Wären Menschen bereit, so viel in ihre Sexualität zu investieren wie in ihren Beruf, hätte ihr Sexualleben eine völlig andere Qualität. Die vorherrschende Erwartung an einen sexuellen Höhepunkt lässt sich mit einem Fußballtor vergleichen. Um eines zu schießen, reicht das Interesse an Fußball allein nicht aus. Der Fußballer braucht Talent, ein ausgeprägtes Ballgefühl, einen gesunden Körper, intensives Training und ein gutes Zusammenspiel mit anderen. In der Sexualität möchte man Höhepunkte erreichen, allerdings ohne jegliche Vorbereitung. Quasi aus dem Nichts heraus will man mal schnell am Feierabend zwischen Tagesschau und Krimi den orgastischen Höhenflug erleben.
Die Unterdrückte Macht
Dass es durch bewussten Umgang mit der Sexualität möglich werden kann, Unabhängigkeit, Intelligenz und Kraft zu entwickeln, blieb den verschiedenen Kulturen und Religionen nicht verborgen. Speziell Frauen wurde und wird der natürliche Zugang zu ihrer Kraft versperrt, da man sie so besser unter Kontrolle halten kann. Die Unterdrückung der Sexualkraft mit allen Mitteln – Gesetzen, Moral und Religion – erhält die Machtstrukturen. Nicht zuletzt geraten Frauen durch ihre Mutterrolle in finanzielle und emotionale Abhängigkeiten. So wird ihnen der Ausbruch aus der bestehenden Norm und die Entwicklung neuer Werte noch zusätzlich erschwert.
Durch Gebote und Gesetze wurde die Sexualität im Laufe der Jahrhunderte zu einer Tabuzone, sodass sie in Heimlichkeit und Dunkelheit gedrängt wurde. Die vom gesellschaftlichen Leben abgespaltene Stellung der Sexualität ist weltweit im Kollektiv verankert. So erklärt sich, dass es vielen Menschen peinlich ist, über ihre Sexualität zu sprechen. In keinem Bereich wird so viel gemogelt und gelogen. Und den Menschen, die das tun, fällt es häufig gar nicht auf, weil es sich im Unbewussten abspielt. Das Kollektiv sollte daher dringend mit neuen Informationen gespeist werden. Wir brauchen mehr Klarheit und Transparenz in der Sexualität, und dafür bedarf es der unermüdlichen Bemühung jedes Einzelnen.
Abgespalten und unerfüllt
Obwohl wir in einer Zeit der Sexualisierung leben, wird Sex aus dem Alltag verdrängt. Man hört selten, wie Nachbarn Liebe machen. Man sieht sie nie dabei, und man spricht auch kaum über die eigene Sexualität, nicht einmal mit dem Menschen, mit dem man eine intime Liebesbeziehung pflegt. Frau Meier beschwert sich bei der Nachbarin über das schlechte Wetter, nicht aber über den schlechten Sex mit ihrem Mann.
Die Abspaltung der Sexualität von den anderen Ebenen ist eine der Hauptursachen dafür, dass Sex als unerfüllt empfunden wird. Schon als Kinder haben wir gelernt, bestimmte Bereiche aus dem bewussten Erleben in den Bereich des Unbewussten zu verdrängen. Schon da fielen wir aus der Ganzheit in einen Zustand der inneren Zerrissenheit. Große Bereiche unserer Persönlichkeit unterstehen deshalb nicht unserem bewussten Erleben und Wirken. Diese von uns nicht bewusst besetzten Teile unserer Persönlichkeit werden fremdbestimmt und machen uns manipulierbar. Über diese Teile werden wir wie Marionetten gelenkt und gelebt. Sich auf allen Ebenen bewusst in die Gegenwart einzubringen, ist ein wichtiges Ziel der ganzheitlichen sexuellen Heilung. Eine gute Integrationsübung ist die auf Seite 67 beschriebene Zentrierung. Sie hilft dir, Sexualität als ganzer Mensch und auf allen Ebenen gleichzeitig zu erleben.
Sexualität vernetzen
Um die Sexualität in ihrer Ganzheit und Fülle zu erleben, ist es notwendig, die einzelnen Ebenen und Körper, mit denen jeder Mensch ausgestattet ist, zunächst zu entwickeln und dann bewusst miteinander zu verbinden. Jede einzelne Ebene ist wie ein Baustein. Die verschiedenen Bauklötze ergeben zusammen ein solides Fundament, auf dem du deine Erfahrungen aufbauen und vertiefen kannst.
