»Ich danke Ihnen. Stellen Sie es bitte da drüben hin.«
Lisa tat, was er verlangte, und Chris war insgeheim froh darüber, dass sie keine billigen Flirtversuche unternahm. Einige der Frauen, mit denen er eine Nacht lang gespielt hatte, verfolgten ihn danach wie läufige Hündinnen und bei Lisa wäre ein solches Verhalten absolut ungünstig gewesen, da sie beide Seite an Seite arbeiteten. Ihr deswegen unter einem fadenscheinigen Vorwand kündigen zu müssen, hätte stark an seinen Prinzipien gekratzt. Denn er galt vielleicht als arrogant und ziemlich von oben herab, aber ein Schweinehund war er nicht.
»Ist noch etwas?«, erkundigte er sich knapp, als Lisa keine Anstalten machen, das Büro wieder zu verlassen.
Hoffentlich hatte er sich nicht getäuscht und sie wollte mehr als eine flüchtige Affäre mit der dazugehörigen Unabhängigkeit.
»Ich wollte Sie nur noch einmal daran erinnern, dass heute Abend das Essen mit den beiden Geschäftspartnern stattfindet«, erwiderte Lisa kühl und Chris seufzte kaum hörbar. Er hatte schon befürchtet, dass sie über Gefühle sprechen wollte.
»Danke, dass Sie mich daran erinnern«, entgegnete Chris und meinte es aufrichtig, denn er hatte es tatsächlich verdrängt.
Nachdem Lisa sich – nicht ohne ihn mit einem lasziven Augenaufschlag zu streifen – verabschiedet hatte, verdrehte Chris die Augen. So wichtig diese Geschäftsessen auch waren, so sehr hasste er sie. Es waren immer die gleichen Themen, über die man sprach, und nicht selten fand man sich in hitzigen Diskussionen wieder. Am Ende gelangte man zu einer vermeintlich zufriedenstellenden Kooperation, ohne zu wissen, was die neuen Partner tatsächlich dachten. Schon als Jugendlicher in Zeiten, in denen sein Vater ihn zu solchen Treffen mitgenommen hatte, damit er am Beispiel lernte, hätte er am liebsten die Flucht ergriffen. Und danach …
Chris schüttelte energisch den Kopf und griff zum Telefon. Innerhalb einer Dreiviertelstunde hatte er alles über die kulinarischen Vorlieben und Abneigungen seiner Gäste herausgefunden und eine weitere Viertelstunde später unterbreitete er seinem persönlichen Chefkoch den Vorschlag für ein aufwendiges Drei-Gänge-Menü, der bereitwillig akzeptiert wurde. Mit den Worten »Macht mir keine Schande, ich verlasse mich auf euch« beendete Chris das Gespräch und ließ sich rückwärts gegen die Lehne fallen.
Ein Blick auf seine Armbanduhr verreit ihm, dass es bereits Mittag war, und ein Lächeln erhellte seine vormals mürrischen Gesichtszüge. Jetzt würde er erst mal gemütlich essen gehen und anschließend in die Innenstadt fahren, um in seiner Lieblingsboutique einen neuen Anzug zu erstehen. An einem solchen Abend galt es, die Fassade aus Rationalität, Zielstrebigkeit, Selbstbewusstsein und leichter Arroganz aufrechtzuerhalten, und genau das würde Chris tun. Und wer weiß, vielleicht brachte das Zusammentreffen noch einige erfreuliche Überraschungen mit sich – er befeuchtete seine Lippen –, schließlich würden die Ehefrauen mit von der Partie sein.
Nach einem ausgiebigen Mittagessen saß er in seiner schwarzen Limousine, die ihn zur Boutique L’incarnat brachte. Lässig bewegte er das halb volle Champagnerglas zwischen den Fingern und starrte aus dem Fenster, das zum Schutz seiner Privatsphäre dunkel getönt war. Dennoch blieben einige Leute stehen und blickten dem Wagen mit unterschiedlichen Mienen hinterher. Chris grinste und genoss das angenehme Gefühl der nachtblauen Sitzgarnitur aus Wildleder. Was die Leute wohl dachten, wenn er an ihnen vorbeifuhr? Belächelten sie ihn? Empfanden sie Mitleid, weil sie glaubten, dass er in einem goldenen Käfig steckte? Oder wünschten sie sich vielleicht, seinen finanziellen Status zu teilen? Bestimmt ging es einigen so.
»Wir sind da, Herr Schober.« Der Wagen hielt direkt vor der Boutique.
Chris dankte seinem Fahrer mit knappen Worten und ließ die Tür zufallen.
