Bei und mit der Mysterientheologie sind wir damit bei ihrem herausragenden Vertreter angelangt: Odo Casel. Seine Konzeption ist der Gegenstand des folgenden Kapitels I. der vorliegenden Arbeit auf der Suche nach dem Opfer der Kirche in der Eucharistie.
Unser historischer Durchgang durch die Theologiegeschichte zeigt, dass es von Beginn der christlichen Theologie an eine Zusammenschau von Eucharistie und Opferthematik gibt. Die Aktualität der Opferthematik erlebt dabei Höhen und Tiefen in der Aufmerksamkeit der Theologen im Fortgang der Geschichte. Vielfach wird sie zwar mitgedacht, jedoch nicht durchdacht. Im Zeitalter der Reformation ist eine Reflexion unumgänglich geworden. Letztlich schafft es aber auch das Konzil von Trient nicht, die Frage nach dem Opfer der Kirche in der Eucharistie zu klären. Allein die Repräsentation und Vergegenwärtigung des Opfers Christi in der Feier der Eucharistie wird geklärt und später durch den ökumenischen Dialog der Neuzeit die Kontroverse darüber entschärft. Doch die eigentliche Frage, wie nämlich von einem Opfer der Kirche in der Eucharistie gesprochen werden kann und darf, ohne dem allgenügsamen Opfer Christi eine Einschränkung zuzufügen, bleibt bestehen. Welche Art Opfer liegt in der Eucharistie vor und wie ist dieses Opfer mit der Repräsentanz des Opfers Christi in ein und derselben Eucharistiefeier verknüpft? Dieser Fragestellung wollen wir nun mit Hilfe von drei Theologen des 20 Jahrhunderts nachgehen. Beginnen wollen wir mit Odo Casel, den wir schon als Vertreter der Mysterientheologie benannt haben.
Kapitel I: Die Mysterientheologie von Odo Casel
§1 Der Mensch und Theologe Odo Casel
Bevor wir in die Darstellung des theologischen Denkens Odo Casels einsteigen, wollen wir uns zuerst kurz seiner Biographie widmen.
1. Annäherung an Person und Werk
Odo Casel wird am 27. September 1886 in Koblenz-Lützel geboren und auf den Namen Johannes getauft. Im Jahre 1905 tritt er in die Benediktinerabtei Maria Laach ein und erhält den Ordensnamen Odo. In Rom und Bonn erfolgt das Studium der Theologie und Altphilosophie. Beide Studiengänge schließt er jeweils mit der Promotion ab. Der Abt Herwegen betraut Casel mit der Herausgabe des „Jahrbuchs der Liturgiewissenschaft“. In den 15 Bänden, die in den Jahren 1921 bis 1941 erscheinen, treten besonders die von Casel selbst verfassten Liturgieberichte hervor. So wird er zu einem prägenden Mitarbeiter an der liturgischen Erneuerung. Das Jahrbuch der Liturgiewissenschaft erlangt internationales und überkonfessionelles wissenschaftliches Ansehen. Casel entwickelt darin die Grundlage der Erneuerungsbewegung, die als Mysterientheologie bekannt wird. Bereits sehr früh vertritt er die Auffassung der Liturgie als Mysterienfeier . Zugleich muss er jedoch seinen Ansatz durch zahlreiche Abhandlungen, die er auf patristische und religionsgeschichtliche Studien aufbaut, verteidigen. Trotzdem bleibt sein Ansatz weiterhin nicht ohne Widerspruch. Seine neuartige religionswissenschaftliche Herangehensweise, sehr von der Antike geprägt, wird oft missverstanden, wenngleich sich sein Ansatz jedoch für die gesamte Theologie einflussreich erweist. 207Während seines theologischen Schaffens betreut er über 26 Jahre lang als Spiritual die Benediktinerinnen in Herstelle. Nach einem Schlaganfall in der Osternacht am 28. März 1948 stirbt er daselbst. Auch wenn er lange vor dem Beginn des II.Vatikanischen Konzils verstirbt, wirkt seine Arbeitsleistung bis in die Konzilszeit hinein nach. 208Wir können also bei der Behandlung unserer Fragestellung zur Eucharistie als Opfer der Kirche nicht umhin, uns mit seiner Mysterientheologie auseinander zu setzen. Beginnen wir mit einem kurzen Überblick zu seinem umfangreichen Schrifttum, um damit für unser Thema die nötige Auswahl zu treffen.
