Endlich erreichen wir den Tonle Sap See. Die Luft wird frischer, die paar Boote am Ufer sehen relativ gepflegt aus. Es ist auch die Anlegestelle für die Schnellboote von und nach Phnom Penh. Ry hält uns Vorträge über irgendwelche Seeschlachten, die hier stattgefunden haben. Wir hören kaum zu. Erst Wochen später erfahre ich, dass die Attraktion des Tonle Sap Sees angeblich vom Aussterben bedrohte Süßwasserdelfine sind (vom Aussterben bedroht, weil der Kambodschaner gerne mit Dynamit fischt). Wir sehen jedenfalls keine. Das Boot fährt langsam zurück, auf eines der großen, bunt bemalten Hausboote zu, auf denen »Fishing Center« steht. Wir sehen Souvenirramsch blinken und verweigern Ry die Gefolgschaft. Verstört weist er unseren Bootsführer an, zurückzufahren. Auf halber Strecke, mitten im erschütterndsten Kloakensumpf, schlägt Ry dann vor, doch schon mal hier anzulegen, wir könnten ja gemütlich per pedes zum Bus bummeln. Wenn wir wollten. Er meint es ernst. Wir auch. Das Boot legt nicht an.
Auf der Busfahrt zurück nach Siem Reap halten wir noch mal kurz, um dem Mädchen, das seit einer Ewigkeit flehend neben dem Bus herrennt, ein paar Baht zuzustecken. Und wir formulieren in Gedanken schon mal den Brief an unseren Veranstalter: »Sehr geehrter Herr Meier, Sie sollten Ihre Weltreisen aus den Klauen des IVSR reißen und Ihre Prospekttexte nicht vom VLR schreiben lassen. Richten Sie lieber sinn- und wirkungsvolle Hilfsfonds ein, für die wir gerne spenden. Um uns reichen, verwöhnten, selbstmitleidigen Deutschen mal gehörig die Jammer-Perspektive zurechtzurücken, reicht schon das ganz normale Straßenleben in Siem Reap …«
Bevor uns das ganz normale Straßenleben in Siem Reap wieder hat, treibt uns Ry gnadenlos in das Handicraft-Center. Erneut vergebens. Keiner kauft was, obwohl das Center durchaus unterstützenswerte, unesco-geförderte Arbeit leistet, indem es junge Kambodschaner zu Kunsthandwerkern ausbildet. Die angebotenen Schnitzereien und Steinmetzarbeiten sind tatsächlich auf hohem Niveau, die Preise allerdings auch. Gerade überlege ich, ob ich einen der khmer-typischen, milde lächelnden Buddhaköpfe aus Holz erstehen soll. Doch noch bevor ich mich entscheiden kann, scheucht uns Ry schon wieder in den Bus. Schnell unseren Wunsch abhaken und den alten Markt Psah Chas besuchen.
Endlich. Hier finden wir letztlich alles, was unser Herz bisher vergeblich suchte und begehrte: Atmo, Kontakt zur Bevölkerung und jede Menge Asia-Ramsch. Wir scheißen auf die halbe Stunde Zeit und verzichten auf die gemeinsame Busfahrt zum Hotel. Ein Tuktuk wird uns rechtzeitig zurückbringen. Tuktuks, jene legendären zweisitzigen Rikschas, die ihren lautmalerischen Namen den röhrenden Mopedmotoren verdanken, mit denen sie durch die Straßen jagen, sind in Kambodscha die gängigste Form des öffentlichen Personennahverkehrs.
»Aber der Shuttle zum Flughafen geht pünktlich um zwölf«, kreischt die Schweizerin panisch und sieht sich schon wegen uns den Flieger verpassen.
»Ja und? Es ist noch nicht mal elf!« Wir verlassen unsere Pauschalfreunde und hetzen zum Shoppen, stinksauer darüber, dass man uns diesen Markt fast vorenthalten hätte. Mittlerweile ohne einen Dollar oder Baht in der Tasche. Angeblich, so wurde uns eingebläut, kann man nirgends mit Euro zahlen. Angeblich! Carsten ersteht endlich seine heiß ersehnte, riesengroße Vishnufigur aus Bronze, ich kralle mir einen Buddhakopf aus blaugeädertem Marmor. Natürlich nehmen die Händler mit Kusshand Euro. Okay, ich weiß mittlerweile, dass es eigentlich kein Buddhakopf ist, sondern das meditativ-entrückte Antlitz König Jayavarmans VII. (ca. 1125 bis 1219), das einem in Kambodscha wie eine Pop-Ikone überall friedfertig entgegenlächelt. Allein die Auffahrt zu unserem Hotel wird von vier überdimensionalen Jayavarmännern aus Beton geschmückt.
Selig schleppen wir unsere tonnenschweren Souvenirs zum nächsten Tuktuk. Ich begehe unterwegs den Fehler, mein letztes Kleingeld einer Bettlerin zu geben, schon sind wir von verzweifelten Dollah-Kreischern umgeben – zerfetzte Gliedmaßen, handlose Arme recken sich bittend nach vorne, augenlose Gesichter flennen. Uns bleibt nur, dem Tuktuk-Fahrer »Go! Go! Go!« zuzubrüllen.
