4.Reflexion schriftlich festhalten
Unmittelbar nach der Nachbesprechung halten die Studierenden die wichtigsten Ergebnisse schriftlich fest. Insbesondere formulieren sie Handlungsvorsätze für den kommenden Unterricht.
Vgl. von Felten (2011)
Stellenwert des Modelllernens
Seit über dreißig Jahren geht man in der Lernpsychologie davon aus, dass es ein «Modelllernen» gibt, und in vielen Studien ist das Lernen am Modell erforscht worden (vgl. z.B. Bandura 1976). Übertragen auf die Lehrer- und Lehrerinnenbildung, haben Studierende Tausende von Stunden Gelegenheit gehabt, an Modellen (ihren bisherigen Lehrerinnen und Lehrern) zu lernen. Alle angehenden Lehrerinnen und Lehrer haben einen langen Lernprozess hinter sich, bevor sie zum ersten Mal als Lehrperson vor einer Klasse stehen. Das Handeln von angehenden und erfahrenen Lehrpersonen ist (wie in Kapitel 1 dargelegt) in starkem Maße in biografisch aufgeschichteten Deutungsbeständen verwurzelt. Durch aktives Beobachten können den Studierenden Selbstverständlichkeiten und Besonderheiten des schulischen Alltags bewusst werden. Wenn sie erkennen, was sie von ihren Lehrerinnen und Lehrern gelernt haben (und zwar bewusst und unbewusst), können sie ihr eigenes Handeln besser verstehen und weiterentwickeln.
Werkzeuge des Sehens
Wer interessiert und aktiv Unterricht beobachtet, sieht meistens nichts Besonderes, und es kann sein, dass man sich gelegentlich in wenig inspirierende Lektionen aus der eigenen Schulzeit zurückversetzt fühlt. Über die Bereitschaft des aktiven Beobachtens hinaus braucht es den Blick für das Besondere des Unterrichtsgeschehens und professionelles Wissen über Unterricht.
•«Fremder Blick» für das Besondere des Unterrichtsgeschehens
Beobachtende müssen die Bereitschaft und das Interesse haben, alles infrage zu stellen: Muss das so sein? Ist es normal, dass jetzt dies oder jenes getan wird? Wie ginge es mir an der Stelle der Schülerinnen und Schüler?
•Professionelles Wissen über Unterricht
Gefordert ist vielfältiges professionelles Wissen: lernpsychologisches Wissen, Wissen über Aufnehmen, Verarbeiten und Gedächtnis, didaktisches Wissen, Fachwissen zum Inhalt der Lektion, Wissen über Motivation und soziale Prozesse usw. Dieses Wissen vermittelt den Beobachtenden «Werkzeuge des Sehens».
Feedback geben
Nach der Phase des Beobachtens ist es sinnvoll, dass die Hospitierenden ein nützliches und qualitativ hochstehendes Feedback geben. Damit dies weder zu einem kollegialen Schulterklopfen mit undifferenziert lobenden Worten noch zu gegenseitigen Missverständnissen und Verletzungen führt, ist eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen eines unterstützenden Feedbacks gefordert.
Die Aussage des Kybernetikers Norbert Wiener: «Ich weiß nicht, was ich gesagt habe, solange ich nicht die Antwort darauf gehört habe» (Wiener, zit. nach Langmaack & Braune-Krickau 2010, S. 148), weist auf die Komplexität zwischenmenschlicher Kommunikation hin – und auf die Bedeutung der Rückkoppelung für unser Lernen und unsere Entwicklung. Ein angemessenes Verhalten gegenüber anderen können wir lernen, wenn wir die Auswirkungen unseres eigenen Verhaltens auf andere beachten und bereit sind, die entsprechenden Signale zu nutzen (vgl. ebd.).
Wichtig ist, unsere inneren Reaktionen auf empfangene Nachrichten zu beachten. Das, was die Nachricht «anrichtet», richtet die Empfängerin oder der Empfänger teilweise selbst an. Die innere Reaktion auf eine Nachricht erweist sich als Produkt der Wechselwirkung zwischen der gesendeten Nachricht und dem momentanen, psychischen Zustand der Empfängerin oder des Empfängers.
Etwas wahrnehmen – etwas interpretieren – etwas fühlen
Nach Friedemann Schulz von Thun (2001) können drei Empfangsvorgänge unterschieden werden:
•Wahrnehmen heißt: etwas sehen oder hören (z. B. einen Blick, eine Frage).
