Smokey richtete seine Lederjacke, dann drehte er an dem vergoldeten Türknauf und ging hinein.
In den prunkvoll eingerichteten Wohnwagen verirrten sich durch die halb offene Jalousie nur wenige Lichtstrahlen. Der Schimpanse blieb vor einem großen, bunten und gepflegten orientalischen Teppich stehen. Darauf stand ein massiver, glänzender Mahagoni-Schreibtisch. Hinter dem Schreibtisch befand sich ein edler Ledersessel, von dem Smokey nur die Rückenlehne und darüber die obere Hälfte eines Zylinders sah. In dem Sessel saß Mister Dark. Smokey fiel die neue vergoldete Ansitzstange am Fenster auf.
Echt jetzt? Für so einen Mist soll ich hier schuften? Dabei hat er nicht mal einen Vogel! Nur einen in seiner Birne!
»Wie lange willst du mich noch warten lassen?«, fragte Mister Dark provokant.
Smokey schwieg, denn es interessierte ihn nicht die Bohne. Ungeduldig drehte sich Mister Dark um. Sein Name passte zu seiner Erscheinung. Er trug einen dunklen Frack. Sein Zylinder reichte bis kurz über die nicht richtig auf dem Kopf sitzende Maske. Diese sah wie ein Menschengesicht aus. Seine orange leuchtenden Augen stachen deutlich darunter hervor.
Smokey beobachtete Mister Dark, wie er mit seiner behandschuhten, knochigen Hand mehrere Bündel Geldscheine aus der Schublade holte und zählte.
»Also, wie sieht dein Plan für die neue Attraktion aus?«, fragte Mister Dark ihn in eindringlichem Ton.
Der Schimpanse zuckte gleichgültig mit den Achseln, worauf Mister Dark das Geld auf den Schreibtisch pfefferte, sich erhob und wenig später in voller Größe vor ihm stand. Smokey blickte hinauf in das Gesicht des etwa zwei Meter großen Zirkusdirektors. Dann sah er aus dem Augenwinkel, wie Mister Dark mit Daumen und Zeigefinger einen Fussel von seiner Schulter entfernte und sich zu seinem Ohr vorbeugte.
»Aber wie soll ich mir das alles hier weiterhin leisten können, wenn nicht noch mehr Zuschauer die Vorstellungen besuchen?«, fragte Mister Dark und ließ den Blick über sein Hab und Gut schweifen.
Smokey war von all dem wenig beeindruckt und schwieg weiterhin.
»Vielleicht verkaufe ich als Allererstes deinen Wohnwagen«, fuhr der Zirkusdirektor fort.
Innerlich begann der Schimpanse vor Wut zu kochen. Er ballte die Fäuste so stark, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
»Ich sehe so viel Energie, aber du verschwendest sie. Wenn du nicht spurst, dann kannst du gerne wieder durch die Straßen ziehen und schauen, wo du schläfst und dein Essen herbekommst.«
Smokey blickte auf seinen rechten Stiefel. Darin befand sich ein Gegenstand, den er, ohne mit der Wimper zu zucken, gegen Mister Dark einsetzen würde, wenn dieser zu weit ging. Was dann geschehen würde, konnte der Schimpanse jedoch nicht einschätzen. Er heftete seinen Blick auf die missbilligenden Augen des Zirkusdirektors und sagte zähneknirschend: »Ich kümmere mich darum.«
»Und zwar sofort!«, brüllte Mister Dark.
Wutschnaubend verließ Smokey den Wohnwagen und knallte die Tür gegen Gordo und Elroy, die offenbar gelauscht hatten. Rücklings purzelten sie die Stufen hinunter und blieben auf dem Schotter liegen.
»Ey Boss, was wirst du tun?« Benommen rieb sich Gordo die schmerzenden Glieder.
Ohne auf seine Worte einzugehen, schaute Smokey auf sein Crossmotorrad, das vor dem rot-gelb gestreiften Zirkuszelt inmitten des Geländes parkte. Er grinste.
Ich werde es Dark ein für alle Mal zeigen und mein eigenes Ding machen. Dann könnt ihr mich alle mal!
» Will unser Zirkusdirektor wieder unnötigen Schnickschnack kaufen?«, fragte Elroy.
Ungeachtet seiner Anmerkung stieg Smokey über die am Boden liegenden Brüder.
»Aua!«, quiekte Gordo.
»Uff!«, stöhnte Elroy.
Umständlich rafften sich die beiden Affen auf.
