1 ...7 8 9 11 12 13 ...27 Schon der Novizenmeister soll Przywara vorausgesagt haben, „er werde sich noch einmal zwischen alle Stühle setzen“ 45. Irgendetwas von diesem Unverständnis für seinen besonderen Auftrag wird Przywara aber auch im Kontext seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, in deren Zusammenhang er auch das Jüdische behandelte, beklagen. „Auf diese Darlegungen hin verlangte der ‚Alemanne‘ von Freiburg, daß der Verf.[asser] in ein Konzentrationslager käme, – während zur selben Zeit katholische Kreise desselben Freiburg die Mär ausstreuten, der Verf.[asser] sei Nationalsozialist geworden“ 46.
Tatsache ist, dass Przywaras Ausführungen nicht selten zweideutig und übertrieben gewagt sind, womit sie extreme Reaktionen hervorrufen können. Der Wille, den Mittelweg zu gehen und zwischen den Fronten zu stehen, hat auch seine Schattenseiten. Das Jesuiten-Ethos erreicht bei Przywara die Züge einer fragwürdigen Stilisierung. Er sei zum „ritterlich heiligen Narr“ 47bestimmt. Nach seiner Begegnung mit Przywara notierte Karl Barth einen Ausspruch seines Gesprächspartners: „Jesuit kann man nur auf der Todeslinie sein!“ 48. Przywara scheut nicht, sich auf das katholisches Denken Herausfordernde als erster einzulassen, denkerisch zu riskieren und neue Wege vorzutasten. Aber gleichzeitig macht er immer Front, braucht einen Gegner, muss kämpfen und wird darin unersättlich. In seinem Denken baut sich eine Dynamik auf, die eine berechtigte Form der Begegnung des Verhältnisses nur noch parabolisch im Kampf sieht.
Dieser Eigenart ist wahrscheinlich Przywaras Wirkung zu verdanken. Für die beiden theologischen Koryphäen des 20. Jahrhunderts – Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar –, ist Przywara derjenige gewesen, der aus der starr scholastischen Atmosphäre des philosophisch-theologischen Studiums ausbrach, Brücken zwischen der theologischen Tradition und dem ‚heutigen‘ Denken baute und die Bezogenheit der Kirche auf die Welt theologischprogrammatisch vollzog 49. Für Rahner gehörte Przywara, und das „in erster Reihe“, zu der „Generation des Aufbruchs der Kirche in die Periode, die durch das Zweite Vatikanum amtlich“ 50wurde. Im Hinblick auf die allgemeine Lage der deutschen Jesuiten in der Weimarer Republik würdigt der Ordenshistoriker K. Schatz die vielen neuen Denkansätze. Über Przywara schreibt er: „Eigentlich theologisch innovativ und inspirierend hat jedoch ein Jesuit gewirkt, der nie einen theologischen Lehrstuhl innehatte, von seinem Charakter her auch nicht hätte versehen können, dessen Fernwirkungen jedoch schwer abzuschätzen sind“ 51. In diesem Licht muss alles gelesen werden, was Przywara über das christlich-jüdische Verhältnis geschrieben hat.
1.1.3 Abgrund
„Der beruhigte harmonische Mensch des neunzehnten Jahrhunderts starb in den Nächten der Weltkriegszeit. Er ist nur noch der Mensch Aug in Aug zu den Abgründen“ 52. Diese Worte Przywaras charakterisieren den dritten Ort, der symbolisch für seine Welt steht. Es handelt sich hierbei um eine existenzielle Verortung, die für sein ganzes, das einfache Glück entbehrende, Leben prägend war 53, um im Laufe der Jahre jedoch immer beherrschender zu werden. Es ist dabei bezeichnend, in welch enger Verschlingung mit den Ereignissen seiner Epoche sich Przywaras Werdegang vollzieht. Hat sein vielfältiges Wirken in den 20er Jahren auf den hoffnungsvollen Wellen der katholischen Wende etwas vom „meteorischen Aufleuchten“, so markiert das politische Zäsur-Jahr 1933 den Beginn von Przywaras unaufhaltsamen „Absinken in die Einsamkeit des Krank- und Verlassenseins“ 54. Nach seinem am 29. September 1972 erfolgten Tod schrieb H. Fries: „Die jüngere Generation – auch die theologische – kennt vermutlich nicht einmal mehr den Namen, viele Ältere haben bei der Nachricht von seinem Tod vermutlich gedacht: Wir meinten, er sei schon längst gestorben. So ist das heute“ 55.
Im besagten berüchtigten Jahr 1933 geht die Zahl der Vortragseinladungen rapide auf ein Viertel des vorausgehenden Jahres zurück, um 1939 ganz aufzuhören. Was Przywara aber viel härter traf, war der Einspruch des Verlegers der „Stimmen der Zeit“, dass aufgrund ihrer Schwierigkeit seine Artikel „dem erstrebten Leserkreis nicht angepasst“ seien, – „so daß Przywaras Beiträge von 29 im Jahr 1932 auf 6 im Jahre 1933 zurückgingen und er zunehmend auf Rezensionstätigkeit in der eigenen Zeitschrift verwiesen blieb“ 56.
