–31 – die Rede vom christlichen Gott als einem Deus ludens ?
2. Der christliche Gott als „Deus ludens“
a) „Deus ludens trinitas“
Viele Kirchenväter haben Spr 8 als alttestamentlichen Hinweis auf die immanente Trinität gedeutet, als Indiz dafür, dass Gott von Ewigkeit her nicht eine undifferenzierte Einheit, sondern Beziehung ist. 18 In ihrer allegorischen, christologischen Exegese haben sie die Stelle auf Jesus Christus hin gedeutet. 19 Die alttestamentliche Weisheit ist demnach eine Allegorie, ist ein Typos bzw. Vorausbild Christi. Christus, der ewige Logos Gottes, ist identisch mit der ewigen Weisheit des Alten Testaments, die vor Gott dem Vater spielt resp. tanzt. Diese Identifikation findet sich bereits im Neuen Testaments, implizit in der engen Assoziierung Jesu mit der Weisheit Gottes (vgl. Mk 6,2par; Lk 2,40.52), explizit bei Paulus (1 Kor 1,24). Einen eminenten plastischen Beleg dieser Identifikation stellt die Hagia Sophia dar, Justinians gewaltige Hauptkirche der östlichen Christenheit aus dem 6. Jh., die nicht einem abstrakten Prinzip Weisheit geweiht ist, sondern eben Christus als der Weisheit Gottes. Ein zweiter Beleg ist ein klassischer Marientitel, dem ein fester ikonographischer Typos entspricht: Maria als sedes sapientiae , als Sitz/Stätte/Thron des Weisheit-Christus – dargestellt z. B. im Apsismosaik der Hagia Sophia. Ein letzter Verweis auf die lex orandi : Der Weisheit-Christus findet sich in der westlichen Liturgie etwa in der ersten adventlichen O-Antiphon. 20
Zahlreiche Väter und Theologen der patristischen Zeit haben sich mit der Stelle beschäftigt, 21 was wohl daran liegt, dass das Alte Testament bekanntlich nicht sonderlich reich an vestigia trinitatis , an spurhaften Hinweisen auf die Trinität, ist, die ja erst mit der neutestamentlichen Offenbarung klar in Erscheinung tritt. Als solche Spuren werden in Tradition und systematischer Theologie in aller Regel neben der hypostasierten bzw. gar personifizierten Weisheit Stellen über den hypostasierten Geist, die Gegenwart/Anwesenheit (
) sowie das Wort Gottes herangezogen. Andere Versuche greifen den häufigen Majestätsplural YHWHs, das dreimalige „heilig“ der Seraphim (Jes 6,3) oder die vermeintlichen göttlichen Dialoge in den Psalmen auf (die sogenannte prosopologische Exegese, die beispielsweise den Vers „Spricht der Herr zu meinem Herrn“ [Ps 110,1] auf unterschiedliche trinitarische Personen aufteilt). Am häufigsten schließlich findet sich der Verweis auf Gen 18, die Perikope der Eichen von Mamre mit den drei Engeln, die Abraham doch im Singular als „Herr“ (
Gen 18,3) anspricht.
Spr 8,22–31 nun nimmt in diesen apologetischen Bemühungen einen zentralen Platz ein und wird nicht zufällig zu einer Zentralperikope in den arianischen Streitigkeiten um die wahre Göttlichkeit Jesu Christi. Dies liegt freilich vor allem daran, dass es in der Passage von der (unisono auf beiden Seiten!) mit Jesus Christus identifizierten Weisheit nicht nur heißt, dass sie am Anfang, im Ursprung, vor den Werken etc. bei Gott gewesen sei, sondern dass dieser sie „geschaffen“ (
Spr 8,22) habe. Sofern das hier verwendete schillernde hebräische Verb
tatsächlich mit „schaffen“ übersetzt wird (mögliche Alternativen wären – der nizänischen Orthodoxie natürlich eher gelegen – „erzeugen, gebären“ oder „für sich behalten“ bzw. „erwerben“), 22 entspricht der Vers in geradezu kongenialer Weise der „Christologie“ des Arius:
„Gott, die Ursache aller Dinge, ist beim Empfangen wahrlich ohne Anfang und völlig allein, der Sohn aber, zeitlos vom Vater gezeugt und vor den Äonen geschaffen [!] und gegründet, war nicht, bevor er geschaffen wurde.“ 23
Jesus Christus ist für Arius das höchste Geschöpf, das gemeinsam mit dem Geist in besonderer Gottesnähe steht und auch schöpfungsmittlerische Funktionen wahrnimmt, das aber eben nicht Gott, sondern geschaffen ist, was sich wesentlich in seiner Zeitlichkeit zeigt – sei es, dass vor ihm eine innergöttliche Zeit existiert, sei es, dass mit ihm die Zeit des Äons/Kosmos entsteht. So schreibt Basilius der Große mitten in den arianischen Wirren:
„Die [Arianer; M. L.] aber flüchten sich in den Text Salomos und von dort aus, wie aus einem befestigten Lager, greifen sie den Glauben an. Deswegen nämlich, weil über die Person der Weisheit gesagt wird, ,Der Herr hat mich erschaffen [
]‘, schlussfolgern sie, sich erlauben zu können, den Herrn ein Geschöpf zu nennen.“ 24
Die vornizänische und nizänische Orthodoxie behilft sich hier unterschiedlich – will sie doch die Identifikation der Weisheit mit Christus nicht opfern: Mal wird auf die allgemeine Dunkelheit des Alten Testaments verwiesen, dann auf die genannte Mehrdeutigkeit von
, mal wird der Abschnitt auf die Inkarnation hin gedeutet – was ihm freilich die Pointe nimmt, sich auf die immanente Trinität zu beziehen. Nach Überwindung des Arianismus entschärft sich das Problem um
, und etwa der Kirchenschriftsteller Salonius kann die Stelle im fünften Jahrhundert scheinbar unproblematisch auf den ewigen Logos hin deuten:
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