In der Renaissance hatte eine neue Beschäftigung mit der Erbschaft der einstigen Großmacht Rom begonnen. Livius war schon um 1300 zu neuen Ehren gekommen und im 16. Jh. wurden auch die von Plutarch dargestellten »großen Einzelpersönlichkeiten« wieder zu Vorbildern erhoben. Niccolò Machiavelli (1469–1527) interessierte sich sowohl für die Ursprünge als auch den Aufstieg Roms und beschäftigte sich dementsprechend mit der ausführlichsten Quelle zum frühen Rom, den ersten zehn Büchern des Livius (Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio). Dabei fragte er nach dem Wesen der Republik als zentraler Regierungsform, in der die Kriegführung und Religion eine entscheidende Rolle spielten. Besonderes Interesse galt den Prinzipien von Herrschaft, die anhand von römischen Königen, Feldherren, Diktatoren und Kaisern abgehandelt wurden und in einer eigenen Schrift über die Rolle des Herrschers (Il principe) zur Darstellung kamen.
In Frankreich verfasste Montesquieu 1734 seine Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence. Er betonte darin den Wert der Gesetze, die bei den Römern zentralen Stellenwert erlangt hatten. Damit trat erstmals die Verfassungsfrage in den Vordergrund, sodass Rom nicht mehr nur unter moralisierender Sicht thematisiert wurde. Montesquieu hatte aber auch schon erkannt, dass Rom an bestimmte Dimensionen gebunden war und die Ausdehnung des Imperiums zum Untergang führte. Die Gesetze hätten unter den Kaisern nicht mehr ausreichend korrigiert werden können. Somit konnten sie für Montesquieu auch nicht mehr den Fortbestand der freiheitlichen Grundstrukturen garantieren.
Eine entscheidende Vorgabe für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Rom machte dann Barthold Georg Niebuhr, der im Jahre 1811/12 eine Römische Geschichte verfasste, die in zwei Bänden erschien. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern stellte seine Darstellung der römischen Republik keine Nacherzählung von Livius’ Universalgeschichte dar. Vielmehr übte er an der widersprüchlichen Überlieferung historische Kritik, freilich oft noch ohne befriedigende Lösungen zu finden. In sein Werk flossen in neuer Weise zahlreiche Analogien und Gegenwartsbezüge ein. Da Niebuhr mit seiner Quellenkritik auf die Forschung des 19. Jhs. große Wirkung ausübte, gilt er oft auch als Begründer der modernen deutschen Geschichtsschreibung. 13
Die monumentalsten Forschungen zu Rom legte in der Folge Theodor Mommsen (1817–1903) vor. Er war von Hause aus Jurist und daher für die Darstellung des römischen Rechts prädestiniert. Sein Wirken bezog sich jedoch auf alle Bereiche der Altertumswissenschaft von der Philologie über die Historie bis hin zur Numismatik und Epigrafik. Mommsen war u. a. maßgeblich an dem bis heute zentralen Inschriftenwerk Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) beteiligt. Als ursprünglich begeisterter Anhänger der 1848er-Revolution war er von einer Epoche des Umbruchs und neuen Verfassungsdenkens geprägt, das sich mit der Verwirklichung moderner Staatlichkeit verband. 1854–1856 legte Mommsen drei Bände über die Römische Geschichte vor, die mit einer Verherrlichung von Caesar endete. In ihm sah Mommsen einen ungekrönten Volksmonarchen, der mit den ungelösten Problemen und korrupten Verhältnissen der ausgehenden Republik aufräumte. 14
Die größte Leistung Mommsens war aber seine Abhandlung Römisches Staatsrecht, die von 1871–1888 in drei Bänden erschien. Obwohl die Römer keine Kodifikation des Staatsrechts kannten, ist es Mommsen gelungen, eine systematische Darstellung aller Dinge des öffentlichen Rechts vorzunehmen. Die Systematik erhielt dabei den Vorrang vor dem Historischen. Zentral in Band 1 ist die Charakterisierung der Magistratur, die den Oberbegriff für alle staatlichen Ämter darstellt. Die Magistratur wurde grundlegend mit den Begriffen imperium und potestas gefasst, wobei imperium die unbeschränkte militärische, jurisdiktionelle und polizeiliche Amtsgewalt der obersten Magistrate zum Ausdruckt bringt und potestas die Befugnis zu rechtswirksamen Handlungen, insbesondere Befehle und Zwangsmaßnahmen, umfasst. Band 2 wendet sich ausführlich den einzelnen Magistraturen zu, während Band 3 die Bürgerschaft und den Senat abhandelt. Mommsen folgte damit einer Dreiteilung der politischen Gewalt in Magistratur, Senat und Volksversammlung, die schon antike Autoren wie Polybios (6,11) vorgegeben hatten und die bis in die heutigen Darstellungen erhalten geblieben ist.