»Chris, mein Junge«, begrüßte ihn eine freundliche ältere Dame, als er das Geschäft betrat. »Was kann ich heute für dich tun?«
»Emily.« Er ergriff die dargebotene Hand mit ungewöhnlicher Herzlichkeit. »Heute Abend findet ein Geschäftsessen statt und ich benötigte einen neuen Anzug.«
Die Angesprochene lächelte wissend. »In der üblichen Farbkombination?«
»Nein, diesmal darf es gern etwas anderes sein.«
»Moment, ich glaube, da habe ich genau das Richtige für dich.«
Sie kam hinter dem Tresen hervor und begann, eifrig die Kleiderstangen abzusuchen, während Chris in sich hineinlächelte. Emily Manderley kannte ihn, seit er zum ersten Mal mit seinem Vater das Geschäft betreten hatte, und ihr Vertrauensverhältnis war die ganzen Jahre über bestehen geblieben. Chris war sehr froh, Emily zu haben, denn in der Geschäftswelt konnte man oft nicht mit Gewissheit sagen, wer Freund und wer Feind war.
»Wie wäre es damit?«, fragte Emily und präsentierte ihm zwei Modelle mit unterschiedlich farbigen Hemden.
»Ich verschwinde kurz in die Umkleidekabine«, erwiderte Chris und nannte sie im Stillen erneut eine gute Seele.
Es dauerte nicht lange, bis Chris sich für ein Modell mit dunkelblauer Hose und cremefarbenem Hemd entschieden hatte.
»Es steht dir ausgezeichnet«, lobte Emily.
»Hast du auch etwas, das man …« – er zögerte – »… Damen schenken kann?«
Sein unbedarftes Zwinkern konnte Emily nicht täuschen.
»Du willst schon wieder die Frauen schwachmachen«, sagte sie halb lachend, halb tadelnd. »Es wird langsam Zeit, dass du dich fest bindest.«
»Das werde ich nicht tun«, entgegnete Chris in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. »Mir gefällt mein Leben und ich werde daran nichts ändern.«
So sehr er Emily auch mochte, auch sie wusste nichts von dem, was damals geschehen war, was sein Selbst von jetzt auf gleich unwiderruflich verändert hatte. Etwas verärgert bezahlte Chris den Anzug und verließ die Boutique, ohne noch mal zurückzuschauen. Emilys sorgenvoller Blick folgte ihm.
***
Als Chris die Villa erreichte, war seine schlechte Laune noch immer nicht verflogen. Wieso, zum Teufel, mischte Emily sich in sein Leben ein? Er liebte sie wie eine Mutter, die ihm viel zu früh fremd geworden war. Trotzdem besaß sie nicht das Recht dazu. Am liebsten hätte er das Geschäftsessen abgesagt und sich allein mit einer Flasche Rotwein in die Badewanne zurückgezogen, aber als Geschäftsführer konnte er sich so etwas nicht erlauben. Chris seufzte. Heute war einer der Tage, die man am liebsten vergessen würde, und es müsste einiges passieren, damit sich das noch änderte.
Auf dem Weg in sein Arbeitszimmer warf er kurz einen Blick in die Küche und ins Esszimmer, um dort nach dem Rechten zu sehen. Doch wie üblich lief alles reibungslos. Seine Hausangestellten rund um Chefkoch Roberto waren ein perfekt eingespieltes Team und mit dem Prozedere hinreichend vertraut. Es konnte also nichts mehr schiefgehen, der Abend würde sicher ein voller Erfolg werden.
Dennoch stand Chris kurze Zeit später missmutig vor dem Spiegel und betrachtete seinen nackten Körper. Seine Größe von einem Meter fünfundachtzig konnte sich sehen lassen und auch wenn er nicht dem sonnengebräunten Schönheitsideal entsprach, konnte ihn doch niemand als hässlich bezeichnen. Im Gegenteil, die blasse Haut eignete sich ausgezeichnet dazu, beim Spielen sichtbare Spuren zu hinterlassen, und das schätzte er ebenso wie eine gewisse Gegenwehr seiner Sklavinnen. Spiele, bei denen eine Bestrafung überflüssig war, konnten auf Dauer ziemlich eintönig werden. Chris warf seine Haare nach hinten. Sie übten, wie er wusste, einen großen Reiz auf die Frauen aus. Warum das so war, verstand er selbst nicht, doch er wäre verdammt, diesen Umstand nicht für sich auszunutzen. Emilys besorgte Worte hallten irgendwo in den Tiefen seines Verstandes wider. Aber er wollte jetzt nicht daran denken, auch nicht an die Vergangenheit. Stattdessen konzentrierte er sich auf sein Selbstbewusstsein, das nach und nach wieder die Führung übernahm. Chris atmete tief ein und verschwand im Badezimmer.
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