In den 1970er-Jahren konnten sich z. B. Beraterausbildungen neben der Selbsterfahrung auf das vertiefte Verständnis einiger Konzepte und die Beherrschung eines bestimmten Repertoires von Beratungstechniken konzentrieren und hatten dafür zumindest im therapeutischen Bereich reichlich Zeit. Dabei leistete man sich einerseits Ruhe zur Vertiefung und Reifung, andererseits allerdings auch manche Ineffektivität und Fehlgewichtung. Gleichzeitig meinte man, auf andere Feld- und Fachkompetenzen weitgehend verzichten zu können. Mängel und Selbstüberschätzung blieben oft unerkannt, weil sie von einseitigen Schulenvorstellungen gedeckt und von Kunden toleriert wurden.
Man war in einseitigen Welterklärungen und Eigengesetzlichkeiten verhaftet und erhob sie anderen gegenüber zum Maßstab. Man hatte vielleicht ein Ganzheitlichkeitsverständnis gemäß der eigenen Schule. Doch Ganzheitlichkeit im Sinne von Einbettung eigener Beiträge in die unternehmerische und gesellschaftliche Gesamtverantwortung und Integrationsfähigkeit in die dort täglichen Steuerungsbelange war meist weniger gefragt. Kritik auf Kundenseite wurde eher als Widerstand gegen Fortschrittlichkeit gedeutet, denn als berechtigte Ansprüche auf passgenaue Zulieferung.
Wie sehr sich seit dieser Zeit die Situation verändert hat, bringt die folgendeÜbung aus heutiger Zeit zum Ausdruck (vgl. Schmid et al. 2010, 26 ff.).
4.7 Beratermarktübung
Auch wenn an dieser Stelle nicht weiter auf diese Übung eingegangen wird, ist unmittelbar zu spüren, dass sie ein ganzes Spektrum von Arbeitsebenen und Lernfragestellungen integriert. Die vielfältigen Betrachtungsweisen und Arbeitsebenen erfordern Flexibilität und Disziplin, ein effektives Zusammenspiel in wechselnden professionellen Rollen, Praxisbezug und einen ökonomischen Umgang mit Ressourcen. Inhalte des Beratungsanliegens und die einzelnen Beratungsfiguren, die früher ausführlich und oft ausschließlich Thema waren, sind in einen komplexen, ganzheitlichen und praxisrelevanten Zusammenhang eingebettet.
Im Folgenden werden einige Aspekte heutiger Anforderungen an professionelle Kompetenz näher erläutert.
4.8 Kompetenzperspektiven
Manche werden diese Erfahrung noch aus der Schulzeit kennen: Man hat viel gelernt, weiß viel und fühlt sich fit. Man kommt dran, kann seine Leistung schlecht vermitteln und wird aus eigener Sicht zu Unrecht als nicht kompetent eingeschätzt. Doch was kompetent ist, entscheidet der Beobachter. Kompetenz ist also auch eine Frage der Perspektive. Über Kompetenz, die zu Markte getragen werden muss, entscheiden die Marktteilnehmer. Wo dies der Fall ist, geht die Bedeutung von rein fachlichen Kompetenzbeurteilern zurück bzw. es behalten nur diejenigen Autorität, die sich an die relevanten Märkte ankoppeln können. Das hat sein Gutes, weil sich dann die Fachorganisationen ihrer gesellschaftlichen Relevanz versichern müssen. Auf der anderen Seite müssen substanzielle fachliche Entwicklungen vor unsinnigen Auswüchsen der Märkte geschützt werden. Davon später mehr.
Am auffälligsten für den einzelnen Anbieter ist, dass professionelle Kompetenz weniger an optimierten Teilkompetenzen gemessen wird, sondern daran, ob verschiedene Komponenten immer wieder neu situationsspezifisch zu einer Gesamtkompetenz zusammengefügt werden können. Die jeweilige Orchestrierung der eigenen Kompetenzen muss zudem ökonomisch und persönlich überzeugend sein.
Niemand kann heute mehr erwarten, dass er das gesamte Programm seiner Kompetenzen und Produkte vorstellen kann, um zu überzeugen. Wenige Kostproben müssen überzeugen. Sie müssen suggerieren, dass Professionelle in der Lage sind, einen originellen und in vielen Dimensionen passenden Beitrag zu leisten. Gelingt dies, sind finanzielle Fragen oft eher zweitrangig.