Das höhere Bewusstsein
Dass die allerwichtigste Zutat im Umgang mit deiner sexuellen Entwicklung dein höheres Bewusstsein ist, darüber haben wir bereits gesprochen und auch gesagt, dass diese Ebene nichts mit deinem Verstand und deinen Gedanken zu tun hat. Es ist die Flamme des Bewusstseins, die es dir ermöglicht, in der Dunkelheit zu sehen und dein Unbewusstes zu erforschen. Dafür gibt es keinen Ersatz und keine Technik. Das Einzige, was da wirklich hilft, ist, in Stille zu sitzen, dein Herz zu öffnen und das höhere Bewusstsein zu bitten, dein Wesen zu erhellen. Das mag für einige etwas kitschig klingen. Aber das höhere Bewusstsein kann sich dir nur zeigen, wenn du es einlädst und bereit bist, dafür Platz zu schaffen und dich im Einklang mit den spirituellen Gesetzen zu entwickeln. Je mehr du dein Wesen reinigst und verfeinerst, desto besser kannst du dich mit der spirituellen Ebene verbinden. Ein offenes, freies Herz ist ein wichtiger Schlüssel, mit dem höheren Bewusstsein in Kontakt zu treten. Die Opfergabe, die das höhere Bewusstsein von dir verlangt, bevor es sich zeigt, ist deine Wahrhaftigkeit.
Verstehen
Sich im Zusammenhang mit der Sexualität bloß am Bauchgefühl und den Instinkten zu orientieren, ist unklug. Entwickle ein Verständnis für die verschiedenen Lebensvorgänge, damit du weißt und verstehst, worum es geht. Geistige und mentale Funktionen werden auf dem Weg der ganzheitlichen Heilung nicht ausgeschaltet, sondern mit einbezogen. Der Zustand der Verwirrung und der Unklarheit, in dem sich fast alle ständig befinden, schafft immer wieder großes Chaos und viel Leid. Sämtliche Vorstellungen, Fantasien, Träume, Erinnerungen und Verhaltensmuster prägen, beschränken und belasten unsere Sexualität. Schule deinen Verstand, deine Konzentration und dein Bewusstsein und befreie sie von unnötigem Ballast, sodass du dich der Wirklichkeit öffnen kannst. Meditation hilft dir, deinen Verstand zu klären, damit dein Weg in die große Einheit von Verständnis und Klarheit begleitet wird.
Im Körper verwurzelt
Ohne Körper keine Sexualität, ohne Körperwahrnehmung keine sinnliche Erfahrung. Erst durch den Körper ist es uns möglich, Sexualität zu erfahren. Der Körper ist dein weiblicher Tempel. Um intensive sexuelle Erfahrungen machen zu können, benötigst du einen gesunden, harmonischen Körper, ein entwickeltes Körperbewusstsein und eine starke Verwurzelung. Viele sexuelle Probleme sind auf körperliche Schwächen und Disharmonien zurückzuführen. Den Körper abzuspalten bedeutet, sich seiner Körperwahrnehmungen nicht bewusst zu sein. Nimm dir Zeit, dich in deinem Körper zu verwurzeln und ihn zu spüren. Nicht indem du ihn aktivierst, trainierst oder stimulierst, sondern indem du entspannst und fühlst und deine Sensibilität verfeinerst, bis du eine tiefe Verbundenheit fühlst. Dann wirst du die Sprache deines Körpers verstehen und deinem weiblichen Körper das geben können, was er braucht, damit die sexuellen Energien harmonisch fließen.
Es gibt verschiedene Ursachen dafür, wenn die Körperwahrnehmung vom restlichen Menschen abgespalten ist. Kinder oder Erwachsene, die geschlagen oder missbraucht wurden, sind häufig aus ihrem Körper geflohen: Zu viele Schmerzen mussten sie an ihm und durch ihn erfahren, aus Selbstschutz haben sie die bewusste Verbindung zu ihm unterbrochen. Auch körperliche und seelische Schockzustände können die Vernetzung zwischen Körper und Geist unterbrechen.
Männer sind oft stolz auf ihren unempfindlichen Körper. Sie investieren viel Zeit und Disziplin in seine Stählung. Beim Sport überschreiten sie absichtlich die Schmerzgrenze, um den Körper abzuhärten und ihn gefühllos zu machen. Es ist häufig so, dass auch Frauen ihren Körper mit männlichen Aktivitäten überstimulieren, sodass ein sensibler Zugang immer schwieriger wird. Schmerz- und Schlafmittel, Tranquilizer, Drogen und Alkohol schwächen die Körperwahrnehmung außerdem, bei Frauen wie Männern. Keine Übung kann die Wirkung dieser Substanzen aufheben. Eine andere häufige Ursache für die körperliche Unempfindlichkeit liegt darin, dass man ihm zu wenig Beachtung und Liebe schenkt, etwa weil man das nie gelernt hat.
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