Elena Makarova (Hrsg.)
Gendersensible Berufsorientierung und Berufswahl
Beiträge aus Forschung und Praxis
ISBN Print: 978-3-0355-1529-9
ISBN E-Book: 978-3-0355-1530-5
1. Auflage 2019
Alle Rechte vorbehalten
© 2019 hep verlag ag, Bern
www.hep-verlag.com
Junge Frauen und Männer entscheiden sich mehrheitlich für Berufe und Studienrichtungen, in denen der Anteil des eigenen Geschlechts überwiegt. Die Berufswahl junger Frauen fällt selten auf den MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), während junge Männer sich weniger für Berufe und Studienrichtungen im sozialen, pflegerischen oder frühpädagogischen Bereich entscheiden. Diese horizontale Geschlechtersegregation bei der Berufs- und Studienwahl ist seit Jahrzehnten beharrlich und verlangt nach einer Stärkung und Koordination der Maßnahmen im Bereich der gendersensiblen Berufsorientierung.
Da sich bereits Kinder mit ihren «Traumberufen» auseinandersetzen, kommt einer gendersensiblen Berufsorientierung im schulischen Kontext eine zentrale Bedeutung zu. Eine offene Berufswahlvorbereitung an Schulen soll Mädchen und Jungen bei der Erkundung ihrer (geschlechtsuntypischen) berufsbezogenen Interessen durch vielfältige Angebote unterstützen und im Prozess der Berufswahl zur Reflexion von Geschlechterstereotypen ermutigen. Im Weiteren spielt eine gendersensible Berufsorientierung auch für Hochschulen eine zentrale Rolle, um das unausgewogene Geschlechterverhältnis in den Studiengängen und bei der Berufseinmündung nach dem Studium auszugleichen. Dabei stehen ein geschlechtersensibler Auftritt der Berufe und Fachbereiche sowie eine gendergerechte Gestaltung von Studiengängen im Vordergrund der Gleichstellungsbemühungen.
Das vorliegende Buch richtet sich an Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft, der (Berufs-)Bildungspraxis sowie der Gleichstellung und beleuchtet die geschlechtsbezogenen Disparitäten bei der Berufs- und Studienwahl sowie die Ansätze einer gendersensiblen Berufsorientierung anhand der sechzehn Einzelbeiträge. Diese Beiträge präsentieren einerseits die Erkenntnisse aus den aktuellen Forschungs- und Entwicklungsprojekten und zeigen andererseits innovative Beispiele der Umsetzung einer gendersensiblen Berufsorientierung im (Hoch-)Schulkontext auf. Die dreizehn forschungsbasierten Beiträge wurden einem Double-Blind-Begutachtungsverfahren durch externe Gutachterinnen unterzogen und nach der anschließenden Überarbeitung zur Publikation angenommen. Die drei Praxisbeiträge wurden durch die Herausgeber(innen)schaft begutachtet. Die meisten Beiträge in diesem Band stellen die ausgearbeiteten Langfassungen der Vorträge dar, die auf der internationalen Tagung «Gendersensible Berufsorientierung» am 26. Oktober 2018 an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz in Solothurn gehalten wurden. Die Tagung fand im Rahmen des swissuniversities -Programms P-7 «Chancengleichheit und Hochschulentwicklung 2017–2020» statt und war ein Bestandteil des Aktionsplans Chancengleichheit der Fachhochschule Nordwestschweiz 2017–20.
