DAVID R. LOY
ERLEUCHTUNG, EVOLUTION, ETHIK
Ein neuer buddhistischer Pfad
Ins Deutsche übertragen von Rüdiger Dhammaloka Jansen
edition steinrich
Den neuen Bodhisattvas gewidmet
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.deabrufbar.
www.edition-steinrich.de
Originaltitel: A New Buddhist Path. Enlightenment, Evolution and Ethics in the Modern World
Erschienen bei: Wisdom Publications, 199 Elm Street, Somerville, MA 02144, USA, www.wisdompubs.org
© 2015 David R. Loy
Textgrundlage dieses eBooks ist die gedruckte Version des gleichnamigen Titels.
Alle Rechte vorbehalten
Copyright eBook: © 2015 edition steinrich, Berlin
Copyright der deutschen Ausgabe: © 2015 edition steinrich, Berlin
Umschlagentwurf und Umschlaggestaltung: Ingeburg Zoschke, Berlin
Gestaltung und Satz: Traudel Reiß
Druck: Westermann Druck Zwickau
Printed in Germany
eBook ISBN 978-3-942085-53-3
Einführung: Auf der Suche nach einem modernen Buddhismus
Der Pfad
Transzendenz?
Das Transzendenzproblem
Das Immanenzproblem
Achtsamkeit
Jenseits von Transzendenz und Immanenz
Das Konstruieren des Selbst und seiner Welt
Nichtanhaften
Loslassen
Etwas Unendliches hinter allem
Folgerungen
Die Erzählung
Eine entwertete Welt
Sozialdarwinismus
Schöpfungsgeschichten
Ein neuer Evolutionsmythos
Eine neue buddhistische Erzählung
Fortschritt
Schöpferische Lebewesen
Was das alles bedeutet
Wann, wenn nicht jetzt?
Die Herausforderung
Gut kontra Böse
Unwissenheit kontra Erwachen
Die ökonomische Aufgabe
Die ökologische Aufgabe
Neue Bodhisattvas
Schluss: Gedanken über Karma und Wiedergeburt
Glossar
Dank
Buchempfehlungen
Über den Autor
EINFÜHRUNG: AUF DER SUCHE NACH EINEM MODERNEN BUDDHISMUS
»Mögest du in interessanten Zeiten leben«, lautet eine angeblich chinesische Verwünschung. Für Menschen auf einem buddhistischen Pfad sind unsere Tage zweifellos interessant, sogar in doppelter Hinsicht. Auf seinem Weg in den Westen (oder die moderne Welt, denn »der Westen« wird zunehmend global) trifft der Buddhismus auf seine bislang größte Herausforderung: die erfolgreichste Zivilisation der menschlichen Geschichte, deren machtvolle Technologien und gewaltige Institutionen scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten mitsamt beispiellosen Risiken schaffen.
Das naturalistische Weltbild und die materialistischen Werte der Moderne unterscheiden sich stark von dem, was der Buddhismus traditionellerweise zu bieten hat – sie wirken allerdings selbst zunehmend problematisch und verwundbar, denn die Moderne kann die selbst verursachten, tief wurzelnden ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen anscheinend nicht meistern. Unsere Lage ruft nach neuen Sichtweisen, die viele ihrer Prämissen und Prioritäten infrage stellen.
Der britische Historiker Arnold Toynbee sagte kurz vor seinem Tod in einem Gespräch: »Die gegenwärtige Bedrohung des Überlebens der Menschheit ist nur durch einen revolutionären Herzenswandel in einzelnen Menschen zu beseitigen. Um die Willenskraft zu wecken, anstrengende neue Ideale zu verwirklichen, muss ein solcher Herzenswandel religiös motiviert sein.« Hilft uns dies, Tonybees bekannte Voraussage zu verstehen, die Einführung des Buddhismus in den Westen »könne sich durchaus als wichtigstes Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts erweisen«?
Wann immer der Buddhismus in eine neue Kultur gelangte, trat er in einen Austausch mit den verwurzelten Überlieferungen der jeweiligen Gesellschaft. Das Ergebnis dieser Begegnungen passte besser zu dieser Kultur. Solche Veränderungen sind wechselseitig, und wir haben keinen Grund anzunehmen, heute sei das anders: Wir können darauf setzen, dass das gegenwärtige Gespräch zwischen dem Buddhismus und der modernen Welt zur Entwicklung neuer Formen des Buddhismus führen wird, die den Mitgliedern der gerade entstehenden Weltkultur besonders gut entsprechen.
