Der Terminus „ Staatskirchenrecht“ beschreibt nach diesem überlieferten Verständnis, ganz allgemein und zugleich umfassend, jenen Teil des staatlichen Rechts, der sich mit Religion und Religionsgemeinschaften befasst.
Staatskirchenrecht ist: „die Summe jener staatlichen Rechtsnormen (Gesetze, Verordnungen, Staatsverträge), welche Kirchen und Religionsgemeinschaften in ihrem Verhältnis zum Staat, untereinander und zum einzelnen Mitglied oder Nichtmitglied sowie die Rechtsstellung einzelner physischer und juristischer Personen unter dem Gesichtspunkt von Glaube, Gewissen und Weltanschauung betreffen .“ 13
Der Begriff erscheint im Kontext der wachsenden religiösen Pluralisierung etwas einseitig. Zudem wird rein sprachlich der Eindruck erweckt, als seien Staat und Kirchen miteinander institutionell verwoben. Um die Weite und Neutralität des historisch überkommenen Begriffs zu erfassen 14, bedarf es erläuternder Bemerkungen. Es geht nicht nur um die Beziehungen der Institutionen Staat und Kirche, sondern auch um die in den Menschenrechten und dem jeweiligen Verfassungsrecht wurzelnden Rechte der Religionsgemeinschaften und der einzelnen Gläubigen. Das Staatskirchen- und Religionsrecht behandelt also in umfassender Weise alles Kirchliche und Religiöse, das für die staatliche Rechtsordnung relevant ist. 15Auch wenn der Begriff damit nur einen Teil der tatsächlichen Wirklichkeit des rechtlichen Verhältnisses von Staat und Religion abbildet, ist er nach wie vor der üblicherweise verwendete Begriff und daher auch heute, trotz der veränderten Rahmenbedingungen, nicht obsolet. Freilich eignet er sich im religionspluralen Staat nur noch, wenn es um die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Staat und den (christlichen) Kirchen geht, weil hier aufseiten der Religionen typische Verkirchlichungstendenzen begrifflich vorauszusetzen sind. Allein die Berufung auf den systemprägenden Charakter der Beziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen 16vermag heute nicht mehr zu überzeugen.
2. Religions- und/oder Religionsverfassungsrecht?
Der aus dem 19. Jahrhundert überlieferte und bis heute definitorisch verwendete, aber nicht mehr ideologisch belastete Begriff „Staatskirchenrecht“ insinuiert die soeben angesprochene Verwobenheit als eine Superiorität des Staates über die Kirche und wird daher bisweilen nicht als glücklich angesehen. Synonym kann dazu in der multireligiösen Gesellschaft auch der Begriff des „staatlichen Religionsrechts“ verwendet werden, den der Bochumer Jurist und zeitweilige nordrhein-westfälische Kultusminister Paul Mikat bereits 1980 in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht hat. 17Dieser Begriff ist bisher aber (noch) eher weniger verbreitet, wird aber im Hinblick auf eine multireligiöse oder multiweltanschauliche Gesellschaft an Bedeutung gewinnen 18und scheint auch für den internationalen Dialog, z.B. das Religionsrecht in der EU betreffend, besser geeignet zu sein. 19Als weiterer Begriff taucht in der wissenschaftlichen Literatur der des „Religionsverfassungsrechts“ auf. Dieser unterscheidet sich von dem neutraleren des Religionsrechts durch die zumindest latente Ein- bzw. Unterordnung dieses Rechtsgebiets unter die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes. 20Das muss vor dem Hintergrund der Grundrechte der Art. 1-19 GG nicht negativ gesehen werden, weist aber auf eine weitere Tendenz hin, die dazu neigt, das gesamte Rechtsgebiet nur aus staatlicher Sicht zu betrachten. Geht man jedoch davon aus, dass es sich bei dem Staat und den Religionsgemeinschaften um jeweils autonome Entitäten handelt, greift dieser Begriff zu kurz. Daher wird das hier zu beschreibende Rechtsgebiet, wenn und insofern es nicht nur um die christlichen Konfessionen geht, besser mit Religionsrecht umschrieben.