In derselben Periode machte sich bei Przywara, der von den Mitbrüdern schon ohnehin für einen „Mann ohne Nerven“ 57gehalten wurde, sein psychisches Leiden immer bemerkbarer, um inmitten des Krieges mit voller Wucht auszubrechen. Auch hier verwob sich der äußere mit dem inneren Einschnitt. 1941 wird das Haus der „Stimmen der Zeit“ von der Gestapo aufgelöst, und dieser Ort seines Wirkens ging für Przywara für immer verloren – er hat seitdem nie wieder auf Dauer in einer Jesuitengemeinschaft gewohnt. Fast gleichzeitig erlitt Przywara einen schweren Nervenzusammenbruch und wurde in eine der Münchner Kliniken eingeliefert 58. Nach der Überwindung dieser akuten Krise fand er verschiedene Unterkünfte bei Privatpersonen und wirkte bis zum Ende des Krieges als Akademikerseelsorger in München und Wien, indem er in zerbombten Kirchen und brennenden Städten Predigten und Vorträge hielt. Den Zusammenbruch seiner Gesundheit und die Katastrophe des II. Weltkriegs hat Przywara innerlich wohl nie überwunden. Ein neues, abgeschiedenes Zuhause fand er in der tiefen bayerischen Peripherie, im Dorf Hagen bei Murnau, wo er außerhalb der Ordensgemeinschaft und ohne die früher so selbstverständliche rege Teilnahme am Geistes- und Kulturleben lebte und als theologischer Schriftsteller wirkte 59.
Wie B. Gertz, der Przywara in Hagen in den 60er Jahren besuchte, schreibt, musste „seit dem Krieg – mit glücklichen Unterbrechungen – jede Arbeit überhaupt schwerster Krankheit abgerungen werden“ 60. Das Bild von Przywaras Erkrankung bleibt unscharf. Wie M. Lochbrunner anhand von Przywaras Beziehungsgeschichte zu H.U. von Balthasar zeigte, fühlte er sich von den Mitbrüdern und anderen Menschen aus seiner Umgebung nicht verstanden oder sogar verfolgt, ja von „dunklen Mächten“ bedroht 61. „Jedenfalls scheinen Ängste und Verfolgungsvorstellungen zu den massiven Symptomen seiner Krankheit gehört zu haben“ 62.
Der Umstand der Krankheit ist insofern von Bedeutung, als er manches in Przywaras Werk, vor allem im Hinblick auf seine Vision des Verhältnisses zum Anderen, im Zwielicht erscheinen lässt und eine eindeutige Interpretation erschwert. Es ist vor allem von Balthasar, der meinte, „dass die ‚normale‘ Phase bei Przywara etwa mit ‚Analogia Entis I‘ (1932) zu Ende sei, danach sei eine krankhafte Übersteigerung zum Durchbruch gekommen“ 63. Gleichzeitig gibt von Balthasar noch 1980 zu, den „Punkt der Aberration […], an dem er [Przywara] die Analogia Entis liegen lässt“ 64und zu einer Widerspruchsdialektik übergeht, nicht festlegen zu können. Dass die psychischen Beschwerden an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, ist jedoch nicht dazu gedacht, Przywaras Werk zu diskreditieren. Es war ausgerechnet von Balthasar, der sich, trotz aller Vorbehalte, dafür einsetzte, dass Przywaras Ideen Beachtung finden 65. Genauso wenig soll hier das Krankhafte mystisch verklärt oder überhöht werden. Auf jeden Fall ist Przywara ohne den dunklen seelischen Druck, der ihn ständig in die Region des Unerklärlichen, Abgründigen und auch Bizarren führte, nicht zu verstehen.
Zu Przywaras Selbstverständnis, das vom kleinen Kreis seiner Weggefährten geteilt wurde, gehört zweifelsohne ein gesteigertes Sendungsbewusstsein des einsamen und verkannten Sehers, der vor den abgründigen Gefahren warnen und deswegen eine unbequeme, skandalerregende Wahrheit aussprechen muss 66. Ein Großteil der Bücher, die er nach dem II. Weltkrieg veröffentlichte, geht auf seine Kriegserlebnisse und auf die in dieser Zeit gewonnenen Einsichten zurück. Seine Warnungen vor der Illusion einer scheinbaren Harmonie und Verklärung der Gegensätze fanden jedoch im politischen, gesellschaftlichen Klima der um Versöhnung und Aufbau bemühten Nachkriegszeit, aber auch im kirchlichen Klima des vorkonziliaren Aufbruchs, kaum Beachtung 67, was ihm schwer zusetzte 68. Aufgrund der inneren und äußeren Schwierigkeiten konnte er seine großangelegten theologischen Projekte nicht zu Ende führen 69.
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