1 ...8 9 10 12 13 14 ...38 Es waren die Amerikaner George Andrew Reisner (1867–1942) und Clarence Stanley Fisher (1876–1941), die in eine andere Richtung gingen. Sie verbanden einzelne, übereinstimmende Fundgruppen der Keramik auf einem Grabungsareal miteinander und bestimmten so die Schicht oder das Stratum. Die schematisch festgelegte Schichtfolge wurde fallengelassen, das Ziel war jetzt die Datierung breitflächiger Architektur. Es war dann die britische Archäologin Kathleen Kenyon (1906–1978), die wieder zu der Stratigraphie, der genau festgelegten Folge der Wohnschichten, zurückkehrte. Bei ihren Ausgrabungen in Jericho (1952 bis 1958) und Jerusalem (1961 bis 1967) perfektionierte sie die von Mortimer Wheeler übernommene stratigraphische Methode und praktizierte sie in beiden wichtigen Ausgrabungsorten. Ihre Grabungen waren nicht durch große (Ober-)Flächengrabungen gekennzeichnet, sondern durch das Graben in Quadranten von meistens fünf mal fünf oder höchstens zehn mal zehn Meter. Die Stege zwischen den Quadranten ließ sie stehen, und an ihnen konnte man ein äußerst genaues Profil ablesen, das mit den Funden im Quadranten verbunden wurde. Obwohl die Methode auch Nachteile hat, wurden durch die im Kontext studierten Objekte und die Verbindung mit den nahen vertikalen Profilen kontrollierbare Aussagen möglich. Das bedeutet, strikt genommen, dass die Archäologie Palästinas erst seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts über kontrollierbare und nachprüfbare Daten aus den Ausgrabungen verfügt.
Es wurde schon auf die wichtige Rolle einer Analyse der Tongefäße bei Ausgrabungen hingewiesen. Nicht die Aufsehen erregenden Fundstücke, nicht einmal die Architektur, sondern die Tongefäße, besonders die Gebrauchskeramik, wurden das Mittel par excellence , um die Geschichte eines Ruinenhügels zu bestimmen. Tongefäße wurden klassifiziert nach der Form und der Dekoration eines Kruges, Topfes oder einer Schüssel. Die dabei auftretenden Variationen wurden dann in einer typologischen Reihe festgelegt und chronologisch bestimmt. Die Umsetzung der relativen Zeitbestimmung in absolute Jahreszahlen war das wichtigste Instrument zur Datierung einer Siedlung. Mit Hilfe externer Daten (meistens literarischer Quellen) wurde eine bestimmte Gebrauchskeramik mit einer bestimmten, meist ethnisch definierten, Trägergruppe verbunden. Wenn nun in der typologisch festgelegten Reihe der Gefäße eine signifikante Änderung auftrat, wurde nach der Ursache gesucht und diese meistens in der Ankunft neuer Bevölkerungsgruppen gefunden. Das braucht nicht falsch zu sein, doch werden dabei zwei wichtige Faktoren übersehen. Erstens führte die Verbindung bestimmter Gefäße mit einer bestimmten Bevölkerungsgruppe dazu, dass ein Umkehrschluss gewagt wurde. Auffällig dekorierte Gefäße wurden so z. B. den Philistern zugewiesen. Aber umgekehrt versuchte man auch zu zeigen, dass dort, wo diese Keramik gefunden wurde, die Philister anwesend waren und dominierend auftraten. Aber Gebrauchskeramik braucht nicht sprunghaft gewechselt zu werden bei einer neuen Herrschaft. Formen können nebeneinander bestehen. Bestimmte Luxusware kann bei Eliten unterschiedlicher Gruppen modisch geworden sein. So können verschiedene Erklärungsmodelle nebeneinander bestehen. Der zweite Faktor ist die Weise, in der die Typologisierung der Gefäße zustande kam. Form und Dekoration haben das Endprodukt im Blick und typologisierten nach kunstgeschichtlichen Kriterien. Welche Ursachen aber beigetragen haben zur Entstehung eines Gefäßes, blieb außer Betracht. Dazu braucht es eine Analyse des Materials, der Tonsorte, und die Frage, ob dieser Ton lokal präsent ist oder nicht. Die Magerung der Tonsorte, die Technik der Anfertigung (handgeformt, Gussform, langsam oder schnell drehende Scheibe), die Rolle der Tradition bei Form und Dekoration und die Marktsituation bestimmen weitgehend die Produktion. Nur in einer zusammenhängenden Analyse von Material, Technik, Form, Dekoration, Nachfrage und Angebot können Änderungen in der Gebrauchskeramik gedeutet und mit einer bestimmten Trägergruppe verbunden werden. Und dabei ist noch nicht auszuschließen, dass bestimmte Gefäße von den Töpfern unterschiedlichen Gruppen angeboten wurden.
