„Was [der Text] sagt, spielend , muss verstanden werden als sich freuend . Er spielte alle Tage, das heißt, er freute sich, eins zu sein; d. h. einer Substanz mit dem Vater, von Anfang an, seit den Tagen der Ewigkeit. [Veranus:] Wie aber spielte er allezeit auf dem Erdkreis? [Salonius:] Weil er auch als die Zeit des Erdkreises und der Kreaturen anbrach, selbst als Sohn sich freute, weil er das, was er war, allezeit im Vater blieb.“ 25
Ähnlich emphatische christologische Deutungen der Stelle finden sich später bei Beda Venerabilis, Hrabanus Maurus und in den „Glossa Ordinaria“. 26 Die Weisheit bzw. der Sohn, die zweite Person Gottes, „spielt“ vor Gott dem Vater seit Ewigkeit her und in Ewigkeit hin. Was aber heißt das? Welche Implikationen des Spielbegriffs lassen sich auf das Leben der Dreifaltigkeit in sich, also auf die immanente Trinität, übertragen?
Zunächst einmal und vor allem der Gedanke, dass das Spiel in aller Regel ein Beziehungsgeschehen mit fester Rollenverteilung ist. Das Spiel ist insofern ein treffendes Modell gerade für das Proprium des christlichen Gottesbildes, das Gott ja als dreifaltige Beziehung, als ewiges Beziehungsgeschehen deutet. Die drei Pole innerhalb dieses Geschehens – Vater, Sohn und Geist – werden im Laufe der Theologiegeschichte meist mit dem Begriff „Person“ bezeichnet. Aber Vorsicht: Alle theologischen Begriffe sind bloß analog, sind menschliche Hilfsmittel und Annäherungen an das Geheimnis Gottes und immer in der Gefahr, es zu verfehlen. So ist gerade der Personbegriff 27 aufgrund seiner weiteren Entwicklung in der Neuzeit (Stichworte: völlige Selbstbestimmung, Autarkie, Autonomie) hoch problematisch in der Trinitätstheologie. 28 Ursprünglich drückte dieser Begriff, der vermutlich aus der Theatersprache stammt (auch wenn die direkte etymologische Herleitung von
oder per-sonare mittlerweile als unwahrscheinlich gilt), nämlich genau das Gegenteil aus: nicht den Selbststand, sondern die Beziehungshaftigkeit, das Bezogensein der Person; in der Sprache der heutigen Theatertheorie oder eben des Spiels: die Rolle, welche die Person den anderen Rollen bzw. Charakteren gegenüber einnimmt. Wohl aus diesem Grund wird der Personbegriff theologiegeschichtlich dann auch präzisiert durch jenen der Relation: Vater, Sohn und Geist sind wesentlich relationes , d. h. spezifische Beziehungen zueinander. So schreibt das Unionskonzil von Florenz bekanntlich, dass die göttlichen Personen in allem eins und identisch seien, mit Ausnahme ihrer jeweils spezifischen Beziehung zueinander. 29 Man könnte – um im „Spielvokabular“ zu bleiben – also davon sprechen, dass die göttlichen Personen wesentlich Rollen sind, und ihre Aufgabe darin haben, im immanenttrinitarischen Spiel eine spezifische Funktion/Stellung den beiden anderen Personen gegenüber innezuhaben. Allerdings ist gleich wieder einem neuen Missverständnis vorzubeugen: Diese Rollen sind nicht beliebig, akzidentell oder austauschbar (wie im menschlichen Spiel), sondern machen das eigentliche Wesen der jeweiligen göttlichen Person notwendig und ewig aus: Der Vater „spielt“ (oder besser: ist) immer die „Rolle“ des Vaters, niemals aber jene des Sohnes, der Geist niemals jene des Vaters usw. Thomas von Aquin spricht daher davon, dass jede göttliche Person eine relatio subsistens sei 30 – Existenz als (je spezifische) Beziehung. Die „Proprietät“, der Eigenstand oder Besitz der innertrinitarischen Personen, besteht also allein in ihrer jeweiligen (Ursprungs-)Relation zu den beiden anderen Personen. 31
Man könnte also das, was in der klassischen Theologie Perichorese oder Circumincession genannt worden ist, das ewige Geschehen der innigen gegenseitigen Durchdringung der drei göttlichen Personen, auch als Spiel bezeichnen. 32 Ein Spiel, das wie jedes Spiel – und zwar nun in höchstem Maße – selbstgenügsam und frei von vordergründigen Zwecken bzw. Spiel als Selbstzweck ist. Ein Spiel voller Freude und Harmonie, von unendlicher Kreativität, völliger Zustimmung zueinander und auch von vollkommener Hingabe: Wie eben mit dem „Florentinum“ formuliert, gehen die Personen ganz in ihren Rollen auf, wollen nichts anderes sein bzw. sind de facto nichts anderes als die je eigene Beziehung zu den beiden anderen. Der mit dem Spielbegriff konnotierte Aspekt der Zerstreuung und Erholung lässt sich nur schwer auf Gott übertragen, er könnte aber dennoch die Leichtigkeit und Unbeschwertheit dieses immanenttrinitarischen Spielprozesses hervorheben, der sich in kritik- und distanzloser Unmittelbarkeit vollzieht.