Eine neue Forschungsrichtung beschäftigte sich im frühen 20. Jh. mit der Führungsschicht und deren vielfältigen Nah- und Treueverhältnissen. Voraussetzung dazu war die prosopografische Arbeit von Friedrich Münzer von 1920 über die Römische(n) Adelsparteien und Adelsfamilien. Diese basierte auf Münzers zahlreichen Artikeln über Einzelpersonen in dem großen altertumskundlichen Lexikon Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Als bahnbrechend hatte sich auch die Frankfurter Habilitationsschrift von Matthias Gelzer aus dem Jahre 1912 erwiesen: Die Nobilität der römischen Republik. Diese beleuchtet die Führungsschicht der Römer und ihre Beziehungen untereinander, im Hinblick auf politische Gruppenbildung. Dabei hebt Gelzer die Bedeutung der verschiedenen Treueverhältnisse hervor. Dazu gehört erstens das Nahverhältnis (Verwandtschaft), zweitens das Schutzverhältnis (patrocinium, geprägt von clientes als Abhängigen) und drittens das Freundschaftsverhältnis (amicitia). Insgesamt zeigt sich, dass die Klientelverhältnisse die Machtgrundlage der Nobilität bildeten.
Eine ausgedehnte Materialsammlung zur Wirtschafts- und Sozialstruktur erarbeitete Tenney Frank 1933–1940 in seinem fünfbändigen Economic Survey of Ancient Rome. Dabei betrachtete er die ungelösten ökonomischen Probleme als Ursache für den Untergang der Republik. Einen wichtigen Beitrag zu den politischen Gruppierungen der späten römischen Republik stellte in der gleichen Zeit der Lexikonartikel von Hermann Strasburger über die »Optimates« dar, der 1939 in Paulys Realencyclopädie erschien. Er machte klar, dass Optimaten und Popularen keine politischen Parteien verschiedener Gesellschaftsschichten waren, sondern Interessengruppierungen innerhalb der Nobilität und deren internen Auseinandersetzungen bildeten. Populare Politiker haben sich gemäß Strasburger nur des Volkes bedient, um selbst Macht zu erlangen und nicht, um die politischen Verhältnisse in ihren Grundzügen zu verändern. Ihre Zusammensetzung und Techniken hat dann Christian Meier 1965 in demselben Lexikon (Suppl. 10) im Artikel »Populares« ausführlich umrissen.
In diesem Zusammenhang ist auch das nach wie vor aktuelle Buch von Christian Meier aus dem Jahre 1966 entstanden, das den Titel Res publica amissa trägt. Aufbauend auf den Forschungen zu den Nah- und Treueverhältnissen in der Nobilität legte Meier eine umfassende Analyse zu den politischen Gegebenheiten in der späten Republik und den Ursachen von deren Scheitern vor. Dabei hob er den Gegensatz zwischen der gemeindestaatlichen Verfassungsform und dem Weltreich hervor und unterstrich die mangelnde Anpassungsfähigkeit von Senat und Nobilität, welche die anstehenden Probleme nie konsequent anzupacken bereit waren. Da eine grundsätzliche Veränderung des Systems von niemandem gewünscht wurde, sprach Meier von einer »Krise ohne Alternative«. 15
Im englischsprachigen Raum erklärte Peter A. Brunt in seinem Werk Social Conflicts in the Roman Republic von 1971 den Untergang der Republik mit dem Konsensverlust in der Gesellschaft, da in ihr unterschiedliche und konkurrierende Interessen entwickelt wurden. Der Senat habe kurzfristige Eigeninteressen vertreten und an Autorität verloren, weil er Probleme, die durch die Expansion entstanden waren, nicht zu lösen vermochte. Dies erweckte den Ruf nach führenden Personen, welche die Probleme schließlich eigenmächtig anpackten. Erich S. Gruen betonte demgegenüber in seinem umfassenden Buch The Last Generation of the Roman Republic von 1974, dass die Republik im 1. Jh. v. Chr. trotz der mächtigen Kommandanten und ihren Armeen nicht wirklich in Schieflage war, da niemand deren Beseitigung suchte. Das Ende sei erst durch den Bürgerkrieg nach Caesars Tod herbeigeführt worden.
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