«Nein danke, immer noch nicht. Ich halte das für moralisch bedenklich. Sie brauchen mir auch nichts mehr anzubieten«, sagte ich.
Er lachte aufgesetzt und versuchte, die Contenance zu wahren. Nervös spielte er mit dem Umschlag.
Zwei Wochen später erhielt ich die Druckfahne einer Publikation zugeschickt, die der Konzern, der die Expertensitzung in dem Fünfsternehotel organisiert hatte, herausgeben wollte. In der Hochglanzbroschüre ging es um die Ergebnisse unserer Expertensitzung. Die Broschüre titelte unter anderem mit »Praxisorientierte Empfehlungen von Meinungsbildnern«. Ferner war an anderer Stelle zu lesen, dass die in dieser Publikation dargestellten Empfehlungen das Wissen und die Erfahrungen der teilnehmenden Ärzte darstellten und dass die Publikation dieser Broschüre durch die finanzielle Unterstützung des Pharmakonzerns ermöglicht wurde.
In der Broschüre fand ich unter der Rubrik »Statements aus der Praxis« Fotos von mir und allen anderen Kollegen, die an der Expertensitzung teilgenommen hatten, sowie diverse uns zugeordnete Statements. Kein einziges der Statements passte zu der sehr kontroversen Diskussion, die wir geführt hatten. Ich konnte mich jedenfalls nicht erinnern, solche Statements bei dieser Expertensitzung gehört zu haben.
Unter anderem fand ich bei meinem »Statement aus der Praxis« angeführt, dass die gute Verträglichkeit und hohe Sicherheit einen sehr frühzeitigen Therapiebeginn möglich mache, da schwere Nebenwirkungen nicht zu erwarten sind. Und dass ich bei weniger sicheren Therapieoptionen mit einer frühzeitigen Therapieentscheidung sehr zurückhaltend wäre.
Im allerersten Moment dachte ich sogar noch, dass hier eine Verwechslung vorliegen musste, mein Porträtfoto und mein Name falsch eingefügt worden waren. Aber so war es natürlich nicht.
Ich begann mich zu ärgern, denn mein »Statement aus der Praxis«, schön unterlegt mit einem Porträtfoto und natürlich mit Bildunterschrift von mir, war genau das Gegenteil von dem, was ich bei der Sitzung gesagt hatte und was ich auch bei jeder anderen Gelegenheit öffentlich sagte und schrieb. Ich trat und trete stets für die individuell maßgeschneiderte Therapie meiner Patienten ein. Dafür, dass sich Ärzte jeden Patientenfall genau ansehen und sehr sorgfältig abwägen und entscheiden, ob, und wenn ja, mit welchem Medikament eine Behandlung notwendig ist, oder ob kontrolliertes Zuwarten möglich ist. Dies umso mehr, da viele Medikamente beträchtliche Nebenwirkungen haben und ich ein Gießkannenprinzip für gefährlich und nicht gerechtfertigt halte. Dies wussten auch die Verantwortlichen des Pharmakonzerns, der diese Expertensitzung organisiert und bezahlt hatte.
Ich verlangte, dass die Herausgeber der Broschüre mein »Statement aus der Praxis« entsprechend korrigieren sollten, und auch, dass sie anführten, dass ich keine finanzielle Unterstützung von dem Pharmakonzern bekommen hatte. Ferner bat ich, die Teilnehmerliste auf der Titelseite zu korrigieren, da die entschuldigte Kollegin ebenfalls darauf zu finden war. Schließlich regte ich noch an, etwaige Interessenkonflikte aller Teilnehmer offenzulegen, das heißt anzuführen, wer ein Honorar oder andere Vergütung für seine Teilnahme an dem unabhängigen Expertengremium bekommen hatte. Eine solche Offenlegung, die sogenannten disclosures, sind in der Wissenschaft üblich. Also sah ich nicht ein, warum das bei dieser Broschüre »unabhängiger« Experten nicht so sein sollte.
Als ich schließlich die endgültige Version bekam, waren mein Name aus der Teilnehmerliste und mein »Statement aus der Praxis« samt meinem Porträtfoto verschwunden.
Dafür fand ich nun ein neues »klinisches Statement aus der Praxis« in der Broschüre – jenes der Kollegin Dr. Elisabeth Hardt. Zumindest war ihr Name nun von der Teilnehmerliste genommen worden und angeführt, dass sie verhindert und deshalb bei der Expertensitzung nicht anwesend gewesen war. Ihr »klinisches Statement aus der Praxis« war meinem nunmehr entfernten Statement zum Verwechseln ähnlich.
