2.11 Vernetzung und multiprofessionelle Kooperation
Der Kanton Aargau empfiehlt im Leitfaden zum KiBeG die Vernetzung und Kooperation zwischen den Gemeinden, insbesondere bei der Ausarbeitung der Qualitätsstandards (Departement Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau, 2016). Die meisten Einrichtungen der SEBB haben die Qualitätsstandards der Fachstelle Kinder&Familien übernommen. Weiter haben sich verschiedene Gemeinden zusammen darauf geeinigt, ähnliche Elternbeitragsreglemente zu führen (Fachstelle Kinder&Familien, pers. Kommunikation, Juni 2019). Auch der Kanton Solothurn befürwortet die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden, damit gegenseitig profitiert werden kann (ASO, o.J.). Der Kanton Bern empfiehlt bei der Einführung eines Tagesschulangebotes eine Überprüfung und Festlegung der Zusammenarbeit sowohl mit der Schule als auch mit wichtigen Beratungs- und Unterstützungsangeboten (z.B. Erziehungsberatungen, Sozialdienste, offene Kinder- und Jugendarbeit) (ERZ, 2009).
Zur Kooperation zwischen Betreuungspersonen an Tagesschulen und Lehrpersonen empfehlen die verschiedenen Verbände regelmässige Austauschgefässe (K&F, 2017; Kibesuisse, 2017). Diverse Organisationen gehen weiter und empfehlen die Vernetzung von Unterricht und Betreuung, indem die Lehr- und Betreuungspersonen ein Team bilden und an den jeweiligen Aktivitäten gegenseitig teilnehmen und eng zusammenarbeiten. Zudem sollen sie gemeinsam Elterngespräche führen und zusammen Entwicklungsziele festlegen (Bildung und Betreuung, 2010).
Der Verband Bildung und Betreuung empfiehlt in Sachen Kooperation mit den Eltern (2010) ein gegenseitiges Verständnis als gleichwertige Partner zu schaffen und zu pflegen. Zudem empfiehlt er, ein Konzept zur Elternarbeit auszuarbeiten, in dem die Partizipation der Eltern verankert ist. Weiter empfiehlt der Verband die Vernetzung mit gleichartigen Angeboten in der Umgebung, wobei im Idealfall gemeinsame Projekte organisiert werden.
Die professionelle Gestaltung der schulergänzenden Bildung und Betreuung braucht klare Richtlinien, die sich an aktuellen Erkenntnissen orientiert. Viele verschiedene Aspekte tragen dazu bei, dass ein hochwertiges Angebot gewährleistet werden kann. Diese beziehen sich einerseits auf Rahmenbedingungen wie die Raumsituation, aber auch auf pädagogische Aspekte und Anstellungsbedingungen sowie Personalauswahl.
Der Kanton Bern hat im Vergleich zu den Kantonen Aargau und Solothurn zu den meisten Aspekten deutlich spezifischere gesetzliche Vorgaben und Richtlinien für die Tagesschulen und die Tagesstätten (Tagi). Zudem wird die SEBB im Fall der Tagesschulen, die den grössten Anteil im Kanton ausmachen, nicht als soziales Angebot, sondern explizit als ergänzendes Angebot der Volksschulen verstanden (Schüpbach, 2018a) und die Tagesschulen werden als öffentlich-rechtliche Einrichtungen geführt. Im Gegensatz dazu sind die Einrichtungen der SEBB in den Kantonen Aargau und Solothurn öfter private Einrichtungen. In beiden Kantonen gelten für sie andere gesetzliche Anforderungen und Richtlinien als für Einrichtungen der SEBB, die von den Gemeinden oder Schulen geführt werden. Im Kanton Aargau besteht eine gesetzliche Grundlage für die SEBB. Die privaten Trägerschaften werden im Kanton Aargau gemäss den Qualitätsstandards überprüft und müssen die Kosten selbst tragen. Hingegen werden im Kanton Aargau die von Gemeinden oder Schulen angebotenen Einrichtungen der SEBB kaum überprüft und unterliegen wenigen Vorgaben. Das heisst, die Verantwortung für die Qualität wird vollständig an die Gemeinden und Schulen übertragen. Im Kanton Solothurn fehlt bisher eine gesetzliche Grundlage, die die Gemeinden verpflichtet, ein Angebot bereitzustellen. Angebote der SEBB entstanden in den letzten Jahren im Kanton Solothurn sowohl aus neuen Trägerschaften als auch in Schulen bzw. Gemeinden, die allerdings nicht vom Kanton bewilligt werden müssen (private Kommunikation mit ASO, Juni 2019).
Zusammenfassung
Auf internationaler Ebene fordert die Kinderrechtskonvention eine angemessene Kinderbetreuung.
Auf nationaler Ebene bestimmt das PAVO die Grundlagen für eine Eröffnung einer Einrichtung der SEBB.
Das HarmoS-Konkordat schreibt bedarfsgerechte Angebote der SEBB vor (gilt für Bern und Solothurn, nicht aber für Aargau, der dem HarmoS-Konkordat nicht beigetreten ist).
Im Kanton Aargau ist seit 2016 das KiBeG in Kraft. Es verpflichtet die Gemeinden, einen bedarfsgerechten Zugang zu einem Betreuungsangebot sicherzustellen sowie sich je nach Einkommen der Erziehungsberechtigten finanziell an den Betreuungskosten zu beteiligen. Inhaltlich bleibt das Gesetz sehr vage. Die Bedarfsabklärung sowie die Ausarbeitung von Elternbeitragsreglementen und Qualitätsstandards werden den Gemeinden überlassen. Für Empfehlungen wird auf Fachstellen und Verbände verwiesen.
