1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Unser Vorrat an Mustern hilft uns, Informationen schnell inhaltliche und gefühlsbezogene Bedeutung und Priorität zu geben. Die Muster helfen uns, rasch zu erkennen, worum es sich handeln könnte, lang bevor wir alle Informationen haben. Das ist eine Überlebenschance (rasches, entschlossenes Handeln) und eine Gefahr (Fehlreaktion, unangemessene Fortschreibung überholter Erfahrungen) zugleich.
Die inneren Muster verbinden zudem Information mit Empfindungen: Etwas wird als schön, gefährlich, gut, hässlich etc. empfunden. Diese Empfindungen haben viel mit unserer Lebensgeschichte zu tun. Sie verbinden die aktuelle Information mit unseren früheren Erfahrungen, Vorstellungen und Urteilen und verändern sie damit. Es erinnert uns (vielleicht sogar unbewusst) jemand an eine Person, die wir von früher her kennen, und schon übertragen wir ähnliche Gefühle und Einschätzungen auf die neue Person.
Schließlich werden den Informationen Prioritäten verliehen: Etwas wird als wichtig oder unwichtig, sinnvoll oder unsinnig eingeordnet. Auch hier werden Werte und Normen eine wichtige Rolle spielen. Prioritäten sind jedoch auch stark von unseren eigenen Interessen und Bedürfnissen geprägt, die wir in Bezug auf eine Situation haben.
In diesem Sinne ist jeder eingebunden in Gemeinschaften, in Rollen, in Beziehungsgeflechte, aus denen heraus ein gewisser Druck in Richtung gleichgerichteter Wahrnehmung entsteht: Man nimmt wahr, was man wahrnehmen soll und gewohnt ist, wahrzunehmen.
Die hier skizzierten Faktoren und Zusammenhänge, die auf die individuelle «Konstruktion von Realität» einwirken, erinnern uns zunächst daran, dass hinter der Wahrnehmung immer komplizierte psychologische Vorgänge stehen. Ihre Veränderung ist heikel und übersteigt rasch einmal die Fachkompetenz des Laien. Die Tatsache, dass wir immer nur selektiv wahrnehmen, hat eine wichtige Schutzfunktion für den Einzelnen. Er lässt dadurch auch Dinge zugedeckt, die ihn zu sehr ängstigen oder mit denen er nicht recht fertig wird.
Wahrnehmung ist immer ein Prozess, an dem die eigene Person mit ihrer Lebensgeschichte beteiligt ist. In diesem Sinne reagiert der Mensch nicht auf «die Realität», sondern auf sein Bild davon. Dieses Bild ist der entscheidende Anstoß für unsere Reaktionen. Auf dieses Bild hin handeln wir, treten in Kontakt, urteilen und entscheiden. Wir reagieren auf Menschen so, wie wir sie sehen, und nicht darauf, wie sie wirklich sind. ›
Auszug aus: Langmaack, B. & Braune-Krickau, M. (2000). Wie die Gruppe laufen lernt: Anregungen zum Planen und Leiten von Gruppen (7. Auflage). Weinheim: Beltz, S. 104–107 © Psychologie-Verlags Union, Verlagsgruppe Beltz, Weinheim.
2 Soziale Wahrnehmung und Wahrnehmungsfehler
2 Soziale Wahrnehmung und Wahrnehmungsfehler
Unsere Wahrnehmung von Menschen und Sachverhalten ist nicht objektiv. Wir machen uns ein Bild (unser Bild), indem wir aufgrund von Informationen und unseren Wahrnehmungen anderen Menschen Eigenschaften und Absichten zuschreiben. Im folgenden Ausschnitt werden mögliche Wahrnehmungsfehler beschrieben, die für Unterrichtsbeobachtungen und -besprechungen eine besondere Bedeutung haben.
< Die Einschätzung «auf den ersten Blick»
Der erste Eindruck bestimmt oft erstaunlich nachhaltig das Bild, das wir uns von Menschen machen. Die äußere Erscheinung des anderen und unsere eigene Spontanreaktion darauf (Sympathie / Antipathie) beeinflussen unsere späteren Wahrnehmungen. So tendiert man z. B. bei Menschen, die einem spontan gefallen, das zu übersehen, was nicht ins positive Bild passt. Leider gilt dies auch für den umgekehrten Fall. Unsere Wahrnehmung arbeitet selektiv. Der «erste Eindruck» kann nur schwer korrigiert werden.