Denken Sie an Ihren letzten Arztbesuch. Vielleicht waren Sie bei Ihrem praktischen Arzt, vielleicht auch bei einem Facharzt. In jedem Fall ist er Ihnen bestimmt höflich begegnet und hat Ihnen, so gut er konnte, geholfen. Zuerst sprach er mit Ihnen über Ihre Symptome, dann stellte er eine Diagnose und am Ende verschrieb er Ihnen ein Medikament.
Darauf, welches Medikament er Ihnen verschrieb, hatten Sie vermutlich so viel Einfluss wie darauf, welche Schere Ihr Friseur verwendet. Sie wollten auch gar keinen Einfluss darauf nehmen. Denn Sie dachten, dass ein Arzt Ihnen ein Medikament aus einem einzigen Grund verschreibt: weil es nach seinem besten Wissen und Gewissen jenes ist, das Ihnen am besten helfen kann.
Was tatsächlich dazu geführt hat, dass der Arzt Ihres Vertrauens Ihnen ausgerechnet dieses Medikament verschrieb, welche Studien dazu beigetragen haben und wie sie zustande kamen, welche Gespräche und Handschläge stattgefunden haben könnten und welche Briefumschläge dabei eine Rolle gespielt haben könnten, werde ich in diesem Buch zeigen.
Ich werde es nicht anhand einer umfassenden und detailreichen Analyse der Pharmaindustrie und ihrer Wechselwirkungen mit dem Gesundheitswesen zeigen, sondern auf Basis meiner täglichen Erfahrungen im Krankenhaus. Manches mag provokant klingen, manches vielleicht polemisch. Das ist eine Folge des Ärgers über die herrschenden Zustände, der sich in vielen Jahren bei mir aufgestaut hat. Ich schreibe dieses Buch, weil ich genug habe.Wirksame Medikamente sind ein wertvolles Gut für die Menschheit. Zwischen 1918 und 1920 forderte die Spanische Grippe Schätzugen zufolge zwischen 25 und 50 Millionen Todesopfer, wogegen wir dank der Forschung der Pharmaindustrie jetzt viel besser vorbereitet wären. AIDS ist dank der Pharmaindustrie und ihrer teils genialen Wissenschaftler und Forscher kein Todesurteil mehr, gleiches gilt für andere schwere Erkrankungen.
Das Problem sind die Gier und das Geld. Im Spiel der Kräfte des freien Marktes wollen Pharmakonzerne wie jedes andere Unternehmen auch so viele ihrer Produkte wie möglich an so viele Endabnehmer wie möglich bringen, und was überhaupt ein Produkt ist und wer es bekommen soll, scheinen dann oft nicht wissenschaftliche Vernunft und medizinischer Bedarf, sondern Anlegerinteressen und Profitdenken zu entscheiden.
Das Ausmaß an Einflussnahmen, Einflüsterungen und Manipulationen, die der Entscheidung Ihres Arztes, Ihnen ausgerechnet dieses Medikament zu verschreiben, vorausgegangen sind, wird Sie schockieren. Es wird Sie schockieren zu erkennen, dass es bei dieser Entscheidung tatsächlich nicht in erster Linie um Sie und Ihr wichtigstes Gut, Ihre Gesundheit, geht, sondern um das Streben von Medikamentenherstellern nach Marktmacht und Gewinn.
Es wird Sie schockieren, dass es mittlerweile ein in sich und durch sich gewachsenes System ist, das sich natürlich im gesetzlichen Rahmen bewegt, und dass wir die Manipulation als Normalität und Selbstverständlichkeit wahrnehmen und mit ihr leben, wie ein Arzt und Standesvertreter einmal öffentlich sagte: »Von meinem Gehalt als Spitalsarzt kann ich ja gar nicht leben«, weswegen es nur legitim sei, wenn die Pharmaindustrie seine Kongresskosten übernehme.
Es wird Sie schockieren, dass unsere Gesetze solche Praktiken überhaupt möglich machen. Sie werden sich fragen, warum die Gesetze nicht verschärft werden, und werden es genauso wenig verstehen wie ich, da die Lösungsvorschläge auf der Hand liegen, aber keiner von den politischen Verantwortlichen scheinbar etwas tun möchte.
Sie haben schon einmal gehört, dass die Pharmakonzerne nicht die Guten sind, nicht wahr? Da war doch etwas, denken Sie. Ja genau. Da waren die Skandale, die in den vergangenen Jahrzehnten Wellen der Empörung ausgelöst haben. Doch ein paar Strafzahlungen und außergerichtliche Vergleiche später hat sich nichts verbessert, im Gegenteil. Die Skandale gingen vorüber, der Aufschrei verhallte und die Industrie wurde in ihrem Handeln nicht unbedingt transparenter, sondern bloß subtiler. Sie schöpft einfach nur ihre Möglichkeiten aus.
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