Männliche und weibliche Wege
Der traditionelle Weg des Sexualyoga ist männlich betont, technisch und diszipliniert. Er besteht hauptsächlich aus körperlichem Training, Techniken und Positionen. Für Männer sind Techniken und intensives körperliches Training im Umgang mit ihrer Männlichkeit und der Sexualität sehr hilfreich. Deshalb gibt es so viele Disziplinen, die ihnen dazu verhelfen, die Sexualität unter Kontrolle zu halten oder auch eine außer Kontrolle geratene Sexualkraft in heilende Bahnen zu lenken.
Bei Frauen bewirken ein aktives, männlich betontes, technisches und diszipliniertes Vorgehen genau das Gegenteil. Es verhindert den natürlichen weiblichen Fluss und die daraus entstehenden Heil- und Entwicklungsprozesse. Kontrolle gehört zum männlichen Aspekt. Natürlichkeit und Hingabe sind die Eigenschaften, die die Weiblichkeit nähren.
Frauen und Yoga
Der Yogaweg kann daher niemals der Weg sein, der Frauen in eine neue Weiblichkeit führt. Daran ändert sich auch nichts, wenn es nun Mondyoga oder Ovaryoga, hormonelles, taoistisches oder Yoga für Frauen genannt wird. Und auch dann nicht, wenn Yogalehrerinnen speziell für ihre Klientinnen weibliche Elemente einfließen lassen und die Yogastruktur mit Tanzeinlagen auflockern oder sinnliche Übungen meiner Bücher einfließen lassen. Der Yogaweg hat eine andere Ausrichtung, auch dann, wenn sich eine Yogalehrerin dessen nicht bewusst ist und es lediglich aus Spaß tut, um etwas gemeinsam mit Frauen zu machen oder um etwas Geld zu verdienen.
Im Yogaweg geht es weder um sexuelle Heilung noch um die Entwicklung der weiblichen Sexualität oder weiblichen Spiritualität, noch geht es darum zu lernen, der weiblichen Intuition zu trauen. Es geht nicht darum, neue Wege zu gehen, sondern den alten bewährten Weg zu beschreiten, der mit den Erfahrungen von Tausenden von Yogis gepflastert ist. Der Yogaweg ist in sich sehr kraftvoll. Einer wahrhaftigen praktizierenden Yogini würde es deshalb auch nie in den Sinn kommen, in ihre Yogapraktiken, die ihr unter anderem helfen sollen, die weiblichen Anteile wie Sexualität und Gefühle unter Kontrolle zu halten, andere Übungen einfließen zu lassen, die gerade das Umgekehrte bewirken.
Auf dem neuen weiblichen Weg lernen Frauen heute, mit ihrer neu gewonnenen Freiheit verantwortungsvoll umzugehen. Sich immer wieder in eine vorgegebene Struktur und Haltung zu bringen und sich innerhalb vorgegebener Formen und Abläufe zu bewegen, hindert Frauen daran, ihre eigene Form und Individualität zu finden und Sicherheit im Umgang mit ihrer Freiheit zu gewinnen. Diese Gefahr besteht bei allen Übungssystemen, die eine bestimmte äußere Form anstreben und feste Bewegungsabläufe nutzen. Das Weibliche benötigt Freiheit, damit frau ihre ureigene Individualität entfalten kann. Frauen sind es gewohnt, sich irgendwo einzufühlen und sich äußeren Formen anzupassen. Es wäre sinnvoller, neue weibliche Wege in die Freiheit zu suchen, die Frauen unterstützen, aus alten Gewohnheiten und Formalitäten auszubrechen.
Die Befreiung und Transformation der sexuellen Kraft
Die Befreiung der Sexualkraft ist ein ganzheitlicher Prozess, der sowohl auf körperlich-energetischer als auch auf emotionaler, geistiger und spiritueller Ebene stattfindet. Um zu erfahren, was an der Sexualität so kostbar und heilsam sein kann, ist es notwendig, sie losgelöst von romantischen Vorstellungen, etwaigen Fantasien und emotionalen Verstrickungen zu erleben.
Die Sexualkraft ist die einzige Energie, die sich erregen und vermehren kann. Das macht sie so besonders. Sie intensiviert und vermehrt Lust- und Liebesgefühle – und das Gleiche tut sie auch mit unseren unbewussten Anteilen. Damit du in dir nicht Unbewusstheiten verstärkst, ist deine spirituelle Ausrichtung so zentral. Ist sie nicht gegeben, entwickeln sich deine unbewussten Anteile. Das stärkt deine unbewusste Weiblichkeit, all die Muster und Konditionierungen – doch Heilung heißt Entwicklung deiner neuen bewussten Weiblichkeit. Überlässt du deine Sexualität den unbewussten Kräften, kann daraus leicht ein Albtraum entstehen. Wie viele Liebesbeziehungen versumpfen im Unbewussten und enden in einer Tragödie?
