Der dritte Themenbereich erörtert Perspektiven einer gendersensiblen Berufsorientierung in Schule und Unterricht . Im ersten Beitrag stellt Hannelore Faulstich-Wieland die theoretischen Grundlagen des Berufswahlprozesses ebenso wie den Ansatz der Irritation nach Arno Combe und Ulrich Gebhard vor und zeigt, wie auf diese Art und Weise ein gendersensibler Berufsorientierungsunterricht ermöglicht werden kann. Der zweite Beitrag von Katja Driesel-Lange und Svenja Ohlemann stellt ausgewählte Studien der Berufsorientierungsforschung dar und zeigt auf dieser Grundlage Implikationen für eine theoretisch fundierte und empirisch begründete Konzeption und Gestaltung individueller und gendersensibler Berufsorientierung. Abschließend schildert ein Praxisbeitrag von Eveline Iannelli Nutzen und Wirkung institutioneller Verankerung eines schulzentrierten Angebots zu einer interessengeleiteten Berufswahl am Beispiel des Avanti-Projekts.
Die im Anschluss folgenden vier Einzelbeiträge thematisieren sodann eine gendersensible Gestaltung von Studiengängen und Weiterbildungen. Der erste Beitrag von Anne-Françoise Gilbert stellt aus der Genderperspektive die Ein- und Ausschlusswirkungen von institutionellen Praxen in technischen Fachhochschulstudiengängen dar und skizziert die Implikationen dieser Befunde für eine genderinklusive institutionelle Praxis in technischen Studiengängen. Im zweiten Beitrag von Dörte Resch und Melanie Nussbaumer wird die Attraktivität von ICT-Berufen analysiert und ermittelt, wie das Berufsimage mittels eines Re-Brandingprozesses so verändert werden kann, dass eine positive Identifikation für die verschiedenen Zielgruppen ermöglicht wird. Der dritte Beitrag aus der Praxis von Lalitha Chamakalayil und Dorothee Schaffner fokussiert Herausforderungen im Umgang mit gegenderten, stereotypen Denkmustern und Rollen- beziehungsweise Berufsbildern von Fachpersonen in der beruflichen Orientierung. Der Beitrag thematisiert, wie Genderthematiken und eine Auseinandersetzung mit intersektional verschränkten Ungleichheiten in der Weiterbildung verankert werden können. Der abschließende Praxisbeitrag von Angela Grosso Ciponte, Danilo Silvestri Graphic und Catherine Sokoloff gibt einen Einblick in den Forschungs- und Entwicklungsprozess einer gendergerechten Lernapp Easystep zum Berufsstart für Studierende in Gestaltung und Kunst.
Als Herausgeberin bedanke ich mich herzlich bei allen Autorinnen und Autoren für ihre spannenden Beiträge, die der interessierten Leser(innen)-schaft vielfältige Einblicke in die Thematik des Buches ermöglichen. Zudem gebührt mein ausdrücklicher Dank Nadine Wenger und Jana Lindner, die durch ihre tatkräftige Unterstützung zum Gelingen der Buchherausgabe erheblich beigetragen haben.
Bern im April 2019 |
Elena Makarova |
Vorwort
Reproduktion und Transformation einer geschlechtstypischen Berufswahl
Katja Pässler, Nadine Schneider
Stabilität und Veränderung geschlechtsspezifischer Interessen im Primarschulalter
Selina Teuscher, Elena Makarova, Markus P. Neuenschwander
Wie begründen Jugendliche ihre Berufswahl und wie zufrieden sind sie im Beruf?