»Ich hatte gerade einen Geistesblitz«, sagte Smokey und entnahm der Innentasche seiner Lederjacke ein Feuerzeug und eine neue Zigarre.
»Ein Geist, wo?«, fragte Gordo und versteckte sich hinter Elroy.
»Schnauze!«, entgegnete Smokey, während er seine Zigarre anzündete und von dannen zog.
Schon lange hatte er sich nicht mehr so lebendig gefühlt wie in diesem Moment. Womöglich konnte er aus seiner Idee einen größeren Nutzen ziehen, als Mister Dark auch nur ahnen würde. Der Schimpanse war bereit, diesen Gedanken, der ihn nicht mehr losließ, mit allen Mitteln in die Tat umzusetzen.
Beim Abendessen schwiegen alle, nur Pablo schmatzte laut. Tyran stocherte in seinem Haferschleim herum, denn darauf hatte er keinen Appetit. In Gedanken war er bei dem Apfel und wie gerne er diesen verputzt hätte.
Eigentlich erzählte ihnen die Señora nach dem Essen immer noch eine Geschichte oder sie sangen gemeinsam, aber als Tyran heute danach fragte, schickte sie ihn und Timmy auf ihr Zimmer.
Das kleine, einfach eingerichtete Kinderzimmer bestand aus zwei Holzbetten und einem Holztisch mit Stuhl vor dem Fenster. Wobei das Fenster nur aus einem Loch bestand, das durch ein von außen befestigtes Brett wie ein Bullauge geschlossen werden konnte. Vom Kinderzimmer hatte man einen guten Blick auf den prächtig blühenden Kräutergarten der Señora.
Timmy saß auf dem wackeligen Stuhl, der nur noch drei Beine hatte. Das vierte war vor einer Weile abgebrochen, als er und Tyran beim Raufen dagegengekommen waren. Vor Timmy auf dem Tisch lag seine beschädigte Brille. Er überlegte, wie er sie reparieren konnte.
»Boah, war das heute spannend!«, sagte Tyran, während er sich rücklings auf sein Bett fallen ließ. Er fand es aufregend, was sie an diesem Tag gemeinsam erlebt hatten. »Wir wären beinahe draufgegangen. Dabei haben wir der Angst mitten ins Auge geblickt!«
»Wir h-hatten noch mal G-Glück, dass Mama und Pablo rechtzeitig d-da waren«, sagte Timmy.
»Das hätten wir auch ohne die geschafft!«
Tyrans gute Laune änderte sich, als ihre Mutter das Kinderzimmer betrat.
»Ich hoffe, das war euch heute eine Lehre!«, sagte sie.
»Ja, M-Mama«, erwiderte Timmy.
Für die Worte seines Bruders hatte Tyran nur ein unmissverständliches Augenverdrehen übrig.
Die Miene ihrer Mutter war besorgt. »Ich möchte euch niemals verlieren, denn die Welt kann sehr gefährlich sein.«
»Mama, wir können gut auf uns aufpassen!«, sagte Tyran brummig.
»Tyran, jetzt ist Schluss damit! Die Idee war doch bestimmt wieder auf deinem Mist gewachsen, oder?«
»Mag sein«, antwortete er und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Du hast dich und deinen Bruder in Gefahr gebracht. Entschuldige dich bei ihm!«
Widerwillig drehte sich Tyran zu Timmy um. »’tschuldigung«, sagte er schmollend.
»N-Nicht schlimm«, erwiderte Timmy zögernd.
»Das kommt nicht noch mal vor, okay!?«
»Ja, Mama«, kam es leise, aber einstimmig von beiden Igeln.
»So ist gut. Und jetzt Zähne putzen, umziehen und ab ins Bett!«
Tyran erhob seine Stimme. »Müssen wir immer so früh schlafen gehen?«
»¡Sí!«
Mitternacht. Es gewitterte. Der Wind heulte um das undichte Zirkuszelt. Regen tropfte auf die hölzernen Zuschauerränge. Smokey ging in die kühle Manege, um Gordo und Elroy seine Idee vorzustellen. Die Gehilfen standen in einem kleinen warmen Lichtkegel der Deckenbeleuchtung und fröstelten.
»Hört zu, ihr Versager!«
Gordo holte hastig einen Notizblock und einen Bleistift aus der Brusttasche seiner Jeansjacke.
Smokey beobachtete, wie Gordo die Bleistiftspitze auf das Blatt bohrte und ihn erwartungsvoll ansah. Er zog ihn am Kragen der Jeansjacke zu sich heran und fletschte die Zähne.
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