Er zögerte kurz, dann übersetzte er meine Beschwerde ins Arabische. Die drei Beamten zeigten keine Regung. Einer rümpfte nur die Nase. Er sagte etwas zu unserem angeblichen Anwalt. Der übersetzte es. »Sie brauchen für die Abwicklung der Weiterreise 5.000 Euro«, sagte er.
Meine Geduld neigte sich dem Ende zu. Andererseits war das vielleicht unsere letzte Chance, aus dem Schlamassel einigermaßen glimpflich herauszukommen. Im Oman hatte mich ein Transit samt Eskorte zum Hafen auch schon einmal 3.000 Euro gekostet. 5.000 Euro waren also gerade noch vertretbar.
Ich wollte schon zu meiner Brieftasche greifen, als sich zwischen den beiden angeblichen Flughafenpolizisten hinter dem Tisch eine angeregte Diskussion entspann. »Was besprechen sie?«, fragte ich den Anwalt.
Er zuckte nur mit den Achseln.
Die Diskussion zwischen den Polizisten wurde heftiger.
»Hören Sie«, sagte ich etwas lauter zu dem Anwalt. »Ich habe Sie etwas gefragt.«
»Nun«, sagte er betreten. »Es geht um den Teilungsschlüssel. Einer will 4.000 Euro behalten und dem anderen nur 1.000 Euro geben. Damit ist aber der andere nicht einverstanden. Sie verstehen?« Er zwinkerte mir zu.
»Ich gebe diesen Männern das Geld nicht einfach so«, sagte ich. »Ich brauche eine Zahlungsbestätigung.«
Der Anwalt übersetzte.
Die beiden unterbrachen ihren Streit, um herzlich zu lachen.
»Scheiße«, sagte Karl.
Es ist zwecklos, dachte ich. Wir waren tatsächlich ausgeliefert. Sie würden uns bis auf den letzten Cent ausrauben. Ich wusste, wie korrupt Ägypten war. Eine seriöse Transaktion konnte ich vergessen. Wie konnte ich uns aus dieser Zwangslage befreien? Wir brauchten unbedingt Hilfe.
Ich konnte mich nicht richtig konzentrieren, weil ich dringend aufs Klo musste. Ich bat Karl um eines seiner beiden Telefone und steckte es ein. Einer der Polizisten führte mich in eine Kammer neben dem Büro. Sie war leer bis auf einen Eimer in der Mitte. Er quoll von Kot und Urin über. Der ganze Raum stank furchtbar. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, rief ich wieder die Botschaft an. Diesmal ließ ich die Frau nicht zu Wort kommen. »Wo zur Hölle bleiben Sie so lange?«
Sie erkannte offenbar meine Stimmte. »Beruhigen Sie sich bitte«, sagte sie. »Es kann Ihnen nichts passieren. Wir sind unterwegs.«
Das konnte nicht wahr sein. Ich legte frustriert auf und erleichterte mich über dem stinkenden Eimer, wobei ich darauf achtete, nichts zu berühren. Der Polizist führte mich ins Büro zurück.
Karl saß mittlerweile am Boden. Ich setzte mich neben ihn und lehnte mich wie er an die Wand. »Wo ist der Anwalt?«, fragte ich ihn.
»Abgehauen«, sagte Karl.
Der Anwalt hatte wenigstens Deutsch gesprochen. Nun waren Karl und ich wieder in einem Raum, den wir nicht verlassen durften, mit Menschen, die kein Wort von dem verstanden, was wir sagten. Ich rieb mir die Schläfen. Die Sache fühlte sich allmählich wie ein böser Traum an.
Die Müdigkeit machte mir wieder zu schaffen. Der Flug von München nach Kairo hatte mir nicht gereicht, um nach 72 Stunden fast durchgehender Arbeit wieder fit zu werden. Mein Zeitgefühl ließ mich allmählich im Stich. Irgendwann erhob sich einer der Polizisten ohne ersichtlichen Grund und winkte uns zu sich. »Let’s go«, sagte er.
Karl und ich folgten ihm. Er führte uns aus dem internationalen Bereich in die Zollzone. Wir gingen ohne Kontrolle durch die Sicherheitsschleuse und durchquerten die Empfangshalle. Schließlich blieb der Mann vor einem Western-Union-Stand stehen. Er zeigte mit dem Finger auf das Logo. »Money, money«, sagte er.
Abgesehen davon, dass ich diesem Betrüger keinen Cent geben wollte, hatte er offenbar etwas missverstanden. Wir standen vor einer Wechselstube, nicht vor einer Bank. Ich schüttelte den Kopf. »No money«, sagte ich.