2. Casels Schriften und theologisch-literarischer Nachlass
Im Jahr 1918 veröffentlicht Odo Casel in einem kleinen Bändchen Grundgedanken zum Messkanon, in dem er das Gedächtnis in der altchristlichen Liturgie untersucht und darstellt. Dieses kleine Bändchen erlebt in den nächsten zwei Jahren fünf Neuauflagen. 209Bereits 1921 erscheint dann: Die Liturgie als Mysterienfeier 210 . Gut ein Jahrzehnt später veröffentlicht er 1932 das erste Buch einer Trilogie, in der sich die Grundgedanken seiner Theologie widerspiegeln: Das christliche Kultmysterium. 211Es erlebt mehrere Neuauflagen. Das Werk beinhaltet eine Sammlung verschiedener Arbeiten und früherer Publikationen aus verschiedenen Fachzeitschriften. Dabei kommt es ihm, dem Liturgiker, darauf an, dass seine Mysterienlehre nicht als „Theorie“ verstanden wird, sondern als lebendiges Erbgut der Kirche durch die Jahrhunderte ihres Bestehens hindurch. 212Gleiches trifft auf Das christliche Festmysterium 213 zu, das als zweites Buch dieser Trilogie 1941 publiziert wird. Auch hier ist es ihm wichtig herauszustellen, dass sein Ansatz keine Theorielehre sein soll, sondern aus Sicht des die Liturgie feiernden Menschen der Sinn erspürt und nicht rein wissenschaftlich eruiert wird. Kultisches Tun erspüren und das Verborgene, das Mysterium, darin zu entdecken, steht im Mittelpunkt. Konkret heißt dies, dass das jeweilige Festgeheimnis im Laufe des Kirchenjahres danach befragt wird, was es dem es Feiernden zu sagen hat. Casel ist sich bewusst, dass er in dieser Sammlung von Vorträgen keinen rein wissenschaftlichen Weg wählt. 214So kommt es schon im Vorfeld der Veröffentlichungen seiner ersten beiden Bände der Trilogie zu Spannungen mit seinen Ordensoberen, da sie jeweils ihre Bedenken äußern. 215
Über 300 Schriften, Aufsätze, Besprechungen und Bücher, inklusive Übersetzungen in andere Sprachen, hinterlässt Odo Casel bei seinem Tod der Nachwelt. Doch sein eigentliches Anliegen, nämlich ein Werk über das christliche Opfermysterium zu verfassen und damit den dritten Band seiner Trilogie über das heilige Mysterium vorzulegen, bleibt unvollendet. Aus Briefen wissen wir, dass Casel ein Buch mit 25 Kapiteln konzipieren wollte und bestimmte Grundbegriffe aus dem Messkanon, wobei er ausdrücklich Opfer und Eucharistie nennt, behandeln und ergründen wollte. Lediglich drei Kapitel werden abgeschlossen. Viktor Warnach begründet die Entscheidung, diese fertigen Kapitel nicht posthum in ihrer Rudimentalität zu veröffentlichten, mit den fehlenden erklärenden Abschnitten dazu und der allgemeinen theologiegeschichtlichen Situation nach Casels Tod. Damit ist die in Misskredit geratene Mysterientheologie im Nachklang an die Enzyklika 216„Mediator Dei“ gemeint. Casels Nachlass allein bietet keine Grundlage, die Lücken des geplanten Buches zu schließen, da zu seinen Gedanken keine Notizen vorliegen. Der Fehlbestand im Nachlass kann dennoch durch Aufzeichnungen und Mitschriften der Ordensschwestern von Herstelle von Casels Vorträgen aus 26 Jahren und einer Korrespondenz von fast 22000 Schriftstücken kompensiert werden. So entsteht posthum das Werk Das christliche Opfermysterium 217. Warnach verweist in seinem Vorwort zu diesem Buch darauf, dass damit nicht die Caselsche Eucharistielehre abdeckt ist. Dazu bedarf es ebenso der früheren Publikationen, 218wie etwa Das christliche Kultmysterium und Das christliche Festmysterium.
Eine weitere Veröffentlichung mit Schriften und Vorträgen, die erst nach dem Tod des Benediktiners unter der Sorge der Schwestern der Abtei Herstelle, getragen von Theophora Schneider, aus thematischen Texten zur Kirche 1961 zusammengestellt wurde, ist für unsere Darstellung des Eucharistieverständnis und die Kirchenbilder Casels von Bedeutung: Mysterium der Ekklesia . 219
Darüber hinaus liegen eine Anzahl von Büchern, Aufsätzen und Vorträgen vor. 220Für unser Thema sind drei Aufsätze, im „Jahrbuch für Liturgiewissenschaft“ veröffentlicht, von Bedeutung: Im 6. Band (1926) „Das Mysteriengedächtnis der Messliturgie im Lichte der Tradition“, im 8. Band (1928) „Mysteriengegenwart“ und im 15. Band (1941) die Untersuchung mit dem Titel „Glaube, Gnosis und Mysterium“. 221Mit diesen Quellen zum Denken Casels sind wir gerüstet, um in der vorliegenden Arbeit das Fundament für die thematische Darstellung zu legen. Weitere verwendete Primärliteratur von Casel wird an entsprechender Stelle genannt werden.
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