Vorgefertigte Bilder (Stereotype)
Unsere Wahrnehmung wird beeinflusst durch vorgefertigte Bilder, die wir in unseren Köpfen haben. Man bezeichnet diese Bilder als Stereotype (griech. stereotyp: starr, ständig wiederkehrend). Es handelt sich um emotional gefärbte Vorstellungen, die sich auf ganze Gruppen (bzw. Klassen) von Menschen beziehen:
•ein Italiener! (Nationenstereotyp)
•ein Lehrer! (Berufsstereotyp)
•ein Linker! (politisches Stereotyp)
Wenn wir irgendeine Information über einen Menschen besitzen – wir wissen z. B., welchen Beruf er ausübt –, so treten diese Stereotype in Aktion: Wir beginnen den Unbekannten «einzuordnen», wir machen uns ein Bild, wir glauben, etwas über ihn zu wissen.
Der Halo-Effekt
Damit ist gemeint, dass irgendeine hervorstechende «Eigenschaft» einer Person den Gesamteindruck bestimmt. Alles andere wird davon «überstrahlt», es wird nicht mehr bemerkt (griech. halo = «Hof» um eine Lichtquelle).
•eine schöne Frau!
•ein erfolgreicher Mann!
•ein schwacher Schüler!
Die Beispiele machen deutlich, wie der Halo-Effekt mit den bestehenden Normen zusammenhängt. Wenn ein Schüler in den «zentralen» Fächern (Sprache, Rechnen) schwache Leistungen erbringt, ist er eben ein «schwacher Schüler». Andere Qualitäten werden dann weniger beachtet.
Der logische Fehler
Er besteht darin, dass wir annehmen, dass bestimmte Eigenschaften «logischerweise» zusammen auftreten:
•intelligent, kritisch, ehrgeizig
•dumm, faul, uninteressiert
•höflich, sauber, anständig
Schon ein kurzer Blick auf eine solche «Liste» lässt uns den logischen Fehler erkennen. Trotzdem beeinflusst er unsere Alltagswahrnehmung.
Der Zuschreibungsfehler
Grundsätzlich können wir «Eigenschaften» von Menschen überhaupt nicht beobachten. Was wir tatsächlich sehen, sind Verhaltensweisen in bestimmten Situationen: Wir tendieren aber dazu, aus einzelnen beobachteten Verhaltensweisen Rückschlüsse auf die Person selbst zu ziehen: Wir schreiben ihr Eigenschaften zu.
•Einer, den wir bei einer Aggression beobachten, wird für uns «ein aggressiver Typ».
•Wir ertappen jemanden bei einer Lüge: Er ist unehrlich.
Zuschreibungen prägen unser «Bild vom anderen». Sie beeinflussen aber auch unser Verhalten. Von Zuschreibungen kann abhängen, ob wir mit dem anderen überhaupt etwas zu tun haben wollen oder nicht.
Warum unterliegt die soziale Wahrnehmung so vielen Verzerrungen?
Warum können wir andere Menschen nicht «objektiver» sehen?
Es scheint, dass unser «Bildermachen» von wichtigen Bedürfnissen beeinflusst
wird.
1.Die Bilder sind einfacher als die Realität. Sie erleichtern dadurch die Orientierung und Entscheidung.
2.Die Bilder sind dauerhafter als die Wirklichkeit. Wenn die Menschen «eben so sind, wie sie sind», fällt es uns leichter, ihr Verhalten zu verstehen, als wenn sie sich ändern.
3.Die Bilder sind einheitlicher, weniger widersprüchlich als die Realität. Auch dies erleichtert uns die Orientierung und Entscheidung.
4.Bilder (besonders Stereotype) erzeugen Übereinstimmung mit der Gruppe: «WIR» sehen die anderen so oder so.
Wir nehmen Menschen wahr, indem wir uns ein Bild von ihnen machen. Die Bilder sind einfacher, dauerhafter und widerspruchsfreier als die Wirklichkeit. Gemeinsame Bilder stärken den Gruppenzusammenhalt. ›
Auszug aus: Marmet, O. (2000). Ich und du und so weiter. Kleine Einführung in die Sozialpsychologie, Weinheim: Beltz, S. 60–63 © Verlagsgruppe Beltz, Weinheim.
3 Reflexion des Handelns – eine grundlegende Kompetenz
3 Reflexion des Handelns – eine grundlegende Kompetenz
Im folgenden Ausschnitt fordert Regula von Felten, dass erfolgreiche Lehrerinnen und Lehrer fähig und bereit sein müssen, ihr eigenes Handeln zu reflektieren und zu verändern. Dazu gehört, Routinen zu hinterfragen und sein berufliches Handeln einer reflexiven Rechtfertigung zu unterziehen.
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