Hegel übernimmt den Begriff der Anerkennung von Fichte, der ihm als begriffliches Mittel dient, die interne Struktur sittlicher Verhältnisse unter den Menschen theoretisch zu bestimmen und der bereits betont, dass sich das vernünftige Selbstbewusstsein eines Menschen nur durch eine reziprok angelegte Beziehung zwischen den Subjekten ausbilden kann. Fichte hatte in seiner Schrift „Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre“ Anerkennung als eine dem Rechtsverhältnis zugrundeliegende Wechselwirkung zwischen Individuen aufgefasst: die wechselseitige Aufforderung zu freiem Handeln und die damit korrespondierende Beschränkung der eigenen Handlungssphäre zugunsten des Anderen führt zur Bildung eines gemeinsamen Bewusstseins zwischen den Subjekten, das dann im Rechtsverhältnis objektive Geltung erlangt. 65
Hegel greift diesen Ansatz des Selbstbewusstseins auf. Auch er nimmt an, dass das Subjekt nur dann zu einem Bewusstsein seines eigenen Selbst gelangen kann, wenn es mit anderen Subjekten in ein Verhältnis der Anerkennung tritt. Diese Annahme führt ihn über historisierende oder soziologisierende Deutungen auf Grundsätzlicheres hinaus, da ihm an der Anerkennung als quasi transzendentalem Faktum und damit als Voraussetzung menschlicher Sozialität gelegen ist. Dies bedeutet in der Interpretation Hegels, dass das Subjekt aus seiner Selbstbezüglichkeit der bloßen Begierde herausgetreten ist und sich der Abhängigkeit von seinem sozialen Gegenüber bewusst wird, 66was er über eine Kritik an Kant und Fichte verdeutlicht:
„Nunmehr aber ist dies entstanden, was in diesen früheren Verhältnissen nicht zu Stande kam, nämlich eine Gewißheit, welche ihrer Wahrheit gleich ist; denn die Gewißheit ist sich selbst ihr Gegenstand, und das Bewußtsein ist sich selbst das Wahre.“ 67
Zunächst erkennen Subjekte, dass alles generische Wissen und alles Wissen über Dispositionen und Möglichkeiten nicht rein passiv wahrgenommen, sondern aktiv vom Bewusstsein konstituiert wird. Das Selbst ist also jenes, welches sich abstrakt seiner wirklichkeitskonstituierenden Wirkung bewusst ist. Dieses Bewusstsein reicht nun allerdings nicht aus, damit sich das Individuum seiner synthetisierenden und bestimmenden Aktivität versichern kann, da es einer Rückkehr aus dem Anderssein zu sich selbst ähnelt. Es ist noch nicht Selbst-Bewusstsein.
Hegel schließt sich dem Verständnis Fichtes vom Selbstbewusstsein als volitionaler Einstellung an und denkt Selbstbewusstsein in einem Subjekt-Objekt-Modell, d. h. sich selbst als ein wollendes Subjekt zu begreifen, das seine Absichten in Handlungen realisiert, setzt die Annahme einer vom Wollen unabhängigen Realität voraus. Innerhalb dieses Subjekt-Objekt-Modells wird die Annahme eines selbstständigen Objekts zum integralen Bestandteil des Selbstbewusstseins, da ein Subjekt im Akt der direkten Selbstbezugnahme sich selbst als reines Ich zum Gegenstand hat. 68Anders ausgedrückt: Als Bewusstsein ist das Selbstbewusstsein zunächst Begierde und verfolgt in der Begierde „die Selbsterhaltung seiner Ichheit in der Vernichtung der Gegenständlichkeit, die ihm des Negative, Unwesentliche ist“ 69. Damit ist das Selbstbewusstsein zuerst nichts anderes, als das seiner selbst bewusste Leben, „also eine höhere Form des Lebens, nämlich das menschliche Leben, das das seiner selbst nicht bewusste Leben der Natur zur Voraussetzung hat“ 70.
Damit existieren im hegelschen Ansatz also zwei Bewusstseine: Das eine ist zunächst das Selbstbewusstsein, welches sich im Vollzug auf das Selbst als Objekt richtet, welches also ein Verhältnis referentiellen Bezugs von mir als Vollzugsobjekt auf ein Bezugssubjekt herstellt. Im Selbstbewusstsein ist das Selbst Gegenstand des Bewusstseins. Das „andere Bewusstsein“ ist
„das von meinem Selbstbewusstsein im Vollzug zum Gegenstand meines selbstbezüglichen Urteilens oder Denkens erklärte Bewusstsein. […] Im reflektierenden Denken vollziehe ich in der Tat Akte, mit denen ich mich auf mich selbst beziehen möchte. […]“ 71.