Die genaue Stratigraphie eines Ruinenhügels und die breite Analyse der Tongefäße bleiben die wichtigsten Instrumente einer feldarchäologischen Untersuchung. Die Entwicklung methodischer Genauigkeit, die Hilfe von naturwissenschaftlichen Techniken und die gigantische Vermehrung des Grabungsmaterials und der Daten haben dazu beigetragen, die meisten Fehler aus der Vergangenheit zu korrigieren. Trotzdem blieben bei Missachtung der oben genannten kritischen Rückfragen immer noch Fehler möglich, die auch heutzutage zu immer neuen Diskussionen über die (Un)möglichkeiten archäologischer Aussagen führt.
Dazu kommt eine spezifische Problematik, die mit Palästina als Land der Bibel zu tun hat. Auch in den angrenzenden Kulturen von Mesopotamien und Ägypten gibt es reichlich literarische Quellen: Archive und Inschriften. Sie wurden mehrheitlich im 19. Jh. ans Tageslicht gebracht, entziffert und gedeutet. Auch sie konnten in der modernen Zeit missbraucht werden von lokalen Herrschern, die sich mit den früheren Königen und Pharaonen identifizierten. Die Texte selbst aber gehörten klar der früheren Zeit an und haben – abgesehen von literarischen und kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten – keine Bedeutung mehr für heutiges Denken und Glauben. Ganz anders die biblischen Texte, die nach einer beispiellosen Rezeptionsgeschichte bis heute für viele Menschen eine wie auch immer geartete Gültigkeit besitzen. Um die wechselhafte Geschichte zwischen Bibel und Archäologie zu skizzieren, kehre ich zurück zu der Gründung des Palestine Exploration Fund (PEF) 1865. Der breite Rahmen der Zielsetzung »to illustrate the Bible« war bemerkenswert.
»No country should be of so much interest to us as that in which the documents of our Faith were written ... At the same time no country more urgently requires illustration. The face of the landscape, the climate, the productions, the manners, the dress, and modes of life of its inhabitants« 35sollten Forschungsziele sein.
Dies alles war additiv gedacht, nicht apologetisch. Als aber einige Jahre später die amerikanische Schwesterorganisation gegründet wurde, fügte man zu der primären Zielsetzung noch »and to defend the Bible« zu. Damit wurde eine fatale Denkrichtung formuliert, die mithilfe der Archäologie die historische Wahrheit der Bibel gegen die historisch-kritische Wissenschaft verteidigen wollte.
Dabei wurde von einer Seite behauptet, dass »archaeology confirmed the substantial historicity of Old Testament tradition«, 36während auf der anderen Seite Martin Noth vor einer Engführung der Begriffe warnte, weil nur ganz bestimmte Ziele in den Blick genommen wurden. Denn mit dem Ergebnis der Archäologie war meistens eine Datierung gemeint, und mit »Bibel« Ereignisse oder Vorgänge, die durch eine Verbindung mit einer archäologischen Datierung als historisch erwiesen galten. 37So entbrannte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ein wissenschaftlicher Streit, in dem der Vorwurf »so nihilistic an attitude« von jenseits des Atlantik die deutsche historisch-kritische Bibel- und Palästinawissenschaft traf. 38Der Streit hatte große Folgen. Erstens hatten die amerikanischen Archäologen großen Einfluss auf die sich entwickelnde Archäologie in dem neuen Staat Israel. Der Fokus auf Historizität aus letztendlich religiösen Interessen der amerikanischen Archäologie deckte sich mit den nationalen Interessen Israels auf der Suche nach Identität und historischer Kontinuität. Zweitens erhielten popular-wissenschaftliche Darstellungen der Grabungsergebnisse im Kollektivgedächtnis eines breiteren Publikums einen viel größeren Platz als diffizile, differenzierte Verhandlungen der historisch-kritischen Fachliteratur. Inhaltlich musste aber die auf Historizität fixierte Biblische Archäologie sich letztendlich geschlagen geben. Ob man nun die eingestürzten Mauern von Jericho gefunden haben wollte, anhand von Brandschichten in verwüsteten Städten die Landnahme als historisch erwiesen ausgab, das hohe Alter der Erzväterzählungen meinte beweisen zu können oder Beweise für die Historizität der Sintflut sammelte und auswertete: Das alles konnte widerlegt werden.
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