Das Buch ist entlang der vier Themenbereiche strukturiert, die die inhaltliche Bandbreite der Einzelbeiträge spiegeln. Der erste Themenbereich greift die Reproduktion und Transformation einer geschlechtstypischen Berufswahl anhand von fünf Einzelbeiträgen auf. Im ersten Beitrag untersuchen Katja Pässler und Nadine Schneider die Entwicklung beruflicher Interessen von 248 Primarschülerinnen und Primarschülern aus der Deutschschweiz und zeigen, dass eine Förderung von Interessen bei Kindern möglichst früh verankert werden sollte, bevor die allgemeine Begeisterungsfähigkeit von Kindern abnimmt und sich Geschlechtsunterschiede in beruflichen Interessen verfestigen. Der zweite Beitrag von Selina Teuscher, Elena Makarova und Markus P. Neuenschwander fokussiert die berufliche Laufbahn junger Frauen und Männer im Zusammenhang mit der Geschlechtstypik des gewählten Berufs und belegt, dass die berufliche Geschlechtstypik nicht nur ein gewichtiger Faktor ist, wenn es um die Begründung der Berufswahl und der Wahl der Berufslaufbahn geht, sondern auch um die Beurteilung der Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf. Im dritten Beitrag gehen Regula Julia Leemann, Christian Imdorf, Andrea Fischer, Raffaella Simona Esposito und Sandra Hafner der Frage nach, weshalb sich die Geschlechtsspezifität der Fachmittelschule (FMS) nur langsam wandelt. Das Autor(innen)team schlussfolgert, dass die Reproduktion der Geschlechtsspezifität an FMS darauf zurückzuführen ist, dass die Schule sich im Zuge ihrer Institutionalisierung auf ihre traditionelle Funktion stützen musste, um ihr Überleben zu sichern und ihre Position als dritter Bildungsweg zu legitimieren. Der vierte Beitrag von Belinda Aeschlimann, Ines Trede, Marianne Müller und Jörg Neumann untersucht am Beispiel des Sozialbereichs, welche Rolle das Geschlecht für die Berufs- und Bildungsabsichten nach dem Berufsabschluss Fachfrau/-mann Betreuung EFZ spielt, und zeigt einen maßgeblichen Einfluss des Geschlechts und des gewählten Arbeitsbereichs auf die potenzielle Berufs- und Bildungslaufbahn. Abschließend geht der fünfte Beitrag von Sigrid Haunberger und Annabelle Bartelsen geschlechtsspezifischen Studienfachwahlmotiven für das Studium der Sozialen Arbeit nach und beleuchtet, inwiefern ein traditionelles Geschlechterrollenbild sowie eine fehlende Vorstellung über die Studienfachinhalte von Männern ein Studium im sozialen Bereich verhindern.
Nachfolgend setzen sich vier Einzelbeiträge mit g eschlechtsbezogenen-Disparitäten im MINT-Bereich und gendergerechter Unterrichtsgestaltung auseinander. Der erste Beitrag in diesem Themenbereich von Walter Herzog, Elena Makarova und Felicitas Fanger illustriert eine stark asymmetrische und stereotype Darstellung der Geschlechter in naturwissenschaftlichen Schulbüchern auf der Sekundarstufe II und beurteilt diese mit Blick auf eine gendergerechte Unterrichtsgestaltung und die Förderung von Frauen in MINT-Fächern als problematisch. Der zweite Beitrag von Nadine Wenger und Elena Makarova verfolgt das Thema der Gendergerechtigkeit von Lehrmitteln in naturwissenschaftlichen Fächern weiter und stellt die Analyse und die Überarbeitung eines Physikschulbuchs für die Sekundarstufe II nach den Kriterien der Gendergerechtigkeit in Lehrmitteln (Gender Equality School Book Index) dar. Im dritten Beitrag schildern Dorothee Brovelli, Evelin Vogler und Andrea Maria Schmid Ergebnisse einer Vignettenstudie bei angehenden Lehrkräften zu einem geschlechtersensiblen Naturwissenschafts- und Technikunterricht und kommen zum Fazit, dass eine gendersensible Unterrichtsgestaltung in der Ausbildung angehender Lehrkräfte noch stärker berücksichtigt werden muss, sollte der Unterricht auch im Hinblick auf die Berufswahl zur Herstellung von Chancengleichheit beitragen. Abschließend befasst sich der vierte Beitrag von Jessica Bollag, Caroline Bühler, Isabelle Clerc, Mira Ducommun und Sonja Schär mit Vorstellungen von Lehrkräften und Dozierenden auf verschiedenen Stufen des Bildungssystems zum Fach Informatik und zum Beruf der Informatikerin beziehungsweise des Informatikers und zeigt, dass Exklusionsmechanismen unreflektiert in die Vermittlung von Informatikkompetenzen in Schulen und Hochschulen einwirken.
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