Ralf lachte ins Telefon. »Weißt du Hannes, es ist schon alles so, wie es gehört«, sagte er.
»Was …?«
Er legte auf.
Hatte er mich absichtlich auflaufen lassen? Als kleine Rache, wofür auch immer? Was für ein Mistkerl. Ich konnte nichts dafür, dass Lisa mit ihm nicht mehr glücklich gewesen war.
Die Polizisten, die mit uns im Raum waren, hatten mein Gespräch mit völliger Gleichgültigkeit beobachtet. Ich hatte den Eindruck, Karl und ich hätten einfach hinausspazieren können, und niemand hätte uns aufgehalten. Da schwang die Tür auf. Ein groß gewachsener Mann betrat den Raum und bellte auf Arabisch Befehle.
Daraufhin drängten die Polizisten Karl und mich durch eine Tür an der Rückseite des Büros in eine Kammer. Sie stießen uns hinein und sperrten hinter uns ab. Hier stank es genauso wie in der »Toilette« im Flughafengebäude. Der Boden war mit Fäkalien verschmiert. Die stickige Kammer war vollkommen leer. Es war acht Uhr abends.
Ich wollte etwas Aufmunterndes zu Karl sagen, aber mir fiel nichts ein. Wir harrten still aus. Ich musste mich beherrschen, um nicht mit der Faust auf die Tür einzuschlagen. »Sie kommen bestimmt«, sagte ich erschöpft.
»Wer?«
»Die von der Botschaft.«
Karl murmelte etwas Unverständliches.
Ich glaubte selbst nicht mehr daran.
Irgendwann, als es draußen schon wieder hell geworden war, öffnete sich die Tür. Der groß gewachsene Mann trat ein. »There has been a delay«, sagte er. »We bring you to Port Suez now.«
Er führte uns aus dem Gebäude und wieder zu einem Auto. Ich hatte nicht mehr genug Energie, um auf Details zu achten. Alles, was ich wollte, war heim. Der Auftrag war gelaufen, die Ausrüstung mit Sicherheit verloren.
Nach zwei Stunden Fahrt erreichten wir ein unscheinbares Gebäude. Der groß gewachsene Polizist meinte, hier wäre ein Staatsanwalt, der unsere Papiere ausstellen würde.
Der Staatsanwalt hieß Ahmed El Mouhandes und schien uns nicht viel mehr Bedeutung beizumessen als den Fliegen im Zimmer.
»Wo sind unsere Papiere?«, sagte ich.
Er antwortete halb englisch, halb deutsch. So lange die österreichische Botschaft nicht da sei, könne er nichts machen, sagte er.
Also rief ich neuerlich bei der Botschaft an. »Wir sind mittlerweile bei einem Staatsanwalt, der angeblich Papiere für unsere Weiterreise ausstellen wird«, sagte ich. »Wo sind Sie?«
Ein junger Mann war jetzt am Notfalltelefon. »Hannes Führinger?«
»Genau. Wir waren die ganze Nacht in einer Zelle voller Scheiße. Wie lange muss ich noch auf Sie warten?«
Er räusperte sich. »Herr Führinger, es ist so, wir hatten leider kein Auto zur Verfügung. Wir beeilen uns.«
Ich wollte etwas sagen, ihn beschimpfen, ihm drohen. Stattdessen beschrieb ich ihm so detailliert wie möglich unseren aktuellen Aufenthaltsort und legte dann einfach auf. »Bitte ruf die deutsche Botschaft an«, sagte ich zu Karl. »Vielleicht tun die etwas.«
Ich gab ihm das Telefon. Karl telefonierte einige Minuten und berichtete mir hinterher. Die Diplomaten in der deutschen Botschaft hatten sich schockiert gezeigt. Lisa hatte sich dort bereits am Vorabend gemeldet, nachdem sie nichts mehr von mir gehört hatte. Die Deutschen hatten daraufhin mit den Österreichern Kontakt aufgenommen. Die Österreicher hatten ihnen zugesichert, sich um alles zu kümmern.
»Scheiße«, sagte ich zu Karl. »Die Österreicher sind völlig unfähig.«
Der Staatsanwalt sah uns misstrauisch an. Wir warteten und warteten. Es wurde immer später. Niemand kam. Gegen 19 Uhr redete der Staatsanwalt wieder mit uns. »Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass Sie die Unterstützung der österreichischen Botschaft haben«, sagte er in gebrochenem Deutsch.
Karl und ich sahen ihn an. Er redete weiter. Er sagte noch einen kurzen Satz. »You are under arrest.«
»Was redet der da?«, fragte Karl.