Alchemie der Liebe
Das »alchemistische Geheimrezept« für den Umgang mit der Sexualenergie sind die drei Schätze: Kraft, Liebe, höheres Bewusstsein. Diese drei Schätze in sich zu vereinen, bewirkt große Wunder, daher ihr Name. Sie beschreiben den Weg der Transformation von der grobstofflichen materiellen Essenz bis zur höchsten Seinsebene. Welche Bedeutung haben die drei für uns und unseren Umgang mit der Sexualität?
Kraft
Sexualität repräsentiert die Kraft. Sie beinhaltet die Essenz eines Menschen in Form von Eizellen und Spermien. Sie repräsentiert die Kraft der Kreation, durch die wir uns und unsere Welt immer wieder neu erschaffen. Deshalb wird die Sphäre der Sexualität auch die Maschinerie des Universums genannt. Als Tor zum Unbewussten ist sie die Hüterin der Kraft des Universums. Die sexuelle Kraft hat kein Bewusstsein. Um sie zu nutzen, ist es notwendig, sie dem höheren Bewusstsein anzuschließen.
So ist Sex das kraftvollste Werkzeug der Menschen, doch in ihrem rohen Urzustand ist die sexuelle Kraft so grob und schwer, dass sie im Körper heftige Reaktionen auslöst. Die Erregung wird dann so heftig, dass sie nach außen drängt. Wird sie in dieser Form im Körper zurückgehalten, können daraus körperliche und emotionale Probleme entstehen. Zum Beispiel kann unverfeinerte Sexualenergie, die direkt in die Nieren gelangt, Allergien auslösen. Wenn wir die sexuellen Kräfte wecken wollen, müssen die entsprechenden Kanäle, Zentren und unsichtbaren Körper entwickelt sein, damit sie die Kraft im Inneren halten können. Das Lebenszentrum, das du bereits bei den Übungen im Kapitel 3 kennengelernt hast, ist ein wichtiger Teil davon. Der kleine Energiekreislauf (siehe Seite 290) ist unter anderem eine wirksame Methode zur Verfeinerung von Energien. Aber es gehört noch einiges mehr dazu.
Liebe
Fast alle Menschen wünschen sich, mehr Lebenskraft zur Verfügung zu haben, aber ein Mehr an Energie ist nicht für alle positiv. Durch den höheren Energiepegel werden nämlich plötzlich die negativen Emotionen zum Leben erweckt, die ein energieloser Mensch elegant umschiffen kann. In einem erhöhten Energiefeld machen sich auch all die inneren Spannungen und Konflikte bemerkbar. Diese ungeliebten Gäste tauchen so lange auf, bis wir sie verarbeitet und uns so für immer von ihnen verabschiedet haben.
Liebe spielt dabei eine wesentliche Rolle. Sie ist das wichtige Verbindungsstück von der körperlich-energetischen Ebene zur spirituellen. Der zweite Schatz ist eigentlich weniger ein Geheimnis als vielmehr eine Kunst, nämlich die, den Körper und die Energie zu verfeinern, zu reinigen und negative Emotionen zu transformieren. Das schafft Platz für die Liebe.
Höheres Bewusstsein
Das dritte Geheimnis besteht darin, den Geist von Sinnesverzerrungen und verwirrten Gedanken zu reinigen und zu befreien. So kann er klar, offen und flexibel werden und sich auf die Verbindung mit einem höheren Bewusstsein vorbereiten. Meditation ist das Heilmittel, damit die Sexualität bewusst gelebt werden kann.
Die drei Schätze
Durch das Zusammenwirken der drei Schätze wird die göttliche Magie, das große Wunder möglich. Sex ohne Bewusstsein endet im Sumpf der Emotionen. Liebe und Bewusstsein ohne Kraft können sich nicht manifestieren. Sex und Bewusstsein können sich ohne Liebe nicht vereinen, weil sie das Bindeglied ist. Sex und Liebe sind sicherlich sehr kuschelig und nett, aber ohne höheres Bewusstsein bleibt diese Kombination ohne Perspektive.
Schwächen und Nebenwirkungen
Der transformierende Umgang mit der Sexualenergie erfordert Sorgfalt und Sensibilität. Eine ganzheitliche Vorgehensweise ist wichtig, weil jeder Mensch andere Stärken und Schwächen hat und es daher einen individuellen Einstieg braucht. Für den Ausgleich und die gezielte Heilung der Sexualität gibt es kein allgemeingültiges Rezept, jeder muss seine eigenen Schwächen kennenlernen und seinen Weg in die Ganzheit finden. Ohne die eigenen Schwächen zu kennen, nützt es nicht viel, mit tollen Übungen die Sexualenergie zu manipulieren, wie das in unzähligen Ratgebern beschrieben wird. Aus Unwissenheit werden die Menschen dazu angeregt, ihre Schwächen zu überspielen und zu kompensieren, anstatt erst mal die wahren Ursachen für Probleme aufzuspüren.
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