»So, sind wir das?« Sein leichtes Lächeln ließ sie frösteln.
»Erzähl mal«, fuhr sie fort. »Wie ist das, wenn du dem Propheten Bericht erstattest? Kriechst du dann auf dem Bauch zu ihm und küsst seine Stiefel? Zieht er dir eins mit der Peitsche über, weil du den Kaiser noch immer nicht gestürzt hast? Wenn du mich fragst, solltest du jetzt lieber deinem Geschäft nachgehen. Tag für Tag sterben weitere Rebellen.« Sie lehnte sich wieder nach vorn und befahl ihrem pochenden Herzen, ruhig zu bleiben. »Dafür sorge ich.«
Er beugte sich ebenfalls vor. Obwohl er kniete, war er groß. »Falls du vorhast, mich wütend zu machen«, raunte er, ihre Lippen waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, »muss ich dich leider enttäuschen.«
Mit jedem Moment, den er länger hier kauerte und sie anstarrte, mit jedem Moment, den sein Blick über alle Stellen und Kurven ihres Körpers wanderte, kam sie einem Panikanfall näher. Da war eine Ruhe an ihm – eine Art schreckliches Geheimnis, das zusammengerollt auf der Lauer lag und auf ihr lastete wie die Erinnerung an einen bösen Traum.
Kurz verlor sie die Nerven.
»Was willst du von mir?«, fragte sie.
Sein Lächeln wurde langsam breiter. »Tja, Madam Fluch, ich will dich.«
Die eigenartige Zärtlichkeit in seiner Stimme jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. »Wo ist meine Mutter?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
Eliana verdrehte die Augen. »Mir war nicht klar, dass die Rote Krone es sich zur Gewohnheit gemacht hat, wehrlose Frauen aus ihren Betten zu rauben«, sagte sie höhnisch. »Seid ihr nicht angeblich Helden? Kämpft gegen unsere Unterdrücker und rettet die Welt vor der Tyrannei?«
»Die Rote Krone ist für diese Entführungen nicht verantwortlich.«
»Wer dann?«
»Eine gute Frage. Ich habe meine Vermutungen.«
Es war sinnlos, ihn weiter zu beschuldigen. Schließlich hatte sie schon vor einer ganzen Weile ausgeschlossen, dass die Rote Krone etwas mit dem Verschwinden der Frauen zu tun hatte.
Aber sie wurde den Gedanken nicht los, dass ihre Mutter irgendwo gefangen gehalten wurde und sich alleingelassen und verängstigt fragte, wann ihre Tochter sie endlich dort herausholte.
Elianas Augen brannten. Wie gern hätte sie jetzt ihre Dolche in den Fingern. »Entweder du tötest mich«, sagte sie betont gut gelaunt, »oder du bindest mich los, damit ich dir deine falsche Zunge herausschneiden kann.«
»Mir liegt weder am einen noch am anderen.« Er unterdrückte ein Lächeln. »Ich habe dir ein Angebot zu unterbreiten, aber ich würde es vorziehen, an einem anderen Ort darüber zu reden, falls diejenigen, die deine Mutter mitgenommen haben, noch einmal zurückkommen. Was hältst du davon, wenn wir uns woanders um unsere Geheimnisse kümmern, kleiner Fluch?«
Klein? Sobald sich die Gelegenheit bot, würde sie ihm kräftig den Hintern versohlen.
»Spinnst du?«, blaffte sie ihn an.
»Das haben sich schon viele gefragt.« Er legte zwei Finger unter ihr Kinn, damit sie ihn ansah. Seine Berührung war wie ein Stromschlag, aber sie riss sich zusammen und lehnte sich in seine Hand.
»Solche Leute wie dich jage ich«, sagte sie und grinste leicht, aber unbeirrt.
»Ich weiß, und du machst deine Sache gut.« Jeglicher Humor war aus seiner Stimme verschwunden. »Sag mir eins, Madam Fluch: Wenn ich verspreche, dass ich dir bei der Suche nach deiner Mutter helfe, und du mich im Gegenzug unterstützt, wirst du dich mir dann anschließen?«
Eliana versuchte, schlau aus ihm zu werden, fand aber nichts, was ihn verriet. Sich ihm anschließen? Ein lächerlicher Gedanke. Sie konnte ihm ja wohl kaum vertrauen.
Aber wenn sie sich weigerte, wenn er aus der Stadt floh und sie mit leeren Händen bei Lord Arkelion erschien – was dann?
Wie gern hätte sie jetzt ihre Augen geschlossen und einen Moment in Ruhe darüber nachgedacht. Mutter, es tut mir leid. Gott, es tut mir so leid. Ich komme, so schnell ich kann. Ich werde dich finden, versprochen!