Bangkok
Kaum aus Siem Reap in Bangkok gelandet, löst sich unsere kleine Gruppe auf. Einige fliegen gleich nach Deutschland weiter, andere machen einen Badeurlaub. Clara und Thomas werden ein wenig Laos erkunden. Und wir zwei bleiben noch zwei Tage in Bangkok, bevor wir nach Koh Samui fliegen. So viel also dazu, dass Pauschalreisen Herdenreisen sei.
Die Ausreise aus Siem Reap gestaltete sich im Gegensatz zur Einreise übrigens durchaus angenehm. Lächelnde Zöllner und freundliche Grenzbeamte machten den Abschied schwer. Große, blonde Männer wie Carsten schienen dabei einen besonderen Stein im Brett kambodschanischer Grenzer zu haben. Jeder buhlte darum, seinen tonnenschweren Vishnu zu schleppen. Ein Beamter versank gar öffentlich in Carstens blauen Augen und meinte mit verzücktem Lächeln: »Sir, you are an actor, right? Because you look so handsome!« (Worauf Carsten zum kichernden Teenie mutierte.)
Wann hört man so was am deutschen Zoll?
Da verkraftete ich es gerne, dass ein gewissenhafter Grenzer meine klitzekleine, zusammenklappbare Schere, die ich weiland in einem kleinen Chinesenladen in San Francisco erstanden hatte und seit Menschengedenken in meinem Filofax bei mir führe, als gefährliche Waffe einstufte und kurzerhand konfiszierend in seine Hosentasche steckte.
Alle Reiseführer warnen in fetten Blockbuchstaben: Aus Thailand dürfen keinerlei Buddhafiguren oder -teile ausgeführt werden. Verboten, verboten, verboten. Selbst am Bangkoker Flughafen weisen unübersehbare Tafeln darauf hin. Nun ist der Zöllner als solcher in den seltensten Fällen kunsthistorisch so firm, dass er einen kambodschanischen Vishnu von einem Buddha unterscheiden kann. Erfahrene Weltenbummler wissen, dass ein industriegeschnitztes Massenprodukt an der Grenze schnell zum identitätsstiftenden Heiligtum ganzer Nationen mit Ausfuhrverbot mutieren kann, wenn der diensthabende Zöllner dringend einen Kredit abzahlen muss. Also beschließt Carsten, Schmiergelder schon im Vorfeld zu umgehen und seinen Vishnu bei der Einreise in Bangkok anzugeben, damit wir bei der Heimreise nach Deutschland keine Schwierigkeiten bekommen. Die Zolldame in schmucker Uniform versteht sein Anliegen nicht und fragt ihren Kollegen. Ja, die Figur ist aus Bronze und auf antik getrimmt. Nein, kein Buddha, ein Vishnu. Wir packen sie auf Wunsch gerne aus. Der Zöllner winkt gelangweilt ab. Selbst wenn es ein aus einem Bangkoker Museum gestohlener Buddha sei, so sollten wir ihn ganz einfach im Gepäck verstecken. So bekämen wir auf gar keinen Fall Schwierigkeiten. Ich beherzige den Rat des Zöllners, nachdem ich mir am Abend in einem kleinen Laden an der Silom Road einen antiken Alabaster-Buddha aus Burma zu einem Schnäppchenpreis erhandelt habe. Das tonnenschwere Prachtstück kommt zwischen die Schmutzwäsche in den Koffer. Zwar klärt uns eine Antiquitätenhändlerin im Gegensatz zu den Reiseführern dann definitiv auf: Ausschließlich antike Buddhas im Thaistil dürfen nicht oder nur mit ministerieller Genehmigung ausgeführt werden; burmesische oder laotische Buddhas, die sich stilistisch erheblich von den thailändischen unterscheiden und momentan den Markt ebenso überschwemmen wie billige Repliken, können hingegen en masse in alle Welt mitgeschleppt werden. Doch sicher ist sicher, mein Buddha bleibt im Koffer.
Ganz nebenbei erfahren wir, dass wir das Glück hatten, mit dem letzten Flieger aus Kambodscha rausgekommen zu sein, bevor wegen gewalttätiger Unruhen die Grenzen für mehrere Tage dichtgemacht wurden. Eine thailändische Schauspielerin hatte angeblich gesagt, dass Angkor eigentlich zu Thailand gehören würde und von den Khmer geraubt worden sei. Wie diese Äußerung zeigt, haben Soap-Stars in aller Welt offenbar den gleichen IQ, das hinderte die armen Khmer aber nicht daran, völlig auszuflippen. Man fackelte kurzerhand die Thai-Botschaft in Phnom Penh ab, plünderte schnell noch einige Hotels, die Thais gehören, und zerstörte Tankstellen der Thai-Benzin-Kette PTT.
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