Die Tagesschulen im Kanton Bern sind gesetzlich verankert und es gibt viele Vorgaben und Richtlinien. Für andere Einrichtungen der SEBB wie «Tagis» (Tagesstätten) gelten diese Anforderungen jedoch nicht, sondern jene des Kantonalen Jugendamts.
Der Kanton Solothurn schreibt kein Mindestangebot an Betreuungsplätzen vor. Es bestehen diverse Richtlinien und Anforderungen an Einrichtungen der Kinderbetreuung, damit sie eine Bewilligung erhalten. Eine Bewilligung ist ab mindestens 20 Stunden pro Woche und einer Betreuung von mindestens 6 Kindern notwendig. Für Schulen und Gemeinden als Träger der Angebote besteht keine Bewilligungspflicht beim Kanton.
Die Verbände Kibesuisse, Bildung und Betreuung, Radix, Kinder&Familien und die Gewerkschaft vpod stellen verschiedene Forderungen an Einrichtungen der SEBB. Es besteht in allen drei Kantonen Entwicklungspotenzial.
Nachdem wir im vorangehenden Kapitel die Rahmenbedingungen für die schulergänzende Bildung und Betreuung in den drei Kantonen dargelegt haben, möchten wir nun die Beziehung zwischen Arbeit und Gesundheit beleuchten. Die nachfolgenden Kapitel bauen allesamt auf diesen Darlegungen auf. Mithilfe dieser Grundlagen können wir die dort dargestellten Ergebnisse einordnen.
Die (Erwerbs-)Arbeit gehört neben diversen anderen Faktoren zu den sozialen Determinanten der Gesundheit (Wilkinson & Marmot, 2004). Dabei verstehen wir «Gesundheit» in einem umfassenden Sinn als körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden und nicht nur als Abwesenheit von Krankheit (Definition nach WHO, 1986; für eine Diskussion des Gesundheitsbegriffs siehe Ulich & Wülser, 2005).
Neben der Einkommenssicherung hat die Erwerbsarbeit unterschiedliche psychosoziale Funktionen. Diese werden deutlich, wenn Folgen der Erwerbslosigkeit untersucht werden (Semmer & Udris, 2004). Bei der Arbeit bauen Personen Kompetenzen auf und erleben sich als wirksam, die Arbeit gibt eine zeitliche Struktur und schafft Kontakt- und Kooperationsmöglichkeiten. Zudem ist Erwerbsarbeit mit sozialer Anerkennung und persönlicher Identität verbunden (ebd., S. 159). Diese Faktoren hängen mit Motivation und Arbeitszufriedenheit zusammen. Viele Aspekte der Arbeit können aber auch mit Belastung und Stress verbunden sein (Zapf & Semmer, 2004). Wie sich Aspekte der Arbeit auf die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Personals auswirken, ist ein komplexes Zusammenspiel von Eigenschaften der Person und Merkmalen der Arbeit. Eine Vielzahl an Theorien und Modellen beschreiben und erklären diese Zusammenhänge (für einen Überblick vgl. ebd.). Dabei wird in der Regel unterschieden zwischen Belastungen, Ressourcen, Beanspruchungsreaktionen und -folgen. Ressourcen sind Merkmale der Arbeitstätigkeit, des sozialen Umfelds oder der Person, die als Motivatoren und Entlastungsfaktoren wirken. Unter Belastungen werden die von aussen wirkenden Einflüsse verstanden und Beanspruchung bezeichnet die Auswirkung auf die Person, welche abhängig ist von deren individuellen Voraussetzungen (Semmer & Udris, 2004). Während viele Modelle vor allem auf Stress und negative Folgen fokussieren, gibt es auch Modelle, die positive und negative Prozesse integrieren. So unterscheidet das Belastungs-Beanspruchungs-Ressourcen-Modell von Rudow (2017) zwischen positiven und negativen Beanspruchungsreaktionen und -folgen. Zu den positiven Beanspruchungsfolgen gehören die Arbeitszufriedenheit und das Wohlbefinden, zu den negativen Beanspruchungsfolgen gehört beispielsweise Burnout. Ein weiteres Modell, das positive und negative Merkmale der Arbeit integriert, ist das Job-Demands-Resources-Modell (Bakker & Demerouti, 2007), welches wir als Rahmenmodell für unsere Forschung gewählt haben (siehe Abbildung 1). Das Job-Demands-Resources-Modell (JD-R) verbindet zwei Forschungstraditionen, die vorher relativ unabhängig waren: die Stressforschung und die Motivationsforschung (Demerouti & Bakker, 2011). Das Modell integriert Wirkungen von positiven und negativen Merkmalen der Arbeit auf das Belastungserleben und die Motivation sowie auf längerfristige Ergebnisse wie die Leistung, Arbeitszufriedenheit oder Gesundheit der Mitarbeitenden. Das Modell ist sehr flexibel, deshalb kann es auf alle Arten von Arbeit angewendet werden. Die Grundannahmen des Modells wurden wiederholt in Forschungsprojekten bestätigt (für einen Überblick siehe Schaufeli & Taris, 2014) und das JD-R-Modell wurde zu einer umfassenden JD-R-Theorie erweitert (Bakker & Demerouti, 2014).
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