Jemand, der zwar in Teilaspekten als kompetent eingeschätzt wird, aber erst durch Führung von außen zu einem integrierten Beitrag bewegt werden muss, wird leicht als Belastung für ohnehin belastete Auftraggeber angesehen. Erweckt er jedoch den Eindruck, schnell, selbst organisiert und kooperativ nützlich werden zu können, dann verspricht sich der Auftraggeber Leistung gepaart mit Entlastung.
Auch diese Anforderungen bringen Gutes und Schlechtes mit sich. Einerseits können durch solche »Präsentations-Quickies« Blender eingeladen werden, deren beste Leistung eben solche Präsentationen sind, ohne dass dann wirklich Qualität nachfolgt. Andererseits ist jeder Bewerber gefordert, auf den Punkt zu kommen und Wesentliches zu vermitteln.
Eine Art »verschärftes Eisbergprinzip« verlangt, eine Kostprobe für Kompetenz an der Oberfläche geben zu können, die von den richtigen Qualitäten dahinter überzeugt. Das wechselseitige Ansprechen von Intuitionen über die dahinter stehenden Wirklichkeitsvorstellungen und Kompetenzen entscheidet immer häufiger darüber, ob man überhaupt weitere Chancen bekommt.
4.8.1 Fachkompetenz
Heute ist man sich einig, dass Fachkompetenzen allein nur in wenigen Funktionen ausreichen. Überall entscheidet das Aufbereiten, das Auftreten, das Zusammenspiel mit anderen mit darüber, ob Fachkenntnisse zur Geltung kommen oder nicht. Soziale Faktoren – die sogenannten Soft Skills – sind also wichtig.
Längere Zeit versuchte man, solche Kompetenzen unter den Etiketten Selbstmanagement, Persönlichkeitsentwicklung, Rhetorik und Kommunikation als separate Kompetenz hinzuzunehmen. Kommunikationsfachleute, Psychologen, auch Systemiker gingen davon aus, dass sie so universales Wissen und entsprechende Dienste anzubieten hätten. Sie postulierten, dass diese auch dann nützlich seien, selbst wenn sie sich kein kompetentes Bild von den fachlichen Aspekten der beruflichen Arbeit des Gegenübers machen konnten. Die Verantwortung, das Gelernte in das konkrete Berufsleben zu übertragen, wurde den Kunden und Seminarteilnehmern allein überlassen. Dies führte zu Stimmigkeits- und Transferproblemen. Um Stimmigkeit einer Situation herzustellen, muss sie eben auch unter fachlichen Gesichtspunkten kompetent gestaltet sein. Auch wenn die separat trainierten Soft Skills besser als zuvor versorgt sind, gelingt es ohne Fachkenntnisse nicht leicht, ein überzeugendes Kraftfeld aufzubauen und andere für Bestätigung und komplementäres Mitwirken zu gewinnen. Dann sind Transfer und eigenes kreatives Weiterlernen der Klienten unter Live-Bedingungen schwer – die Sonderveranstaltungs- oder Seminarwirkung verpufft.
Als Konsequenz wird heute die Bedeutung der Fachkompetenz wieder betont. Doch wer braucht wann welche Fachkenntnisse? Welche Lernformen kann man wählen, um die Fachkenntnisse situativ angemessen einzubeziehen, ohne die ganze Angelegenheit zu kompliziert zu machen? Hierauf gibt es keine einfachen Antworten. Doch ist schon viel gewonnen, wenn man sich der Verantwortung stellt, bei Lernprozessen im Softfaktor-Bereich für angemessene Berücksichtigung fachlicher Gesichtpunkte zu sorgen.
Hierzu gehört, dass Lehrende, Berater oder Führungskräfte z. B. genügend juristische oder betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse besitzen, um zu merken, wenn es beim Gegenüber an fachlichen Kompetenzen fehlt. Nicht, dass diese dann geboten werden müssen, aber der Umgang mit dem erkennbaren Bedarf wird in das Lerndesign integriert.
Metaphorisch ausgedrückt gilt: Wie beim Musizieren machen zwar Spieltechnik und richtige Noten allein keine Musik. Doch lässt sich auch ein inspirierendes musikalisches Kraftfeld nicht aufbauen, wenn fachliches Know-how fehlt oder nicht aktiviert und integriert wird.
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