Kapitel 3 Kompetenzorientiert unterrichten – Lernziele formulieren
Aktuelle Lehrpläne beschreiben nicht mehr Inhalte und Ziele des Unterrichts, sondern die Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler im Laufe der Schulzeit aufbauen sollen. Doch was wird unter Kompetenz eigentlich verstanden? Wie verändert sich der Unterricht, wenn er sich an Kompetenzen orientiert? Und was unterscheidet Kompetenzen von Lernzielen?
Das folgende Kapitel erklärt den Begriff «Kompetenz» und gibt Einblick in den Lehrplan 21, der für die Volksschulen der deutsch- und mehrsprachigen Kantone der Schweiz als Orientierungsrahmen gilt. Zudem machen Beispiele deutlich, wie sich Kompetenzen, Lernziele und Unterricht aufeinander beziehen.
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REGULA VON FELTEN Was meint Kompetenz?
REGULA VON FELTEN
Was meint Kompetenz?
Der Kompetenzbegriff hat im Zusammenhang mit Bildung und Schule in letzter Zeit hohe Aufmerksamkeit erlangt. In jedem Lehrplan und jedem Weiterbildungsprogramm finden sich Listen von Kompetenzen, die Lernende aufbauen sollen. Während die einen hoffen, die Kompetenzorientierung richte das Lernen stärker auf Handeln aus, beklagen andere, der Begriff werde inflationär verwendet, und tun ihn als Modewort ab. Doch was wird unter Kompetenz eigentlich verstanden? Und wie verändert sich der Unterricht, wenn er sich an Kompetenzen orientiert?
Mögliche Definitionen
Bezeichnen wir im Alltag einen Menschen als kompetent, erachten wir ihn als fähig, uns bezogen auf sein Fachgebiet Auskunft zu geben und darin Aufgaben zu bewältigen. Auch der Kompetenzbegriff in den Erziehungswissenschaften beinhaltet diese beiden Aspekte. Eine häufig verwendete Definition beschreibt Kompetenz «als die Verbindung von Wissen und Können in der Bewältigung von Handlungsanforderungen» (Klieme & Hartig 2008, S. 19). Etwas facettenreicher erklärt Franz Emanuel Weinert (2014) den Begriff. Er versteht unter Kompetenz «die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können» (Weinert 2014, S. 27 f.). Weinert berücksichtigt in dieser Definition nicht nur Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern auch Emotionen und Kognitionen, die beim Lernen beteiligt sind: Hat das Individuum überhaupt Interesse, ein Problem anzugehen (motivationale Bereitschaft), und den Willen, durchzuhalten (volitionale Bereitschaft), bis eine Lösung gefunden ist? Von einem kompetenten Individuum erwartet Weinert zudem, dass es verantwortungsvoll handelt und fähig ist, sein Wissen und Können in unterschiedlichen Situationen zu nutzen.
Oft wird zur Klärung des Kompetenzbegriffs auch eine Darstellung aus der Unternehmensführung beigezogen: Die Wissenstreppe (vgl. North 2011, S. 36) veranschaulicht, dass Wissen, Können und Wollen Voraussetzungen für kompetentes Handeln sind. Um Wissen zu erlangen, müssen Individuen Informationen verarbeiten, sie mit Erfahrungen verbinden und vernetzen. Können beinhaltet, dass sie ihr Wissen in verschiedenen Situationen zur Anwendung bringen. Kompetent sind sie schließlich, wenn sie engagiert und richtig handeln.
