11. Eine Problematik, die bleibt
Dass sich die Debatte trotz des Einsatzes von 14C-Datierungen letztendlich um das Verhältnis von Feldarchäologie und literarischer Überlieferung dreht, zeigt der Kasus der sog. High and Low Chronology . Damit wird die Datierung von Schichten und Architekturresten vor allem in Megiddo und deren Zuweisung an Salomo gemeint ( High Chronology ). Werden die materiellen Reste jedoch den Omriden (Omri, Ahab), ein Jahrhundert später zugeteilt ( Low Chronology ), entsteht ein total anderes Geschichtsbild der Königszeit in Israel. Dann sind es nicht mehr die Davididen, die auf der Landbrücke zwischen Nil und Euphrat ein blühendes Staatswesen errichteten, sondern die Omriden. Es begann alles mit den Philistern. Anhand der Verbreitung der lokal gefertigten Mykene IIIC 1b Keramik als direkter Vorläufer der philistäischen Tongefäße schloss Israel Finkelstein, dass sie erst gegen Ende der Regierungszeit Ramses’ VI., 1135 v. Chr., erschien. Das Auftauchen der eigentlichen Philisterware geschah dann am Anfang des 11. Jh.s. Das reichte, um die übliche Chronologie etwa ein Jahrhundert herunterzudatieren. 43Danach folgte das kritische Hinterfragen der Monumentalarchitektur in Megiddo in den Schichten VB, VA/IVB. Der Bauherr war nicht länger Salomo aus der identitätsstiftenden davidischen Dynastie in Juda, sondern die biblisch negativ beurteilten Herrscher aus dem Nordreich Omri und Ahab. 44Die Zuweisung an Salomo war vor allem die Folge einer direkten Verbindung zwischen der Monumentalarchitektur und der biblischen Notiz 1Kön 9,15.19, nach der Salomo u. a. in Megiddo Mauersysteme verstärkte und Reiter- und Wagenstädte baute. In der Debatte kamen auch 14C-Daten in der renommierten Zeitschrift Science zum Einsatz. 45Eine Schlüsselrolle erhielt die 14C-Datierung von Getreidekörnern und Olivenkernen aus Tel Rehov (197.207) und die Verwüstung dieser Ortslage um 920 v. Chr. Nach dem Jerusalemer Archäologen Amihai Mazar war das Ende von Tel Rehov V dem Feldzug des Pharaos Schoschenk zu verdanken, und reichte die Eisenzeit IIA (klassisch 1000–900 v. Chr.) in einer Revised Traditional Chronology von 980 bis 840 v. Chr. und nicht von 900 bis 840 v.Chr., wie Finkelstein es wollte. Auffällig ist, dass nicht die Accelerator Mass Spectrometry (AMS) und die langsamere, aber genauere Proportional Gas Counting (PCG) mit ihren präzisen 14C-Datierung das Endergebnis bestimmten. Bei der historischen Umsetzung wurde aber wieder auf Pharao Schoschenk zurückgegriffen, der nach den biblischen Texten ein Zeitgenosse Salomos/Rehabeams war und damit die Tür öffnete für Salomo redivivus . Bei aller Objektivität einer 14C-Datierung gelang die historische Umsetzung nur durch ein literarisches Argument. In diesem Zusammenspiel von Archäologie und Bibel gibt es keine puren, sondern nur interpretierte Fakten.
William Dever hat darauf hingewiesen, dass die Fragestellungen rund um Bibel und Archäologie, obwohl in den Medien und beim weiteren Publikum immer gut für verstärkte Aufmerksamkeit, in der praktischen Arbeit in Israel und Jordanien heute eine viel kleinere Rolle spielen. Er schätzt, dass mindestens 75 Prozent der archäologischen Arbeit und Publikationen nichts mit der biblischen Überlieferung zu tun haben. 46Anthropologische Ansätze sind Gemeingut geworden. Ethnische Fragestellungen können unbefangener angegangen werden als in früheren Jahrzehnten. Siedlungsarchäologische Untersuchungen sind frei von dem Zwang, eine bestimmte historische Rekonstruktion beweisen zu müssen. Neue Aufmerksamkeit für eine tribale Gesellschaft ist imstande, Kontinuität und Änderung in einer soziologischen Schichtung präziser zu beschreiben. Spezialisierte Datenbanken können Auskunft geben über Vergleichsmöglichkeiten in einem viel größeren Rahmen als vorher. Das alles trägt dazu bei, diese spezifische Landbrücke, ihre Struktur, ihr Hinterland, ihre Bewohner, ihre Kultur und ihre Religionsgeschichte viel genauer zu beschreiben, als es früher möglich war.
Es war dringend notwendig, dass die archäologischen Fragestellungen und die biblische Überlieferung erst einmal voneinander getrennt wurden. Wo jetzt methodische Selbstständigkeit auf beiden Seiten ausgereift ist, geht es aber auch um die Notwendigkeit, beide miteinander ins Gespräch zu bringen. Das setzt auf exegetischer Seite voraus, dass die behutsame Suche nach geschichtlichen Hintergründen offen bleibt für Ergänzung aus der ganzen Palette der archäologischen Feldforschung, aber auch, dass dieser geschichtliche Hintergrund nicht aus dem Fragenkatalog exegetischen Bemühens verschwindet. Auf archäologischer Seite setzt ein solcher Dialog voraus, dass nicht vorschnell nach einer historischen Umsetzung der archäologischen Daten mit fachfremden Argumenten gegriffen wird.
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