•Interpretieren heißt: das Wahrgenommene mit einer Bedeutung versehen (z. B. den Blick als abfällig deuten oder die Frage als Kritik auffassen). Diese Interpretation kann richtig oder falsch sein.
•Fühlen heißt, auf das Wahrgenommene und Interpretierte mit einem eigenen Gefühl antworten, wobei der eigene seelische Grundzustand mit darüber entscheidet, was für ein Gefühl ausgelöst wird (z. B. Wut angesichts des abfälligen Blicks). Dieses Gefühl unterliegt nicht der Beurteilung «richtig» oder «falsch», sondern ist eine Tatsache.
Ein Beispiel
Eine Frau erzählt ihrem Mann über eigene Pläne. Als er ein wenig die Stirne runzelt, entgegnet sie: «Nun mach doch nicht gleich wieder ein so angewidertes Gesicht.»
Ihre Rückmeldung ist ein Verschmelzungsprodukt aus Wahrnehmung (Stirnrunzeln), Interpretation («Er missbilligt meinen Plan») und eigenem Gefühl (Wut, Enttäuschung).
Innerer Dreischritt: Der Empfänger soll sich im Klaren darüber werden, dass seine Reaktion immer seine Reaktion ist – mit starken eigenen Anteilen.
«Ich sehe, wie du die Stirn runzelst.»
«Ich vermute, mein Vorhaben passt dir nicht.»
«Ich bin enttäuscht und verärgert, weil ich mir Unterstützung erhofft hätte.»
Und er (der Empfänger) sieht Ansatzpunkte, diese eigenen Anteile gegebenenfalls zu überprüfen: «Du runzelst die Stirn – passt dir das nicht, was ich vorhabe?»
Jetzt kann er bestätigen («Ja, mir kommen gewisse Bedenken, …») oder korrigieren («Doch – mir fiel nur gerade ein, dass wir dazu das Auto brauchen und ich noch keinen Inspektionstermin habe») oder auch sich selbst infrage stellen («Das Stirnrunzeln war mir gar nicht bewusst – ja, vielleicht bin ich etwas enttäuscht, dass du nicht vorher …»)
Vgl. Schulz von Thun (2001), S. 69–75
Johari-Fenster – ein hilfreiches Instrument
Dieses Instrument verdeutlicht, dass sich Fremd- und Selbstwahrnehmung in weiten Bereichen nicht entsprechen. Das, was eine Person von ihrem Verhalten jeweils wahrnimmt, ist nur ein Bruchteil dessen, was für sie in einer sozialen Situation Bedeutung hat. Andererseits vermögen Drittpersonen nicht zu erkennen, was wir selbst nicht preisgeben wollen.
Mithilfe der Feedbackmethode versuchen wir, das Bild, das wir von uns selbst machen, dank der Wahrnehmung durch Dritte in Bereiche zu erweitern, die uns sonst verborgen blieben.
•Ein Feedback ermöglicht den Vergleich von Selbstbild mit Fremdbild.
•Reflexion dank Feedback ermöglicht Arbeit am «blinden Fleck» und die Vergrößerung des «öffentlichen Bereichs».
Nehmen wir Feedbacks ernst, können wir unser Selbstbild mit fremden Rückmeldungen vergleichen und dadurch erweitern, den «öffentlichen Bereich» auf Kosten des «blinden Flecks» ausdehnen.
Feedback schafft ein vertrauensvolles Klima, was uns erlaubt, mehr von uns preiszugeben und den privaten, anderen nicht bekannten Teil zu verkleinern.
Abbildung 3: Johari-Fenster (nach Luft 1989, S. 25)
Der öffentliche Bereich umfasst die Aspekte unseres Verhaltens, die uns selbst und den anderen bekannt sind. Hier handeln wir frei und unbeeinträchtigt von Ängsten und Vorbehalten. |
Der blinde Fleck umfasst den Anteil unseres Verhaltens, den wir selbst wenig, die anderen Mitglieder der Gruppe dagegen recht deutlich wahrnehmen. Es sind die unbedachten und unbewussten Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die Vorurteile, Zu- und Abneigungen. Hier können uns die anderen Hinweise geben. |
Der private Bereich umfasst jene Aspekte unseres Denkens und Handelns, die wir vor anderen bewusst verbergen. Durch Sicherheit und Vertrauen zu anderen kann dieser Bereich verkleinert werden.Vgl. Luft (1989), S. 24–28 |
Der unbewusste Bereich ist weder uns noch anderen unmittelbar zugänglich. Verborgene Talente und ungenützte Begabungen sind Beispiele hierfür. |
Feedback von Schülerinnen und Schülern
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