Wie lässt sich diese Vorstellung eines in ewiger Selbstgenügsamkeit spielenden Gottes nun aber mit dem Gedanken der Schöpfung verbinden? Wieso ist Gott gerade auch als Schöpfer spielender Gott, wie es ja schon der religions-geschichtliche Urmythos implizierte? Inwiefern lässt sich der Schöpfungsakt als ein spielerisches Beziehungsgeschehen mit den oben umrissenen Attributen verstehen?
Werfen wir auch einen systematischen Blick auf den Deus ludens als Schöpfergott: Inwiefern ist das Spiel eine treffende Beschreibung für Gottes Schöpfertätigkeit? Was haben Spielen und göttliches (Er-)Schaffen miteinander zu tun?
Der mit der Weisheit Gottes identifizierte Christus „spielt“ eine zentrale Rolle im Schöpfungsgeschehen, er ist der Schöpfungsmittler und als göttlicher Logos sozusagen der Bauplan der Schöpfung, wie schon Paulus bzw. die paulinische Theologie unterstreichen (vgl. Röm 11,36; Kol 1,16). Alois Hudal schreibt hierzu: „Die Chokma war bei Gott, wie die Idealform dem Künstler das treibende Agens in seiner Tätigkeit ist.“ 33 Und bereits für Tertullian stand außer Frage, dass diese Weisheit identisch ist mit dem Logos. So schreibt er über Christus, dass er von Ewigkeit her modulans cum ipso , 34 d. h. mit dem schaffenden Vater zusammen gestaltend-modellierend tätig sei. Oder noch poetischer: compingens cum ipso 35 – wörtlich: mitmalend mit diesem, d. h. dem Vater. Diese Lesart der Schöpfungsmittlerschaft Christi lässt sich durchaus auch mit dem Bild des Tanzens verbinden: Die Weisheit, ob nun spielend oder tanzend, ist der Inbegriff der Fülle der göttlichen Kreativität und des Schöpfungsplans. So schreibt der vielleicht mystischste der kappadozischen Väter, Gregor von Nazianz: „Der erhabene Logos spielt nämlich, indem er den ganzen Kosmos mit buntesten Bildern auf jegliche Weise schmückt, wie es ihm gefällt.“ 36
Der Schöpfergott als Spieler, Schöpfung als Spiel – was könnte das heißen? Im bildlich-erzählerischen Zeugnis der Hl. Schrift vom Schöpfungsgeschehen, in der Leichtigkeit und Behändigkeit etwa des Sechstagewerks in Gen 1, liegt in der Tat etwas sehr Spielerisches – ganz ähnlich dem mit der Sphaira spielenden Zeuskind in seiner Höhle oder dem jungen Eros. Gott schafft spielerisch, d. h. zunächst einmal, er schafft völlig frei und ungezwungen: Niemand und nichts zwingt den sich selbst ewig genügenden Gott (er ist ja in sich schon Beziehung und vollkommenes Spiel), eine Schöpfung aus sich herauszusetzen, und doch tut er es. Er schafft weiterhin ohne Anstrengung und, wie die Natur dem nicht völlig verschlossenen Menschen allenthalben zeigt, in unendlicher Kreativität und spielerisch-kindlicher Maßlosigkeit: Dort modelliert er allerlei aus Wasser, Luft und Erde, hier hängt er – wörtlich – ein paar „Lampen“ (Gen 1,14:
) an den Himmel, dort gibt er mit spielerischer Geste der unendlich variantenreichen Flora, dort der Fauna und hier schließlich dem Menschen das Leben. Gott freut sich am eigenen Spiel – „Und er sah, dass es gut war“ – und ruht sich am siebten Tage aus; wohl kaum, weil das Werk ihn überanstrengt hätte (vom Gegenteil zeugt der vorherige Bericht), sondern um nochmals gerade die Leichtigkeit des Schaffens (er braucht nicht einmal sieben Tage) und die Muße/Ruhe als Vollzugsweise der „Zustimmung zur Welt“ zum Ausdruck zu bringen. Hier zeigt sich auch die Freude Gottes an seiner Schöpfung, ihr von Gott her völlig harmonischer und guter Charakter sowie ihre Zweckfreiheit.
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