14 Dazu SCHEIDGEN, Pilatus (wie Anm. 4), S. 123–125.
15 Ps.-Vinzenz von Beauvais, Speculum morale. Douai 1624. ND Graz 1964, Sp. 6451D.
16 Weiterführend hierzu Uwe RUBERG, Rhetorische und hermeneutische Komponenten literarischer Namendeutung. In: Proceedings of the Thirteenth International Congress of Onomastic Sciences, Cracow, August 21–25, 1978, 2 Bde. Breslau, Warschau, Krakau 1981/82, hier Bd. 2, S. 319–326, mit Hinweis auf Pilatus S. 323.
17 Herausgegeben von Doris WERNER, Pylatus. Untersuchungen zur metrischen lateinischen Pilatuslegende und kritische Textausgabe (= Beihefte zum Mittellateinischen Jahrbuch 8). Ratingen, Kastellaun, Düsseldorf 1972.
18 Es wurde herausgegeben von Karl WEINHOLD, Zu dem deutschen Pilatusgedicht. Text, Sprache und Heimat. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 8 (1877) S. 255–288 (Edition S. 272–288). – Über seinen Autor hat die Forschung keine Einigkeit erzielt. Ein Teil möchte das Werk Herbort von Fritzlar, dem Verfasser einer höfischen Trojadichtung um 1200 am Hof der Thüringer Landgrafen, zuweisen, doch lässt sich dies nicht mit letzter Sicherheit erhärten. – Im Folgenden übernehme ich meine Interpretation in SCHEIDGEN, Pilatus (wie Anm. 4), S. 148–150.
19 Herausgegeben von Ludwig WEILAND, Niederdeutsche Pilatuslegende. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 17 (1874) S. 147–160.
20 Nach der „Historia scholastica“ des Petrus Comestor, einem wichtigen Nachschlagewerk der Scholastik, stammte Pilatus aus Lyon (dazu SCHEIDGEN, Pilatus, wie Anm. 4, S. 79).
21 Uwe RUBERG, Frauenlob-Gedenken. Das Begräbnis des Dichters im Mainzer Domkreuzgang. In: Domblätter 3 (2001) S. 77–83, hier S. 83.
22 Zit. nach MASSMANN, Kaiserchronik (wie Anm. 9), S. 511, Anm. 5.
23 Dazu Walter HAUG, Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Darmstadt 21992, S. 66–70.
24 Martinus-Bibliothek Mainz, Signatur Inc 70. Als Digitalisat: http://diglib.hab.de/inkunabeln/131-2-hist-2f/start.htm(Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel).
KÖNIG DAGOBERT - DER ANGEBLICHE ZWEITE ERBAUER DER STADT MAINZ
Joachim Schneider
Danach kam König Dagobert, der baute die Stadt Mainz dort wieder auf, wo sie jetzt liegt, vom Grinsturm 1 bis zu der Heimenschmiede 2 und von der Steinernen Brücke 3 bis zur Gaupforte 4. Zuvor hatte der König auch eine Burg erbaut am St. Jakobsberg, wo sich aber damals noch kein Kloster befand. Die Burg hieß ‚Dagoberts Wighaus‘ 5 und lag außerhalb der Stadt. Und eine andere Burg, die zu Zeiten der Römerherrschaft den Bischöfen gehört hatte 6 , lag unten an der Stadt. Gegenüber beiden Burgen stand die Stadt offen, ohne Mauern und ohne Gräben. Eines Tages kamen die Ritter der Burg und baten den König, dass er ihnen die Stadt übergebe. Das versagte er ihnen und wollte es nicht tun. Daraufhin zogen die Ritter in die Stadt und hielten dort ihren Rat .
Inzwischen unternahm der König eine Reise gegen den Herzog von Böhmen, der heutzutage ein König ist . 7 Dabei erwies ihm die Stadt einen großen Dienst, so dass er den Rittern die Stadt anbefahl und ihnen Freiheiten gab, wie sie wollten. Und sie sollten frei sein von Bede, Geschoss 8 und von Herrendienst und sollten keinen Herren gegen ihren Willen haben. Und zu größerer Sicherheit gab er darüber der Stadt eine Urkunde mit einer goldenen Bulle 9 , an einer seidenen Schnur befestigt. Danach sprachen die Bürger und die Handwerker in der Stadt, die Ritter würden sie verraten, und sie wollten, dass die Bürger auch in den Rat gingen in Angelegenheiten der Stadt. Und sie brachen Dagoberts Wighaus auf, so dass sich die Ritter nicht mehr dort zurückziehen konnten, und mauerten die Stadt an dieser Seite zu. Und sie setzten fest, dass ebenso viele Bürger in den Rat gehen sollten wie Ritter. Da 22 Ritter und Rittergenossen im Rat saßen, gingen nun auch 22 der Bürger und Handwerker – und zwar die besten aus diesen – in den Rat. Und solange ein rechtschaffener Mann 10 lebte, der im Rat saß, sollte man ihn nicht ablösen. Und wenn einer starb, sollte man einen anderen einsetzen und wählen an seine Statt und darüber eine Urkunde ausstellen .