Der Staatsanwalt holte Luft. »Sie verhaftet«, sagte er.
Obwohl wir wegen seines Reisepasses noch einmal umkehren mussten, waren wir zu früh am Flughafen. Ich verabschiedete mich unter Tränen von ihm.
»Auch wenn du mir nicht glaubst«, sagte er. »Diesmal ist es wirklich das letzte Mal.«
Doch darum ging es nicht. Ich hatte Angst.
Um mich abzulenken, rief ich auf der Rückfahrt einige Freundinnen an. Wir vereinbarten einen Frauenabend. Meine Tochter Leonie sollte auch mitkommen.
Als ich zu dem Treffen aufbrach, schrieb ich Hannes, er solle mir Bescheid geben, sobald er angekommen war. Wenig später bekam ich eine SMS von ihm. »Wir sind in Kairo gelandet«, schrieb er.»Alles in Ordnung.«
Das beruhigte mich nicht. Es war klar, dass bis zur Landung in Kairo alles glatt gehen würde. Die Schwierigkeiten begannen erst jetzt. Mit Waffen in einem Land zu reisen, das sich in einem derartigen Chaos wie Ägypten befand, konnte keine gute Idee sein. Doch ich verstand nicht viel von internationaler Politik und Staatsbürokratie. Ich schrieb ihm zurück. »Melde dich bitte noch einmal, wenn du durch den Zoll bist.«
Die Stunden vergingen ohne weitere Nachricht von Hannes. Ich konnte ihn auch nicht erreichen. Ich rief ein Mitglied des Einsatzteams an. Die Männer warteten am Hafen von Suez auf ihn und meinten, dass sie ihn ebenfalls nicht erreichen könnten. Sie hatten ein paar dringende organisatorische Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Ich hatte von diesen Dingen keine Ahnung.
Ich schrieb Ralf, meinem Ex-Freund, eine SMS. Ich könne Hannes nicht erreichen. Da stimme etwas nicht. Er solle sich bitte darum kümmern. Keine Antwort. Ich rief einen Anwalt an, den ich kannte. »Was soll ich tun?«, fragte ich ihn.
»Ich an deiner Stelle würde die österreichische Botschaft in Kairo anrufen«, sagte er. »Wenn etwas passiert ist, müssen die sich einschalten. Die haben am ehesten die Möglichkeiten dazu. Du kannst auch die deutsche Botschaft in Kairo anrufen. Wenn er mit einem Deutschen unterwegs ist, sind die ebenfalls zuständig.«
Die Reaktion der österreichischen Botschaft war nicht gerade beruhigend. »Wenn Ihr Mann durch ein Land, das so instabil ist wie derzeit Ägypten, Waffen transportiert, darf er sich nicht wundern, wenn etwas schiefgeht.«
Da hatte die Frau am Telefon bestimmt recht. Bloß half mir das jetzt nicht. Wo war er?
Eine seltsame Willenlosigkeit ergriff Besitz von Karl und mir. Sie nährte sich aus der Einsicht, dass gegen diese, von jeglichen rechtsstaatlichen Normen offenbar freie Ägypter nichts auszurichten war, aus dem Gefühl, dass wir in einer Falle saßen, in die uns jede Bewegung nur noch tiefer hinein führte und aus der dumpfen Hoffnung, dass die österreichische Botschaft doch noch auftauchen und dem Zauber ein Ende bereiten würde. Als wir in Polizeibegleitung aus dem Gebäude traten und einen Pickup Truck vor der Tür stehen sahen, stiegen wir einfach auf, ohne dass uns jemand dazu aufgefordert hatte. Dabei dämmerte mir allmählich, dass es dauern könnte, bis wir wieder nach Hause fliegen würden.
Ich bat Karl abermals um sein Telefon. Der Polizist, der uns begleitete, warf mir misstrauische Blicke zu, als ich eine Nummer eingab. Während die dreckigen Straßen Kairos mit ihren Sandsteinbauten und den Luxushotels neben den Bruchbuden an uns vorüberzogen, lauschte ich dem Freizeichen. Ich freute mich darauf, Lisas Stimme zu hören, doch es war auch schwer. Ich hatte keine guten Nachrichten für sie. Ich hätte auf sie hören sollen, dachte ich. Sie war so vehement gegen diese Reise gewesen. Als hätte sie gewusst, dass so etwas passieren könnte.
»Hallo?«
Ihre Stimme klang erschöpft. Was sollte ich ihr sagen? Wie sollte ich es ihr sagen?
»Wer ist da?«
Ich versuchte, das Handy mit der Hand vom Straßenlärm abzuschirmen. »Ich bin es«, sagte ich.
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