SIGMUND
FREUD
Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse
Mit der neuen Folge
Dem vorliegenden Text liegt die Ausgabe von 1924/33 zugrunde.
© 2010 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,
Hamburg
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ISBN: 978-3-86820-969-3
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Was ich hier als »Einführung in die Psychoanalyse« der Öffentlichkeit übergebe, will auf keine Weise in Wettbewerb mit den bereits vorliegenden Gesamtdarstellungen dieses Wissensgebietes treten. (Hitschmann, Freuds Neurosenlehre , 2. Aufl., 1913; Pfister, Die psychoanalytische Methode , 1913; Leo Kaplan, Grundzüge der Psychoanalyse , 1914; Régis et Hesnard, La Psychoanalyse des névroses et des psychoses , Paris 1914; Adolf F. Meijer, De Behandeling van Zenuwzieken door Psycho-Analyse, Amsterdam 1915.) Es ist die getreue Wiedergabe von Vorlesungen, die ich in den zwei Wintersemestern 1915/6 und 1916/7 vor einer aus Ärzten und Laien und aus beiden Geschlechtern gemischten Zuhörerschaft gehalten habe.
Alle Eigentümlichkeiten, durch welche diese Arbeit den Lesern des Buches auffallen wird, erklären sich aus den Bedingungen ihrer Entstehung. Es war nicht möglich, in der Darstellung die kühle Ruhe einer wissenschaftlichen Abhandlung zu wahren; vielmehr mußte sich der Redner zur Aufgabe machen, die Aufmerksamkeit der Zuhörer während eines fast zweistündigen Vortrags nicht erlahmen zu lassen. Die Rücksicht auf die momentane Wirkung machte es unvermeidlich, daß derselbe Gegenstand eine wiederholte Behandlung fand, z. B. das eine Mal im Zusammenhang der Traumdeutung und dann später in dem der Neurosenprobleme. Die Anordnung des Stoffes brachte es auch mit sich, daß manche wichtige Themen, wie z. B. das des Unbewußten, nicht an einer einzigen Stelle erschöpfend gewürdigt werden konnten, sondern zu wiederholten Malen aufgenommen und wieder fallengelassen wurden, bis sich eine neue Gelegenheit ergab, etwas zu ihrer Kenntnis hinzuzufügen.
Wer mit der psychoanalytischen Literatur vertraut ist, wird in dieser »Einführung« wenig finden, was ihm nicht aus anderen, weit ausführlicheren Veröffentlichungen bekannt sein könnte. Doch hat das Bedürfnis nach Abrundung und Zusammenfassung des Stoffes den Verfasser genötigt, in einzelnen Abschnitten (bei der Ätiologie der Angst, den hysterischen Phantasien) auch bisher zurückgehaltenes Material heranzuziehen.
Wien, im Frühjahr 1917, Freud
I. Teil
Die Fehlleistungen (1916)
1. Vorlesung Einleitung
Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wieviel die einzelnen von Ihnen aus ihrer Lektüre oder vom Hörensagen über die Psychoanalyse wissen. Ich bin aber durch den Wortlaut meiner Ankündigung – Elementare Einführung in die Psychoanalyse – verpflichtet, Sie so zu behandeln, als wüßten Sie nichts und bedürften einer ersten Unterweisung.
Soviel darf ich allerdings voraussetzen, daß Sie wissen, die Psychoanalyse sei ein Verfahren, wie man nervös Kranke ärztlich behandelt, und da kann ich Ihnen gleich ein Beispiel dafür geben, wie auf diesem Gebiet so manches anders, oft geradezu verkehrt, vor sich geht als sonst in der Medizin. Wenn wir sonst einen Kranken einer ihm neuen ärztlichen Technik unterziehen, so werden wir in der Regel die Beschwerden derselben vor ihm herabsetzen und ihm zuversichtliche Versprechungen wegen des Erfolges der Behandlung geben. Ich meine, wir sind berechtigt dazu, denn wir steigern durch solches Benehmen die Wahrscheinlichkeit des Erfolges. Wenn wir aber einen Neurotiker in psychoanalytische Behandlung nehmen, so verfahren wir anders. Wir halten ihm die Schwierigkeiten der Methode vor, ihre Zeitdauer, die Anstrengungen und die Opfer, die sie kostet, und was den Erfolg anbelangt, so sagen wir, wir können ihn nicht sicher versprechen, er hänge von seinem Benehmen ab, von seinem Verständnis, seiner Gefügigkeit, seiner Ausdauer. Wir haben natürlich gute Motive für ein anscheinend so verkehrtes Benehmen, in welche Sie vielleicht später einmal Einsicht gewinnen werden.