Damals war Kastel eine Stadt 11 und gehörte zum Reich. Und auch das Rheingau gehörte zum Reich, Oppenheim12, die Juden und Bingen und das ganze Land weitum13 und das Gericht zu Mainz gehörten dem König. In Mainz selbst aber hatte der König keine Rechte mehr außer dem Gericht, den Juden und etlichen Hauszinsen, und den Saal und den Hof und den Marstall 14. Das alles hat der König 15 dem Bischof gegeben 16, wie ihr hernach geschrieben findet und hören werdet .
[…]
Auch soll man wissen, dass Kaiser Friedrich 17 die städtischen Freiheiten zu Mainz bestätigt hat, auch die goldene Bulle des Königs Dagobert, der die Stadt Mainz erbaute. Der Graf auf dem Rheingau war Burggrafzu Mainz 18 auf König Dagoberts Wighaus, und viele Kaiser und Könige haben die städtischen Freiheiten zu Mainz bestätigt, bevor irgendein Bischof zu Mainz Rechte hatte .
Aus der Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ in der sog. Windeck-Fassung, nach 1443
I. Der Mainzer Rat im Spiegel der Dagobert-Legende
Die eingangs wiedergegebene Erzählung entstammt der kurzen Chronik „Ursprung der Stadt Mainz“ 19, die in diesem Buch auch im Kapitel zu den Mainzer Ursprungssagen genutzt wird 20. Der Text berichtet hier von einer zweiten Gründung der Stadt Mainz durch den fränkischen König Dagobert I. (631–638/39) aus dem Geschlecht der Merowinger. Davor war die erste angeblich schon seit ältesten Zeiten bestehende Stadt, der Chronik zufolge 21, durch die Hunnen unter König Attila völlig zerstört worden. Die Bezeichnung der Königsburg als wickhuß verweist auf ein festes Steinhaus als Teil einer größeren Befestigung 22, die oberhalb der Stadt gelegen habe. Die Umschreibung der angeblich damals neu erstandenen Stadt mit Hilfe von vier im Spätmittelalter markanten Orientierungspunkten an den vier äußeren Ecken des damals bestehenden städtischen Mauerrings 23sollte offenbar verdeutlichen, dass die „Stadt Dagoberts“ von Anfang an mit der Stadt, wie sie der Chronist und seine Leser kannten, identisch war 24. Die Verbindungslinie von einer durch den Autor sogenannten Steinernen Brücke (über den Zaybach) hin zum Gautor sollte offensichtlich am Fuße des Kästrich verlaufen. Ausgeschlossen blieb der Vorort Selenhofen, der erst im 13. Jahrhundert in den Mauerring einbezogen worden war. Seitdem ersetzte das Neutor, das später auch als Holztor bezeichnet wurde, die Heimenschmiedspforte als wichtiger Zugang zur Stadt, so dass deren Hervorhebung durch den Text für den Zustand vor der Stadterweiterung folgerichtig ist. Da aber die Heimenschmiede auch danach noch als Orientierungspunkt genutzt wurde, 25ist ihre Heranziehung an dieser Stelle durch den Chronisten andererseits auch nicht überraschend.
In der Überlieferung wird die Chronik vom „Ursprung der Stadt Mainz“ um 1440 greifbar. Ein Exemplar könnte sich damals im Besitz des Mainzer Stadtpolitikers und Chronisten Eberhard Windeck (gest. 1440/41) befunden haben. Windeck, Verfasser einer Königs- und Reichschronik über die Regierungszeit Kaiser Sigmunds (1368– 1437) 26, war aber sicher nicht der Autor dieses Textes, da er hierfür lateinischsprachige Überlieferung selbständig hätte bearbeiten und übersetzen müssen, was seine Möglichkeiten überstiegen hätte und auch nicht seiner Arbeitsweise entsprach. Nach Windecks Tod 1440/41 ging der Text vom „Ursprung der Stadt Mainz“ jedenfalls in die illustrierte Überarbeitung und Fortsetzung seiner Chronik ein, die 1443 außerhalb von Mainz, vielleicht in Hagenau im Elsass, entstanden ist. Deren älteste erhaltene Exemplare stammen von etwa 1445. 27Dass der Text über die frühe Mainzer Geschichte aber auch abseits der Windeck-Chronik am Entstehungsort im Spätmittelalter greifbar war, beweisen mehrere Überlieferungsexemplare, die von der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert stammen, sowie der Rückgriff darauf durch den Mainzer Benediktinermönch Hermannus Piscator, der sie ins Lateinische übersetzte und für seine große Mainzer Chronik, die zwischen 1520 und 1526 entstand, verwendete. 28
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