Der Polizist wurde ungehalten. Er schimpfte auf Arabisch und gestikulierte. Karl und ich blieben stumm stehen. Nach einigen Minuten gab er auf und winkte uns weiter. Die Menschen um uns schienen sich nicht dafür zu interessieren, was mit uns passierte. Weder dem Flughafenpersonal noch den wenigen Reisenden schien aufzufallen, dass hier etwas falsch lief.
Wir folgten dem Polizisten hinaus aus der Halle ins Freie. Vor der Tür stand ein Pickup Truck, der einmal blau gewesen sein musste. Das Auto musste mindestens zwanzig Jahre alt sein. Der Polizist führte uns zur offenen Ladefläche und bedeutete uns, aufzusteigen.
Oben saß ein weiterer Mann, der zu meiner Überraschung wenigstens Englisch sprach. »Hallo, Airport Police«, sagte er. Er gab mir die Hand. »I bring you to Port Suez. Your Equipment will follow.«
Ich konnte es kaum fassen. Karl atmete hörbar auf. Wir fuhren los.
Bei einem Checkpoint der Polizei hielt der Truck. Der Fahrer stieg aus und lief hinein. Der Checkpoint sah aus wie eine Ruine. Ein verfallenes Haus. Nach einer halben Stunde kam der Fahrer zurück und wir fuhren weiter.
Der Polizist, der mit uns auf der Ladefläche saß, trug eine verspiegelte Sonnenbrille und kaute Kaugummi. Er saß entspannt da und genoss offenbar die Sonne. Jeden meiner Versuche, mehr zu erfahren, blockte er ab. »I don’t know«, sagte er. Das wiederholte er jedes Mal. »I don’t know.«
Immerhin hatte er uns mitgeteilt, dass ab jetzt alles planmäßig verlaufen würde. Also stellte ich meine Versuche ein und schwieg. Wir fuhren von Checkpoint zu Checkpoint, ohne dass jemand mit uns redete. Nach dem dritten Checkpoint fiel mir auf, dass wir die ganze Zeit in der näheren Umgebung des Flughafens blieben und dass keiner der ägyptischen Beamten bewaffnet war. Die Situation war absurd.
Während wir herumfuhren, fing es zu dämmern an. Wir waren inzwischen auch längere Strecken kreuz und quer gefahren, befanden uns aber noch immer in unmittelbarer Nähe des Flughafens. Nun erreichten wir eine Polizeistation, die größer war als die Checkpoints. Das Haus hatte vier oder fünf Stockwerke. Es war heruntergekommen und teilweise sogar ausgebrannt, aber im Gegensatz zu den anderen eindeutig als Polizeistation zu erkennen. »Come«, sagte unser Aufpasser und sprang von der Ladefläche.
Wir gelangten in ein Büro. Überall lagen Zettel und Mist am Boden, die Regale hingegen waren fast leer. Einige Polizisten lungerten herum. Keiner von ihnen schien etwas zu tun zu haben. Keiner von ihnen sprach mit uns. Dafür griff einer von hinten nach meinen Handgelenken. Er wollte mich offenbar fesseln. Ich riss meine Hände weg. Das war mir nun wirklich zu viel. Ich schrie ihn an. »Are you fucking crazy?«
Der Mann sah mich erschrocken an und verließ kommentarlos das Büro.
»Wo sind wir hier?«, fragte Karl. »Ist das ein auch nur im Ansatz funktionierender Staat?«
Ich benützte noch einmal eines seiner Telefone. »Die haben uns die ganze Zeit im Kreis herumgefahren, nachdem sie uns gesagt haben, dass jetzt alles in Ordnung ist«, erklärte ich der Frau in der österreichischen Botschaft.
»Das tut mir leid«, sagte sie. »Wir waren am Flughafen. Sie waren nicht da.«
Ich bekam Lust, das Handy an die Wand zu schleudern. »Wissen Sie, warum wir nicht da waren? Weil die uns eben den ganzen Tag im Kreis herumgefahren haben«, sagte ich.
Ich versuchte, mich zu beruhigen. »Hören Sie, wir sind jetzt in einer Polizeistation, die keine 300 Meter vom Flughafen entfernt ist«, sagte ich. »Das Gebäude ist halb ausgebrannt und vier bis fünf Stockwerke hoch. Ich kann den Flughafen vom Fenster aus sehen. Helfen Sie uns endlich, verdammt.«
»Okay«, sagte sie. »Wir sind gleich da.« Sie legte auf.
Ich wollte Karl das Handy zurückgeben, als mir Ralf einfiel. Ich wählte seine Nummer. Diesmal kam ich durch. »Hannes hier. Was zum Teufel ist hier los? Meine ganze Ausrüstung ist gestohlen, ich werde festgehalten und betrogen.«
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