»Morgen werde ich diese Stadt verlassen«, fuhr der Wolf fort, »und du wirst wahrscheinlich windelweich geprügelt, weil ich dir durch die Lappen gegangen bin. Du kannst also mit mir kommen oder es bleiben lassen, fangen wirst du mich jedenfalls nicht.« Ein kurzes Lächeln. »Du willst doch deine Mutter wiederfinden, nicht wahr? Wäre es nicht klüger, wenn dir jemand dabei hilft?«
Ihre Gedanken überschlugen sich. »Ach, du meine Güte, was für eine Nacht. Da braucht der berühmte Wolf doch tatsächlich die Hilfe von einem Mädchen –«
»Meine Mission startet morgen Abend. Sind wir im Geschäft oder nicht?«
»Morgen hat seine Lordschaft Namenstag. Im Palast wird gefeiert.«
»Was für ein glücklicher Zufall.«
Sie sah ihn skeptisch an. »Nur morgen Abend?«
»Nein. Unsere Mission dauert länger.«
»Wie viel länger?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Oder willst du es nicht?«
»Das sind meine Bedingungen. Nimmst du sie an?«
Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie brachte ein scheinbar unbefangenes, höhnisches Lächeln zustande. »Warum ich?«
»Du kennst den Palast. Mit dir komme ich leichter hinein.«
»Und danach? Warum soll ich mitkommen?«
»Weil es dann schnell gehen muss und ich eine Mörderin an meiner Seite brauche. Jemanden, der so gut ist wie ich.«
»Oder besser.«
»Sagt eine, die gefesselt am Boden liegt.«
»Du hattest eine Pistole. Sonst hätte ich dich geschlagen.«
»Vielleicht.«
»Muss ja eine ziemlich wichtige Mission sein«, sagte sie spöttisch, »und trotzdem würdest du es darauf ankommen lassen und mir vertrauen.«
»Ich setze darauf, dass du deine Mutter retten willst«, antwortete er.
Der Wolf hatte ihren wunden Punkt entdeckt. Und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wusste er das auch.
»Und wenn ich mich nicht darauf einlasse?«
»Dann verschwinde ich von hier und werde dich nicht mehr behelligen, und du kannst deinem sogenannten Leben einfach weiter nachgehen. Außer natürlich sie töten dich, weil du mich nicht gefasst hast.«
Eliana schwieg, sie war gespannt, was er jetzt tun würde.
Nach einer Weile band er ihre Handgelenke los, warf die Fesseln weg und stellte sich hin. »Nun?«
Sie überlegte, wie lange sie dafür brauchen würde, ihn so zu treten, dass er stolperte, sich seinen Revolver zu schnappen und zu schießen. Eine Pistole hatte sie noch nie benutzt – sie waren selten, teuer, und sie hatte sich verboten, Geld dafür auszugeben –, aber sie würde schon damit umgehen können.
Fünf Sekunden. Vielleicht sechs.
Sie könnte es schaffen. Sie stand auf.
Und dann sah sie Harkan.
Er kam aus der Küche, verschmolz mit der Dunkelheit und hatte seinen Lieblingsdolch in der Hand. Hinter ihm stand Remy und schaute gespannt zu.
Harkans Blick fand ihren, hielt ihn fest. Ich hab dich.
»Ich werde dir helfen«, sagte sie langsam zum Wolf, »aber nur wenn ich meinen Bruder mitnehmen kann.«
Remy bekam ganz große Augen.
»Den kleinen Bäckerjungen?« Der Wolf runzelte die Stirn. »Das ist nicht dein Ernst.«
Eliana verzog keine Miene. Was wusste er noch alles über sie?
»Ich nehme an, wir stehlen etwas aus dem Palast, was wir dann irgendwo abliefern. Irgendetwas für den Geheimdienst? Ganz egal, wohin wir es danach bringen, Remy kommt mit. Du wirst ihm eine sichere Überfahrt nach Astavar besorgen und nichts unternehmen, was ihm schadet. Sonst kommen wir nicht ins Geschäft.«
Er funkelte sie an. »Das habe ich so nicht angeboten.«
»Ja oder nein, Wolf.«
Er legte den Kopf zurück. In seinen Augen spiegelte sich das Mondlicht, was ihn wie eine Figur aus einer von Remys ausgefalleneren Geschichten erscheinen ließ – ein Wesen der Nacht, erschaffen aus Geheimnissen und mit scharfen Kanten. Ein Monster des Imperiums, das die Sonnenkönigin töten würde. »So nennen mich nur die Leute, die Angst vor mir haben. Und du hast keine Angst vor mir. Oder doch?«
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