»Es ist nicht meine Absicht, Sie zu verführen, Herr Schober«, meinte sie kühl, stieg vom Tisch herunter und ordnete ihre Kleidung. »Sie sollten aber wissen, dass mir solche Gemütslagen durchaus vertraut sind. Wir Frauen pflegen in diesen Situationen unsere beste Freundin anzurufen.«
Mit aufreizenden Schritten ging Lisa hinaus und ließ einen verdatterten Chris zurück. In einer Mischung aus Zorn und Verwunderung schüttelte er den Kopf. Wie kam seine Sekretärin dazu, ihm so etwas zu sagen? Auch wenn sie gemeinsam Spaß gehabt hatten, so stand er in der Hierarchie immer noch über ihr. Frauen! Chris steckte seine Haare hinters Ohr und wandte sich wieder seinem Computer zu. Doch nach einer Weile merkte er, dass seine Konzentration tatsächlich am Boden lag. Sein Kopf begann zu schmerzen und die Zahlen auf dem Bildschirm verschwammen zu einer unscharfen Linie. Chris presste die Lippen zusammen. Was war nur mit ihm los? Solche Tiefpunkte kamen meist dann, wenn sein Körper einen grippalen Infekt oder sonstige Krankheiten ausbrütete, doch es gab keine anderen Symptome dafür. Er seufzte und schaltete den Rechner aus, als ihm plötzlich Lisas zynischer Ratschlag wieder in den Sinn kam. Vielleicht sollte er wirklich …
Er überlegte nicht lange, griff zum Telefon und wählte die Nummer seines besten Freundes.
»Hey, Chris, altes Haus. Es ist eine Ewigkeit her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.« Man konnte sein Grinsen förmlich durch den Hörer fühlen.
»Ich weiß, Marco, aber meine Arbeit und die Firma mit der Verantwortung …«
Sein Gegenüber schnaubte. »Alles faule Ausreden. Du kannst es dir doch leisten, nichts zu tun. Doch die Firma gehört zu deinem Leben wie die Kunst zu meinem.«
Marcos Tonfall verriet eine leichte Überheblichkeit und Chris grinste. Sein Freund aus Jugendtagen hatte allen Grund, stolz darauf zu sein, was er erreicht hatte. Schließlich war es ihm gelungen, seine große Leidenschaft – die Fotografie – zum Beruf zu machen.
»Was ich dich eigentlich fragen wollte«, lenkte Chris das Gespräch wieder zurück. »Hast du heute Abend Zeit und Lust, mit mir im Steakhouse essen zu gehen?«
»Wie bitte?« Marcos Gegenfrage verriet deutliche Überraschung. »Seit wann nimmt der chronische Workaholic sich freiwillig Zeit für ein gemeinsames Abendessen?«
»Das werde ich dir dort erklären«, erwiderte Chris ausweichend und presste die Lippen zusammen. Ihm gefiel nicht, dass sein Freund viel zu schnell die Spur witterte.
»In Ordnung. Treffen wir uns um 20 Uhr?«
Chris bejahte die Frage und legte auf. Seine Hände zitterten etwas. Sollte er Marco wirklich von seinem Problem erzählen? Oder es überspielen, wie er es immer tat? Chris stieß die Luft aus und fuhr den Computer herunter, bevor seine Zweifel die Oberhand gewinnen konnten. Lisas verwunderte Blicke ignorierte er geflissentlich. Für heute war Feierabend.
***
Zwei Stunden später betrat Chris das Steakhouse, welches einen starken Kontrast zu den Restaurants bildete, in denen er sonst verkehrte. Leise Westernmusik erklang aus versteckten Boxen und am Tresen saßen einfache Angestellte neben hochrangigen Geschäftsleuten, tranken Bier oder unterhielten sich angeregt. Suchend blickte Chris sich um. War Marco schon da?
»Hier, altes Haus!«, ertönte es aus einer versteckten Ecke und ein schelmisches Grinsen huschte über Chris’ Gesicht. Niemand außer Marco durfte ihn so nennen. Eilig bahnte er sich einen Weg zwischen Tischen und Stühlen hindurch und schloss seinen Freund in die Arme.
»Wie geht es dir?«, fragte Marco mit seinem typisch italienischen Akzent.
»Ganz gut, und selbst?« Sie setzten sich.
»Mir geht es gut. Die Geschäfte laufen volltrefflich.«
Marco reagierte zuerst nicht, sondern winkte dem Kellner, um eine Flasche Rotwein zu bestellen.