Abbildung 4: Die Wissenstreppe (nach North 2011, S. 36)
Der Lehrplan 21
Der neue Lehrplan 21 (D-EDK 2016) für die deutsch- und mehrsprachigen Kantone der Schweiz ist auf Kompetenzen ausgerichtet. Im Gegensatz zu früheren Lehrplänen sind darin nicht Inhalte und Ziele des Unterrichts festgehalten, sondern Kompetenzen beschrieben, die Schülerinnen und Schüler im Laufe der obligatorischen Schulzeit aufbauen sollen. Der Lehrplan 21 umfasst Kompetenzen zu den sechs Fachbereichen «Sprachen»; «Mathematik»; «Natur, Mensch, Gesellschaft»; «Gestalten»; «Musik»; «Bewegung und Sport» und zu den zwei Modulen «Medien und Informatik» sowie «Berufliche Orientierung». Diese Fach- und Modullehrpläne schließen auch überfachliche – das heißt personale, soziale und methodische – Kompetenzen ein. Außerdem enthält der Lehrplan Leitideen zur Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Abbildung 5: Die Fachbereiche im Lehrplan 21 (D-EDK 2016, S. 8)
Kompetenzbereiche, Kompetenzen und Kompetenzstufen
Die Fach- und Modullehrpläne des Lehrplans 21 sind in Kompetenzbereiche unterteilt. Zu jedem Kompetenzbereich sind Kompetenzen aufgeführt, die beschreiben, was Schülerinnen und Schüler am Ende der obligatorischen Schulzeit wissen und können sollten. Die Kompetenzen wiederum sind in Kompetenzstufen unterteilt. Diese bilden den zu erwartenden Aufbau an Wissen und Können ab. Es sind die Vor- und Zwischenstufen auf dem Weg zu einer umfassenden Kompetenz. Für jeden der drei Zyklen der Volksschule (Kindergarten bis Ende 2. Klasse, 3. bis 6. Klasse, 7. bis 9. Klasse) werden zudem Grundansprüche ausgewiesen, die alle Schülerinnen und Schüler erreichen sollen. Die Ausrichtung auf Kompetenzen hat Konsequenzen für das didaktische Denken und Handeln von Lehrpersonen: Im Vordergrund steht, was Lernende nach einer Unterrichtseinheit wissen und können sollen, und nicht die Inhalte, die im Unterricht behandelt werden.
Schülerinnen und Schüler sollen beispielsweise im Fach Deutsch folgende Kompetenz aufbauen (vgl. D-EDK 2016):
•«Die Schülerinnen und Schüler können sich aktiv an einem Dialog beteiligen» (Lehrplan 21: Sprachen > Deutsch > Sprechen > Dialogisches Sprechen; D.3.C.1).
Für die drei Zyklen der obligatorischen Schulzeit werden dazu Kompetenzstufen aufgeführt:
•«Die Schülerinnen und Schüler können ihren Gesprächsbeitrag in einem Gespräch passend einbringen (z. B. auf andere eingehend, nicht verletzend)» (1. Zyklus; D.3.C.1c).
•«Die Schülerinnen und Schüler können ihre Gedanken im Gespräch einbringen, im Austausch verdeutlichen und ihre Meinung mit einem Argument unterstützen» (2. Zyklus; D.3.C.1e).
•«Die Schülerinnen und Schüler können in Mundart und Standardsprache Gesprächsbeiträge und Argumente aufgreifen und ihre eigenen Argumente darauf beziehen» (3. Zyklus; D.3.C.1h).
Kompetenzaufbau über drei Zyklen
Diese drei Kompetenzstufen verdeutlichen den Aufbau des dialogischen Sprechens im Laufe der Schulzeit. Sie sind im Lehrplan 21 zugleich als Grundansprüche ausgewiesen und beschreiben somit Fähigkeiten, die von allen Schülerinnen und Schülern in der Unter-, Mittel- beziehungsweise Oberstufe erreicht werden sollen. Von Kindern wird gegen Ende der 2. Klasse also erwartet, dass sie eigene Beiträge passend in Gespräche einbringen. Gegen Ende der 6. Klasse soll es ihnen zudem gelingen, ihre eigene Meinung mit einem Argument zu stützen. Schülerinnen und Schüler am Ende der 9. Klasse sollen schließlich fähig sein, Argumente von anderen aufzugreifen und mit eigenen Argumenten darauf zu reagieren.
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