Dieses absehbare Resultat verdeutlicht selbst aber noch nicht die Rolle, die der Buddhismus in dieser Kultur spielen wird. Werden sich buddhistische Tempel und Dharmazentren in der Weise an moderne Lebensformen anpassen, dass sie uns helfen, den Stress, in einem sich verschlechternden ökologischen und ökonomischen Klima zu überleben, zu bewältigen? Oder werden wir buddhistische Lehren und Praktiken schätzen, weil sie eine radikal andere Weltanschauung mit einer alternativen Sicht auf das bieten, was gerade passiert und was zu tun ist? Oder brauchen wir vielleicht beides?
Diese Gedanken legen nahe, dass es nicht nur darum geht, was der Buddhismus der Moderne, sondern auch, was die Moderne dem Buddhismus zu bieten hat. Ehe der Buddhismus im Westen eintraf, kam der Westen – mithilfe des europäischen Imperialismus und missionarischer Bekehrungen – zum Buddhismus. Das war ein heilsamer Weckruf. Der Mahayana-Gelehrte Edward Conze meinte, seit tausend Jahren habe der Buddhismus keinen originalen Gedanken mehr hervorgebracht. Ich bezweifle diese Datierung – denn noch im dreizehnten Jahrhundert revolutionierte der Zen-Meister Dogen überlieferte Formen, das Dharma zu verstehen –, doch Conzes Anmerkung ist auch dann eine Herausforderung für den Buddhismus, wenn sie nur auf die letzten siebenhundert Jahre zutrifft. Ist die Begegnung mit der Moderne vielleicht das Beste, was dem Buddhismus seit langer Zeit widerfahren ist?
Dieses Buch umreißt Grundmerkmale eines zeitgenössischen Buddhismus, der seinen wichtigsten überlieferten Lehren treu bleiben, zugleich aber mit der Moderne oder wenigstens vielen typischen Kennzeichen des heutigen Weltbildes vereinbar sein will. Ungeachtet des ambitionierten Titels können die folgenden Seiten nur eine persönliche Sicht auf einige Aspekte des bisherigen Dialogs bieten. Sie greifen weder die Tragweite jüngster neurowissenschaftlicher Entdeckungen noch die Erkenntnisse der Kognitionsforschung auf. Und die Wechselwirkung, von der ich hier spreche, befindet sich natürlich nicht mehr ganz am Anfang, steckt aber wohl noch in den Kinderschuhen. Es geht jedenfalls nicht darum, eine neue Version des Buddhismus anzubieten, die die Zeiten überdauern wird. Bestenfalls dürfen wir darauf hoffen, etwas zum Gespräch beizutragen – im Vertrauen darauf, dass allmählich eine kollektive Weisheit hervortritt, die mehr als die Summe der einzelnen Stimmen ist.
Die Hauptschwierigkeit in der Entwicklung eines modernen Buddhismus liegt darin, ein echtes Gespräch zu führen, das nicht dazu neigt, die eine Seite im Sinne der anderen zu beurteilen.
Auf Seiten der Tradition war das Hauptbestreben seit einigen Generationen natürlich darauf gerichtet, einzelne Schulen des asiatischen Buddhismus in den Westen zu importieren und dort Unterstützung für sie zu gewinnen. Dieser konventionelle Ansatz lässt sich etwa so zusammenfassen: »Natürlich muss man einige Anpassungen vornehmen, darf aber keine bedeutsamen Veränderungen an grundlegenden Lehren und Übungsformen zulassen. Dass die Überlieferungen selbst aus vormoderner Zeit stammen, ist keine Schwäche, sondern ihre Stärke, zumal, wenn man betrachtet, was aus der modernen Welt geworden ist und wohin sie sich offenbar entwickelt. Die vorherrschende westliche Weltanschauung unterstützt Individualismus und Narzissmus, und die Gesellschaft als ganze steht sichtlich im Bann von Konsumsucht und Wunschdenken. Wir müssen diese alte Weisheit, die uns den richtigen Weg weisen kann, wiederbeleben.«
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