Hermann Pius Siller
Letzte Erfahrungen
Für
Michael Raske
Vorwort
A Erfahrung von Providenz
1. John Henry Newmans Providenzerfahrungen
Die nationale Religion Englands – Biographische Realisierungen – Die akademische Wegstrecke – Die Zeit der anglikanischen Reformbewegung – Die katholische Zeit – Dankbarkeit und Selbstachtung
2. Die Rede von der Providenz und ihre Kontexte
Naturgesetze und Providenz – Selbstbestimmung und Providenz – Funktionale Wirklichkeit und Providenz – Funktionale Religion und Providenz – Providenz und Alterität – Virtuelle Vorsehung und befreiende Providenz
3. Providenz – eine Rede von der Wirklichkeit
Ungeselligkeit und Geselligkeit – Menschenrechte und staatliche Bürgerrechte – Zum Völkerrecht – Schicksal und Vorsehung – Schleiermacher – Du, o Gott, siehst mich – Der uns teilnehmend behütet – Im Walten der Naturkräfte und im Lauf der Geschichte – Die keinen Sinn ihres Daseins finden können
4. Lebensstile unter der Providenz
Erbe sein – Zugehörigkeiten – Bekehrung – Dankbarkeit
5. Zwei Essays Newmans zum Begriff der Erfahrung
Proof of Theism – An Essay in Aid of a Grammar of Assent – Erfahrung
B Erfahrung der Unbegreiflichkeit
6. Karl Rahners Ursprungserfahrung
7. Phänomenologie und Hermeneutik
Der transzendentale Bereich – Verstehen – Die Alten und die Anderen verstehen
8. Die Tiefe der Unbegreiflichkeit
Das unbegreifliche Geheimnis – Das unverfügbare Geheimnis – Transzendenz und Selbstmitteilung – Die rechtfertigende Gnade und die beseligende Schau – Die Menschwerdung – Kreuz und Auferstehung – Erlösung und Befreiung – Trinität – Erfahrungen von Gottes Selbstmitteilung
9. Karl Rahners transzendentale Erfahrung
Problemzusammenhänge – Eine theologisch wenig beachtete Überlieferung – Transzendentale Erfahrungen – Gratuitätserfahrungen – Erfahrungen von Gottes Selbstmitteilung – Erfahrungen des Heiligen Geistes – Das Kategoriale als Faktor der transzendentalen Erfahrung – Jesus Christus und sein Zeugnis – Sakramentalität und Transzendentalität
C Erfahrung von Gratuität
10. Jesus erfahren
Im Vorbeigehen – Vollmacht – Gleichnisse – Taten
11. Erfahrungen des Paulus
Den Auferstandenen erfahren – Gratuität erfahren
12. Bekenntnis einer johanneischen Erfahrung
Eine biblische Situation – Die Antwort der johanneischen Gemeinde – Ein geschichtlicher Moment – Die Liebeserklärung
D Begriffliche Annäherungen an letzte Erfahrungen
13. Erfahrung: Phrase oder Funktion?
Newman und Rahner – Aktualität des Problems – Konkrete Erfahrung
14. Elemente eines phänomenologischen Begriffs
Bewusstsein – Gegebenes – Erfassen – Erfahrensein – Zusammenhänge – Horizonte – Erfahrungen „radikaler Endlichkeit“ – Erfahrung des Transzendierens
15. Jenseits der Horizonte
Jenseits – Transzendenz der Liebe
16. Lebensweltliche Erfahrung und Glaubenserfahrung
Lebensweltlich – Geschichtlich – Erscheinen des Absoluten
17. Das Sakramentale
Eine Vergewisserung – Das Propositionale – Die Kirche erfahren
18. Nach 2000 Jahren
Pluralität der Perspektiven – Historische und dialektische Erfahrung – Hermeneutische Erfahrung – Der Sprechakt des „Überlieferns“ – In der Überlieferung Jesus Christus erfahren
19. Zeitlichkeit von Erfahrung
Erinnerung und Erfahrung – Psychische und kulturelle Amnesie – Gedächtnis der Leidenden und Compassio – Memoria passionis – eine theologische Erfahrung – Gott erfahren in der Zeit
20. Ein Anhang: In Erfahrung einweisen
Allgemeinbildung – Reziproke Beziehung – Erfahrung in der reziproken Beziehung – Konventionalität von Beziehungen – Bibel und Liturgie
Autorenregister
Sich wundern über das Vertrauen, das in den Krisen des eigenen Lebens trägt, sich einer schnellen Tröstung über das unaussprechliche Leiden und Sterben der Kreatur enthalten, sich erschrecken über das Risiko, das im Versprechen von Treue zu einem ebenso endlichen und hinfälligen Menschen liegt, immer wieder über gesellschaftliche Entwicklungen besorgt, von politischen Entscheidungen irritiert oder enttäuscht sein, das ist schon immer, doch in der Gegenwart in gesteigerten Maß, für Christen ein Grund, über ihr Christsein nachzudenken. Wie kommt denn in überhaupt in dieser Zeit das noch in die Gänge, was man christlich „Glauben“ nennt, diese merkwürdige Selbstbegrenzung der Vernunft und der Selbstbestimmung, diese Selbstauslieferung und Selbstdistanzierung, diese Lebensführung am Rande des eigenen Vermögens? Sich mit seinem Glauben und ausdrücklich mit Theologie zu befassen, hat doch wohl auch etwas mit dieser Befremdlichkeit zu tun, die darin liegt, sein Leben auf eine andere Wirklichkeit zu setzen als auf die, deren wir uns begreifend und verfügend sicher zu sein wähnen. Wie komme ich zu einer solchen Lebensform? Das Hörensagen, das Gerücht, die Lehre, die Predigt oder auch das vor meinen Augen gelebte Zeugnis anderer allein bringen mich nicht dahin, eine so anspruchsvolle Lebensform auf sich zu nehmen. Das Wort, das Aussprechen einer Einladung oder eines Versprechens, ist das Eine. Es ist zwar unabdingbar, denn das Wort spricht mich auf meine Lebensführung an. Etwas anderes aber ist, ob ich überhaupt darauf ansprechbar bin, also mein angespanntes Hinhörenkönnen, meine Bereitschaft auf die Einladung einzugehen, das Eingeständnis meiner Bedürftigkeit, die mir ein so weitgehendes Versprechen erwünschbar erscheinen lässt. Nicht nur das Wort, auch das vorausgehende Interesse daran verlangt eine Aufmerksamkeit und eine vernünftige Reflexion.
Wann, wo, vor allem aber in welcher Disposition bin ich ansprechbar? Was ist dem Ankommen des Wortes in meinem Leben schon vorausgegangen? Und was passiert bei diesem Ankommen? Sicher lassen sich nicht alle konkreten Voraussetzungen, ein Gesagtes akzeptabel zu finden, a priori vollständig aufzählen, aber braucht man es deshalb bei einer transzendentalen Offenheit schlechthin, beim „Hörer des Wortes“ oder beim „letzten Wort“ zu belassen? Die Antwort auf die Frage, unter welchen lebensgeschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen ich mich auf ein an mich gerichtetes Wort einlasse, es verstehe und für mich gelten lasse, ist höchst komplex. Die Voraussetzungen verändern sich mit dem gesellschaftlichen Wandel von „Konstruktionen der Wirklichkeit“, im Laufe eines Lebensweges und sogar im Gang kritischer Selbstprüfung und theologischer Reflexion. Solche Fragen verlassen auch den Theologen selbst dann nicht, wenn sie sich hinter der sachbezogenen Aufmerksamkeit auf theologische Forschung zu verbergen scheinen.
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