Regula Julia Leemann, Christian Imdorf, Andrea Fischer, Raffaella Simona Esposito, Sandra Hafner
Die Fachmittelschule als «Mädchenschule»!? Eine Bildungsinstitution der Sekundarstufe II zwischen Reproduktion und Transformation der geschlechtertypischen Berufswahl
Belinda Aeschlimann, Ines Trede, Marianne Müller, Jörg Neumann
Die Bedeutung des Geschlechts beim Übergang in die berufliche Tertiärbildung im Sozialbereich
Sigrid Haunberger, Annabelle Bartelsen
Warum Männer und Frauen Soziale Arbeit studieren
Geschlechtsbezogene Disparitäten im MINT-Bereich und gendergerechte Unterrichtsgestaltung
Walter Herzog, Elena Makarova, Felicitas Fanger
Darstellung der Geschlechter in einem Physik- und in einem Chemieschulbuch für die Sekundarstufe II
Nadine Wenger, Elena Makarova
Gendergerechtigkeit von Lehrmitteln in naturwissenschaftlichen Fächern
Dorothee Brovelli, Evelin Vogler, Andrea Maria Schmid
Geschlechtersensibler Naturwissenschafts- und Technikunterricht
Jessica Bollag, Caroline Bühler, Isabelle Clerc, Mira Ducommun, Sonja Schär
Auf dem Weg zu einer gendergerechten Informatikdidaktik
Perspektiven einer gendersensiblen Berufsorientierung in Schule und Unterricht
Hannelore Faulstich-Wieland
Irritationen als Ansatz zur gendersensiblen Berufsorientierung in der Schule
Katja Driesel-Lange, Svenja Ohlemann
Perspektiven von Mädchen und Jungen auf die schulische Berufsorientierung
Eveline Iannelli
Avanti – Nutzen und Wirkung institutioneller Verankerung eines schulzentrierten Angebots zu einer interessengeleiteten Berufswahl*
Gendersensible Gestaltung von Studiengängen und Weiterbildungen
Anne-Françoise Gilbert
Gendersensible Berufsorientierung und die Gestaltung technikwissenschaftlicher Studiengänge
Dörte Resch, Melanie Nussbaumer
Attraktivität von ICT-Berufen
Lalitha Chamakalayil, Dorothee Schaffner
«Wenn die doch zufrieden sind mit einem Frauenberuf?!»*
Angela Grosso Ciponte, Danilo Silvestri, Catherine Sokoloff
«Easystep. Erste Hilfe für den ersten Schritt in den Beruf in Gestaltung und Kunst»*
Autorinnen und Autoren
Reproduktion und Transformation einer geschlechtstypischen Berufswahl
Katja Pässler, Nadine Schneider
Stabilität und Veränderung geschlechtsspezifischer Interessen im Primarschulalter
Ergebnisse einer Längsschnittstudie
Untersucht wurde die Entwicklung beruflicher Interessen von 248 Primarschülerinnen und Primarschülern der vierten bis sechsten Klasse aus der Deutschschweiz ( M Alter = 10.8 Jahre, SD = 1.00). Entsprechend der «disruption hypothesis» verweisen die Ergebnisse auf eine Abnahme des praktisch-technischen, intellektuell-forschenden, sprachlich-künstlerischen, sozialen und konventionellen Interesses mit zunehmendem Alter der Kinder. Bereits im Primarschulalter lassen sich mit Ausnahme des unternehmerischen Interesses Geschlechtsunterschiede in allen RIASEC-Dimensionen nachweisen. Die Geschlechtsunterschiede fallen allerdings geringer aus als bei Jugendlichen und Erwachsenen. Entgegen den Erwartungen berichten Mädchen über ein stärkeres intellektuell-forschendes Interesse als Jungen. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Förderung von Interessen bei Kindern möglichst früh verankert werden sollte, bevor die allgemeine Begeisterungsfähigkeit von Kindern abnimmt und sich Geschlechtsunterschiede in beruflichen Interessen verfestigen.
Berufliche Interessen sind wichtige Determinanten der Studien- und Berufswahl (Humphreys, Lubinski & Yao, 1993) und valide Prädiktoren von Leistung, Zufriedenheit und Persistenz im schulischen, universitären und arbeitsbezogenen Kontext (Nye, Su, Rounds & Drasgow, 2012; Nye, Su, Rounds & Drasgow, 2017; Schiefele, Krapp & Winteler, 1992; Tsabari, Tziner & Meir, 2005). Geschlechtsunterschiede in beruflichen Interessen gelten als wesentlicher Faktor zur Erklärung der anhaltenden Ungleichverteilung von Frauen und Männern in MINT-Berufen (Ceci, Ginther, Kahn & Williams, 2014). Um die Studien- und Berufswahlentscheidung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen besser nachvollziehen und erfolgreiche Interventionen zur Förderung von MINT-Interessen gestalten zu können, scheint es zentral, die Entwicklung beruflicher Interessen und insbesondere die Entstehung geschlechtsspezifischer Unterschiede in beruflichen Interessen zu beleuchten.
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