Die sich nun stellende Frage ist, wie ein solcher Selbstbezug möglich ist, wenn eine Einheit von Bewusstsein und Selbstbewusstsein, von Vollzug des Denkens und Wissens gewahrt sein soll, da ich „weder einfach Vollzugsobjekt noch einfach Objekt des Wissensaktes“ 72bin.
Dieser Einheit nähert sich Hegel über den Begriff der Begierde, welche die Grundform aller volitionalen Einstellungen und zugleich notwendiges Implikat von Selbstbewusstsein bildet: Die unmittelbare Selbstbeziehung des Bewusstseins lebendiger Wesen stellt sich in der Perzeption von Begierden dieses Wesens dar, die befriedigt werden können. In der Begierde und ihrer subjektiven Befriedigung findet sich „schon eine auf eine richtige Befriedigung durch Objekte der Welt ausgerichtete Subjektivität“ 73. Hieraus gewinnt Hegel die Erkenntnis, dass auch jede theoretische Selbstbeziehung in einem praktischen Selbstverhältnis gründet „und dieses immer auf die Befriedigung einer externen Bedingung abzielt, selbst dann, wenn ich selbst vermeintlich der denkende und urteilende ‚Herr‘ dieser Bedingung und der Kontrolle ihrer Erfüllung bin oder zu sein scheine“ 74. In der Haltung der Begierde vergewissert sich das Individuum seiner selbst als eines lebendigen Bewusstseins, welches mit aller Wirklichkeit die Eigenschaften des Lebens teilt, ihr aber darin überlegen ist, dass jene von ihm als Bewusstsein abhängig bleibt. Der Mensch erfährt sich also in der Begierde als Teil der Natur, als Bewusstsein, das auf die Befriedigung elementarer, organischer Bedürfnisse angewiesen ist. Gleichzeitig, solange er sich als bedürfnisbefriedigendes Wesen versteht, „im Rahmen seiner Begierde tätig ist, besitzt er ein unmittelbares Wissen von seiner Doppelnatur, die ihn zugleich innerhalb wie außerhalb der Natur stehen lässt“ 75. Die Triebbefriedigung ist also nicht negativ zu sehen, sondern spielt eine wichtige Rolle in der Erzeugung eines Selbstbewusstseins, welches dem vorangegangenen, ersten Bewusstsein überlegen ist und beide „Bewusstseine“ miteinander verbindet, eine wichtige Rolle. Dies deswegen, da das Bewusstsein sich durch sie nicht mehr bloß punktuell erfährt, sondern ihm in der Befriedigung seiner Begierde die unmittelbare Gewissheit seiner selbst ist, „das mit seiner mentalen Aktivität exzentrisch in die Natur versetzt ist“ 76.
Dennoch reicht auch die mit der Triebbefriedigung verbundene Erfahrung des Selbstbewusstseins noch nicht aus, da darin eine Selbsttäuschung enthalten ist, die darin besteht, dass das Individuum in der Befriedigung der Begierde „die Erfahrung von der Selbständigkeit seines Gegenstandes“ 77macht. Das Individuum, das durch den triebgesteuerten Verzehr seiner Umwelt versucht die Gewissheit zu erlangen, dass die ihm entgegenstehende Wirklichkeit Produkt seiner eigenen Gedankentätigkeit ist, kann nämlich das Objekt, auf das sich seine Begierde bezieht, in deren Befriedigung nicht aufheben. Die Wirklichkeit kann nicht von ihm verzehrt werden, da sie unabhängig von ihm besteht. Ein Aufheben der Begierde, ihrer Negation in der Befriedigung, könnte also einerseits dadurch geschehen, dass sich die Begierde selbst aufhebt, also nicht mehr vorhanden ist, oder andererseits dadurch, dass der Zustand, durch den die Begierde befriedigt wird, eine solche Gestalt annimmt, die die Begierde zum Schweigen bringt. Diese Gestalt wird dann erreicht, wenn das Subjekt auf ein Element der Wirklichkeit stößt, welches in umgekehrter Weise versucht das nach Befriedigung suchende Subjekt zu verzehren, also die von ihm geleistete Negation an ihm selbst auszuführen. 78Obwohl hier nicht der Raum ist Hegels Gedankengang in extenso wiederzugeben kann man in der bisher geführten Argumentation den Hinweis drauf entdecken, dass das Subjekt auf ein anderes Subjekt, ein anderes Bewusstsein treffen muss, da nur dieses in der Lage ist von sich aus eine Negation auszuführen. Wenn das Selbstbewusstsein in seiner Begierde die Erfahrung der Selbstständigkeit des Lebens macht, dann macht es gleichzeitig die Erfahrung, dass es seine Befriedigung nicht in der Begierde, d. h. in der Aufhebung, Vernichtung und Zerstörung lebendiger Gegenstände der Natur finden kann, „sondern in einem lebendigen Gegenstand, der ihm in seiner Struktur entspricht, d. h. in einem anderen lebendigen Selbstbewusstsein“ 79. So schreibt Hegel auch:
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