Seien Sie nun nicht böse, wenn ich Sie zunächst ähnlich behandle wie diese neurotischen Kranken. Ich rate Ihnen eigentlich ab, mich ein zweites Mal anzuhören. Ich werde Ihnen in dieser Absicht vorführen, welche Unvollkommenheiten notwendigerweise dem Unterricht in der Psychoanalyse anhaften und welche Schwierigkeiten der Erwerbung eines eigenen Urteils entgegenstehen. Ich werde Ihnen zeigen, wie die ganze Richtung Ihrer Vorbildung und alle Ihre Denkgewohnheiten Sie unvermeidlich zu Gegnern der Psychoanalyse machen müßten und wieviel Sie in sich zu überwinden hätten, um dieser instinktiven Gegnerschaft Herr zu werden. Was Sie an Verständnis für die Psychoanalyse aus meinen Mitteilungen gewinnen werden, kann ich Ihnen natürlich nicht vorhersagen, aber soviel kann ich Ihnen versprechen, daß Sie durch das Anhören derselben nicht erlernt haben werden, eine psychoanalytische Untersuchung vorzunehmen oder eine solche Behandlung durchzuführen. Sollte sich aber gar jemand unter Ihnen finden, der sich nicht durch eine flüchtige Bekanntschaft mit der Psychoanalyse befriedigt fühlte, sondern in eine dauernde Beziehung zu ihr treten möchte, so werde ich ihm nicht nur abraten, sondern ihn direkt davor warnen. Wie die Dinge derzeit stehen, würde er sich durch eine solche Berufswahl jede Möglichkeit eines Erfolges an einer Universität zerstören, und wenn er als ausübender Arzt ins Leben geht, wird er sich in einer Gesellschaft finden, welche seine Bestrebungen nicht versteht, ihn mißtrauisch und feindselig betrachtet und alle bösen, in ihr lauernden Geister gegen ihn losläßt. Vielleicht können Sie gerade aus den Begleiterscheinungen des heute in Europa wütenden Krieges eine ungefähre Schätzung ableiten, wieviele Legionen das sein mögen.
Es gibt immerhin Personen genug, für welche etwas, was ein neues Stück Erkenntnis werden kann, trotz solcher Unbequemlichkeiten seine Anziehung behält. Sollten einige von Ihnen von dieser Art sein und mit Hinwegsetzung über meine Abmahnungen das nächste Mal hier wieder erscheinen, so werden Sie mir willkommen sein. Sie haben aber alle ein Anrecht darauf zu erfahren, welches die angedeuteten Schwierigkeiten der Psychoanalyse sind.
Zunächst die der Unterweisung, des Unterrichts in der Psychoanalyse. Sie sind im medizinischen Unterricht daran gewöhnt worden zu sehen. Sie sehen das anatomische Präparat, den Niederschlag bei der chemischen Reaktion, die Verkürzung des Muskels als Erfolg der Reizung seiner Nerven. Später zeigt man Ihren Sinnen den Kranken, die Symptome seines Leidens, die Produkte des krankhaften Prozesses, ja in zahlreichen Fällen die Erreger der Krankheit in isoliertem Zustande. In den chirurgischen Fächern werden Sie Zeugen der Eingriffe, durch welche man dem Kranken Hilfe leistet, und dürfen die Ausführung derselben selbst versuchen. Selbst in der Psychiatrie führt Ihnen die Demonstration des Kranken an seinem veränderten Mienenspiel, seiner Redeweise und seinem Benehmen eine Fülle von Beobachtungen zu, die Ihnen tiefgehende Eindrücke hinterlassen. So spielt der medizinische Lehrer vorwiegend die Rolle eines Führers und Erklärers, der Sie durch ein Museum begleitet, während Sie eine unmittelbare Beziehung zu den Objekten gewinnen und sich durch eigene Wahrnehmung von der Existenz der neuen Tatsachen überzeugt zu haben glauben.
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