Wenn festgestellt wird, dass den christlichen Kirchen der Wind ins Gesicht blase, und dies auf eine zunehmende Entkoppelung von kirchlichem Christentum und gesellschaftlichen Werten zurückzuführen sei (Wolfgang Huber), dann wirkt sich das bis in den Religionsunterricht aus. Die Rahmenbedingungen – etwa durch die Stellung des Faches im Stundenplan, die Zusammenlegung von Gruppen u. a. – sind die eine Seite der Sache. Schwerer noch wiegt die Entwertung durch die Eltern. Wenn eine Schülerin traurig erzählt, der Papa habe gesagt Reli zählt nicht und ihr für die Eins keine Mark geschenkt hat, die gäbe es nur für wichtige Fächer wie Mathe, dann wird mir auch als Lehrerin klar, dass ich mit diesem Fach auf einer anderen Werteskala angesiedelt bin.
Ich kann die zunehmende Säkularisierung betrauern oder meine Antennen ausfahren, um gerade in dieser materialistischen und konsumorientierten Zeit die ebenfalls zunehmende Sehnsucht nach religiöser Erfahrung aufzuspüren. Damit komme ich um den »Zeugnischarakter« des Religionsunterrichts nicht herum. Diese unbehausten jungen Menschen erleben sich in einer Zeit des Niedergangs, und die angstvolle Vorwegnahme einer bedrohlichen Zukunft nimmt ihnen oft den Atem zum Leben und Lernen.
Und was setze ich dagegen? Eine Glaubensgewissheit? Einen Wertekanon, der doch auch brüchig genug ist?
In allen Klassen lernen wir den 23. Psalm: »… und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir, Dein Stecken und Stab trösten mich.« Keine Zusage, dass das finstere Tal erhellt oder man ihm enthoben werde: »Du bist bei mir.« Das ist alles, was ich ihnen – stellvertretend sozusagen – anbiete, jede Stunde neu: Ich bin bereit, mit dir in deine dunklen Erfahrungen zu gehen, ich halte die Hilflosigkeit aus, auch wenn ich nicht helfen kann. Ich wende den Blick nicht vom Entsetzlichen ab, auch wenn es mich entsetzt. Neben dein fehlendes Urvertrauen setze ich mein Vertrauen in deine Einmaligkeit und Kostbarkeit. Neben die Realität deiner Verzweiflung halte ich die Realität von Gottes Liebe. Ich weiß, das erklärt gar nichts, das nützt dir gar nichts – aber spürst du, dass sich etwas verändert, in dir, in mir, in uns? Ich weiß auch keinen Namen dafür. Wir wollen es namenlos lassen. Das unergründbare Geheimnis, das nicht hilft und doch verändert. »Kommunikation von Hoffnung« (W. Huber) – könnte die so aussehen?
Theologen mögen verzeihen, dass ich mich häufig auf theologisch ungesichertem Terrain befinde. Selten ist die Möglichkeit nachzuschlagen oder nachzufragen. Die Theologie aus dem Herzen mag manchmal anfechtbar sein, aber sie ist wirksamer und wärmender als manch abgesicherte Lehrmeinung.
Wenn ich einmal glaubte, der Weg ginge über Wissensvermittlung zur Erziehung und nur ausnahmsweise zur Beziehung mit den Schülern, so sehe ich den Weg des heutigen Religionsunterrichtes eher umgekehrt: Von der Beziehung allmählich zur Erziehung und dann durchaus auch zur Wissensvermittlung. Heilsgeschichte ohne Heilung geht völlig an den Bedürfnissen der Kinder und damit auch der Schule und der Gesellschaft vorbei.
In diesem Religionsunterricht geht es um die Beheimatung des Heiligen im Groben, in der Weihnachtszeit würde ich formulieren: Es geht um die Geburt Gottes im Stall.
Höchstes Gebot
Hab Achtung vor dem Menschenbild,
Und denke, dass, wie auch verborgen,
Darin für irgend einen Morgen
Der Keim zu allem Höchsten schwillt.
Hab Achtung vor dem Menschenbild,
Und denke, dass, wie tief er sinke,
Ein Hauch des Lebens, der ihn wecke,
Vielleicht aus deiner Seele quillt!
(F. Hebbel)
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