Bernhard Waldmüller
Führen – sich und andereAufmerksam, frei, entschieden
Ignatianische Impulse
Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ und Stefan Hofmann SJ
Band 82
Ignatianische Impulsegründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.
Ignatianische Impulsegreifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.
Ignatianische Impulsewerden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.
Bernhard Waldmüller
Führen –
sich und andere
Aufmerksam, frei, entschieden
echter
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2019 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter.de
Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg
ISBN
978-3-429-05379-6 978-3-429-05031-3 (PDF)
978-3-429-06441-9 (ePub)
Inhalt
Einleitung
Ignatius und seine »geistlichen Übungen«
Das »Gebet der liebenden Aufmerksamkeit«
Einen Raum schaffen
Achtsamkeit für den Körper
Dasein in (Gottes) liebender Gegenwart
Betrachtung des Tages/meiner Realität
Ins Gespräch kommen
Abschluss
Ausrichtung am Guten – den »Willen Gottes« suchen
Achtsamkeit – »Liebende Aufmerksamkeit«
Körpersignale
Emotionen
Bedürfnisse und »innere Antreiber«
Wertschätzung und Empathie
Zeitdruck und Verlangsamung
Vertrauen
Im Teamkontext
Dankbarkeit: die Liebe lernen
Innere Freiheit – »Indifferenz«
Wem folge ich?
Führungsverständnis
Macht
Führungsbereiche, für die »Indifferenz« entscheidend ist
Unterscheidung, Entscheidung und Entschiedenheit
Führen heißt entscheiden
Exerzitien als Weg der Entscheidungsfindung
Übung der Intuition
Entschiedenheit
Entscheiden in Teams und Gruppen
Zum Schluss
Anmerkungen
Empfohlene Literatur
Einleitung
Das Thema, das ich in diesem Buch behandle, beschäftigt mich, seit ich selbst in der Kirche Leitungsaufgaben übernommen und damit begonnen habe, mich mit Fragen des Managements auseinanderzusetzen. Die ignatianische Tradition (zurückgehend auf Ignatius von Loyola, den Gründer des Jesuitenordens) der Spiritualität, aus der ich schöpfe, sagt, dass Gott »in allen Dingen« zu finden sei. Das muss dann auch im Führungsalltag möglich sein: Inmitten von Veränderungsdruck, Entscheidungssituationen, immer neuen Sitzungen, Auseinandersetzungen muss es für mich als Führungsperson 1möglich sein, dem zu folgen, was für mich Sinn und Ziel meines Lebens und der Welt ist. Ich habe dabei ein Element dieser Spiritualität als für mich tragend und entscheidend erlebt: das sogenannte »Gebet der liebenden Aufmerksamkeit«, für Ignatius die »zehn wichtigsten Minuten« des Tages.
Diese kurze meditative Übung, so meine Erfahrung, macht einen Unterschied: Sie verändert meine Haltung und meinen Blick, sie unterbricht den hektischen Lauf meiner Arbeit, sie schenkt mir Distanz und eine innere Freiheit und eine intuitive Grundlage für mein Entscheiden-Müssen in meiner Aufgabe. Sie ist die Grundlage für die Haltung, die in der Sprache dieser Tradition »contemplativus in actione« heißt, eine Haltung liebevoller Achtsamkeit mitten in der Betriebsamkeit.
Diese betrachtende Übung der Achtsamkeit ist der Dreh- und Angelpunkt meiner Überlegungen: In ihr, das ist die These dieses Buchs, bündelt sich wie in einem Brennglas die ganze Dynamik der »Geistlichen Übungen«, der Exerzitien des Ignatius. Ich werde im ersten Kapitel diesen ignatianischen Hintergrund meiner Spiritualität kurz erläutern. Mir geht es dabei aber nicht um eine Auslegung des Ignatius, sondern darum, was ich von seiner Spiritualität für mein Führungshandeln gelernt habe.
Dieses Buch richtet den Fokus auf Haltungen, die aus meiner Sicht für ein ethisch verantwortliches, effektives und effizientes Führungshandeln notwendig sind. Damit ist zugleich gesagt, dass das wichtigste »Führungsinstrument« immer die eigene Person ist. Führung beginnt mit Selbstführung. Hier stoßen wir aber auf ein Dilemma: Lassen sich Haltungen überhaupt verändern? Ich meine: ja. So wie ich Haltungen in meiner Lebensgeschichte, aufgrund vieler Erfahrungen in Kindheit, Schule usw. erlernt und »eingeübt« habe (sie haben sich ja oft als nützlich erwiesen), so kann ich sie auch »verlernen«, indem ich eine andere Perspektive übe. Genau das meint Exerzitien: Üben.
Was ich hier also vorschlage, ist ein Übungsweg, der auf viele kleine Schritte zur Veränderung vertraut. Die »zehn Tools, mit denen ich morgen effizient führe«, und die »fünf Schritte zur Gelassenheit« gibt es meiner Ansicht nach nicht, auch wenn sie tausendfach versprochen werden. Das heißt natürlich nicht, dass ich die Methoden und Werkzeuge des Managements nicht zu erlernen oder zu beherrschen habe: Spiritualität kann nicht eine gute Planung, die sorgfältige Moderation einer Sitzung, die Beherrschung der Feedback-Regeln, die Regeln des Change- oder Projektmanagements usw. ersetzen; ein Irrtum, den ich oft in kirchlichen Kreisen anzutreffen meine. Und ebenso wenig das Fachwissen in meinem Arbeitsbereich. Aber umgekehrt bin ich auch der Überzeugung, dass die Beherrschung vieler verschiedener Management-Tools nicht genügt: Ich kann kein »wertschätzendes« Feedback geben, wenn ich nicht auch die Wertschätzung geübt habe; ich kann mit dem emotionalen Widerstand, der zu jedem Change-Projekt gehört, nicht konstruktiv umgehen, wenn ich nicht auch die eigenen Emotionen mit innerer Freiheit betrachten kann; ich kann mich auf die zündende Idee meines Mitarbeiters, der mir etwas vorschlägt, was meinen Erfahrungen zuwiderläuft, nicht einlassen, wenn ich nicht eine innere Freiheit eingeübt habe …
Das »Gebet der liebenden Aufmerksamkeit« ist nach meiner Erfahrung genau das: ein spiritueller Lern- und Übungsweg, in dem ich nach dieser Achtsamkeit suche. Wie zu jedem Üben gehören dazu auch Fehler, aus denen man lernen kann, und auch hier macht erst Übung den Meister.
Aber wird hier nicht – könnte man einwenden – Spiritualität in den Dienst des Managements gestellt, in den Dienst der Gewinnmaximierung? Ist Spiritualität in diesem Sinn nicht nur ein weiteres Mittel der ständigen Selbstoptimierung, zu der jeder Mensch in der Steigerungslogik der Moderne gezwungen ist? Besuchen nicht deshalb Scharen von Managern Meditationskurse und Achtsamkeitsseminare, weil es der Karriere dient, seitdem auch die Wirtschaft entdeckt hat, dass die sogenannten »soft skills« oder »emotionale Intelligenz« (Goleman) 2über den Erfolg einer Führungsperson entscheiden – und zwar umso mehr, je höher diese in der Hierarchie steigt?
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