»Und wie sieht es mit deinem Privatleben aus?«, erkundigte er sich wenig später. »Hast du eine Freundin?«
Chris seufzte leicht genervt. Warum musste sein alter Freund immer wieder die gleiche Frage stellen?
»Nein, habe ich nicht«, erwiderte er. »Nicht jeder ist für eine monogame Beziehung geschaffen und ich liebe nun mal die Abwechslung.«
Marcos Gesichtsausdruck verriet, dass dieser mit seiner Meinung ganz und gar nicht einverstanden war und am liebsten alle möglichen Argumente gebracht hätte, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Nur war dies schwer möglich. Chris grinste in sich hinein. Dank des italienischen Blutes in seinen Adern, welchem er unter anderem seine lockigen, schwarzen Haare, den muskulösen Körper und die leicht gebräunte Haut zu verdanken hatte, konnte auch Marco sich vor Angeboten kaum retten. Viele Frauen wären nur allzu gern bereit gewesen, anregende Stunden mit ihm zu verbringen. Doch durch seine Liebe zur Fotografie war auch die Romantik in sein Leben getreten und trotz seiner zuweilen sehr freizügigen, erotischen Aufnahmen, glaubte Marco an die einzig wahre Liebe. Chris hatte ihn damals schallend ausgelacht, auch wenn diese Meinungsverschiedenheit niemals zu Streitereien geführt hatte. Vielmehr ärgerte er sich darüber, dass Marco mit seiner Prophezeiung, dass Sex allein ihm auf die Dauer nicht reichen würde, bis zu einem gewissen Grade recht gehabt hatte – auch wenn Chris nach wie vor an eine vorübergehende Flaute glaubte.
Überrascht hob Marco die Augenbrauen.
»Warum hattest du es dann plötzlich so eilig, dich mit mir zu treffen? Spontane Unternehmungen sind sonst nicht deine Art.«
Ein amüsiertes Funkeln lag in seinen Augen und Chris fluchte innerlich. Er hasste es, wenn er sich in die Enge getrieben fühlte, und Marco mit seiner soliden Menschenkenntnis und dem überdurchschnittlichen Einfühlungsvermögen spürte viel zu schnell, dass etwas nicht stimmte. Zu seiner Erleichterung unterbrach das Erscheinen des Kellners ihr Gespräch und die beiden Freunde bestellten jeweils ein Rumpsteak mit Kräuterbutter, Zwiebeln und Bratkartoffeln.
»Heute Abend pfeifen wir auf Etikette«, lachte Marco und sie prosteten sich zu.
Chris lachte ebenfalls. Es tat gut, einfach mal man selbst zu sein. Zusätzlich ließ der Alkohol ihn alle Zweifel vergessen.
»Im Augenblick scheint alles sinnlos«, sagte er dann und dämpfte seine Stimme.
Marco schaute ihn überrascht an.
Chris fuhr fort: »Du weißt, ich liebe die Abwechslung und habe gern verschiedene sexuelle Abenteuer. Aber in letzter Zeit erfüllen mich diese Spiele nicht mehr. Es ist immer dasselbe und außerdem geben die Frauen sich viel zu schnell hin. Ich möchte an Grenzen stoßen und Widerstände brechen.«
Marco grinste wissend. »Also du sehnst dich nach neuen sexuellen Erfahrungen, die sich abseits der Schickimicki-Glitzerwelt abspielen.« Er schnitt sich ein Stück Fleisch ab.
Chris nickte und nahm einen Schluck Rotwein.
»Dann habe ich genau das Richtige für dich.«
Chris hustete verlegen. Wie konnte Marco, der für sexuelle Ausschweifungen bisher wenig zu haben gewesen war, solche Etablissements kennen?
»Als vielseitiger Künstler hat man seine Augen und Ohren überall«, erklärte Marco schmunzelnd und zerschnitt seelenruhig seine Kartoffeln. »Für solche Erfahrungen, wie du sie dir wünschst, empfehle ich dir den Club La nuit noire.«
»Worum handelt es sich dabei?«, erkundigte sich Chris und sein Herz klopfte vor Aufregung ein wenig schneller.
»Ein Stripclub der sogenannten dunklen Art«, entgegnete Marco geheimnisvoll und schien die Unruhe seines Freundes zu genießen. »Dort gibt es alles, was den Begriff Schwarze Lust verdient. Die Möglichkeit zu BDSM-Spielen – sowohl aktiv als auch in der voyeuristischen Rolle –, Striptease an der Stange mit schwarz gekleideten Frauen und jede Menge anderer Möglichkeiten. Na, ist das nach deinem Geschmack?«
»Ja«, erwiderte Chris leicht abwesend, während seine Gedanken zu rasen begannen.
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