Der Begriff bleibt so weit, dass er für eine Fülle von religiösweltanschaulichen Auffassungen, die mehr oder weniger organisiert auftreten, anwendbar ist. Daneben muss man die Tatsache berücksichtigen, dass durch die Pluralisierung der Bekenntnisse in Deutschland Religionen und Weltanschauungen heimisch geworden sind, die keinerlei Verkirchlichungstendenzen aufweisen. Das gilt im Besonderen für den Islam und das Judentum. Daher ist die Etablierung des Begriffs Religionsrecht angemessen, wenn damit nicht eine dezidiert antichristliche Haltung verbunden ist. Dieser Begriff entspricht auch der Wortwahl in den religionsrechtlichen Artikeln des Grundgesetzes und der Weimarer Reichverfassung.
Merke:Das Staatskirchen-und/oder Religionsrechtist ein Teilgebiet des deutschen öffentlichen Rechts. Es umfasst die vom Staat erlassenen Gesetze und Verwaltungsvorschriften, die sich auf die Rechtsstellung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie deren Verhältnis zum Staat beziehen. Das Staatskirchenrecht ist nicht der Anwendung auf die in Deutschland etablierten Religionsgemeinschaften vorbehalten. Solange jedoch bewusst ist, dass durch den Gebrauch des Begriffs „Staatskirchenrecht“ nicht eine vorweggenommene Einordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche erreicht werden soll, sondern er als neutraler Begriff für eine juristische Disziplin verwendet wird, welche als einen Schwerpunkt das Verhältnis von Staat und Kirche zum Gegenstand hat, kann an diesem Begriff festgehalten werden. 21
Der Begriff Religionsrecht greift auf die Terminologie in den religionsrechtlichen Artikeln des Grundgesetzes zurück und eignet sich für die Diskussion der Rechtsbeziehung zwischen dem Staat und allen Religionen unbeachtlich seines historischen Herkommens.
1Vgl. Ansgar Hense, Kirche und Staat in Deutschland, in: Stephan Haering, Wilhelm Rees, Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts (HdbkathKR), Regensburg 32015, 1830-1865,1836.
2Vgl. Friedhelm Hufen, Staatsrecht II. Grundrechte, München 22009, 371.
3Vgl. Alexander Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Josef Isensee, Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, Heidelberg 1989, 471-556, 472.
4Vgl. BVerfGE 24, 236 (247 f.); 32, 98 (106); 33, 23 (28 f.); 41, 29 (50).
5Die nachfolgenden kursiv gedruckten Entscheidungsnachweise sind dem Urteil entnommen und wegen der Lesbarkeit in die Fußnoten verschoben worden.
6BVerfGE 24, 236 (246) BVerfGE 24, 236 (247).
7BVerfGE 24, 236 (247) BVerfGE 24, 236 (248).
8BVerfGE 10, 59 (84 f.); 12, 45 (54); 19, 1 (8); 19, 226 (238 ff.); 19, 268 (278 ff.).
9BVerfGE 18, 385 (386 f.).
10BVerfGE 83, 341(353).
11Vgl. ebd.
12Siehe dazu: Dietrich Pirson, Die geschichtlichen Wurzeln des deutschen Staatskirchenrechts, in: Joseph Listl, Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (HdbStKR), Bd. II, Berlin 21994/95, 3-46, 11, Anm. 18; Alexander Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Josef Isensee, Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Heidelberg 22001, 471-556, 472.
13Helmuth Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1984, 1.
14Vgl. Ansgar Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht: mehr als ein Streit um Begriffe?, in: Andreas Haratsch, Norbert Janz, Sonja Rademacher, Stefanie Schmahl, Norman Weiß (Hrsg.), Religion und Weltanschauung im säkularen Staat: 41. Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht“, Potsdam 2001, 9-47, 9 ff.
15Vgl. Alexander Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, (Fn. 3), 472.
16Vgl. Alexander Hollerbach, Staatskirchenrecht, in: Stephan Haering, Heribert Schmitz (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts, Freiburg 2004, 904-909, 905.
17Vgl. Paul Mikat, Zur rechtlichen Bedeutung religiöser Interessen, in: ders. (Hrsg.), Kirche und Staat in der neueren Entwicklung, Darmstadt 1980, 319 ff, 323, Anm. 9.
Читать дальше