Um positive Auswirkungen für Mitarbeiter und Unternehmen zu erreichen, ist es oft wichtig eine HR-Strategie zu entwickeln, die sich nicht nur auf einzelne Work-Family-Richtlinien fokussiert, sondern ein Paket dieser Richtlinien umsetzt (Perry-Smith & Blum, 2000, S. 1107). Die einzelnen Richtlinien, die Teil des Gesamtpakets sind, könnten etwa die Erweiterung der Flexibilität am Arbeitsplatz, geplante Abwesenheiten, Kinderbetreuung sowie Information und Vermittlung zu bzw an diese Einrichtungen umfassen (Goodstein, 1994, S. 354). Gemäß der Forschung von Perry-Smith und Blum (2000, S. 1114) haben Unternehmen, die ein Paket an Work-Family-Richtlinien anboten, höhere organisatorische Leistungsfähigkeit, Marktperformance und Gewinn- und Umsatzwachstum. Des Weiteren können Arbeitnehmer diese Richtlinien als positives Symbol des Entgegenkommens ihres Arbeitgebers werten und das Unternehmen kann sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, insbesondere, wenn wenige Organisationen diese Work-Family-Richtlinien umsetzen. Auch kam die Studie von Carless und Wintle (2007, S. 394) zu dem Ergebnis, dass in der Anfangsphase des Recruiting-Prozesses flexible HR-Richtlinien attraktiv für Bewerber wirken. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass junge Bewerber nach Jobs suchen, die ihnen eine Balance in ihrem Leben ermöglicht, selbst dann, wenn es unwahrscheinlich ist, dass sie bereits familiäre Verpflichtungen haben. Ihnen geht es mehr darum, eine hohe Lebensqualität zu genießen, als die Karriereleiter hinaufzuklettern. Auch verlieren materielle Werte für eine große Anzahl an Personen zunehmend an Bedeutung (Carless & Wintle, 2007, S. 400). Da nicht alle Unternehmen Maßnahmen ergreifen, die zu Work-Life-Balance führen, können Unternehmen, die diese anbieten, Bewerber davon überzeugen, die Stelle bei Vorliegen mehrerer Jobalternativen anzunehmen und das Angebot des Konkurrenten auszuschlagen (Osborn, 1990, S. 58).
3.5.2 Auswirkungen auf die Geschlechter
Sowohl Männer als auch Frauen haben Probleme mit ihrer Work-Life-Balance. Bei der Ausübung von „extremen Jobs“ mit langen Arbeitszeiten und der Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Verpflichtungen gibt es jedoch Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Forschung von Hewlett und Luce (2006, S. 56f) zeigt, dass „extreme Jobs“ wesentlich häufiger von Männern als von Frauen ausgeübt wurden. Auch im Rechtsanwaltsberuf gibt es ein eindeutiges geschlechterspezifisches Ungleichgewicht. Wie bereits mehrfach erwähnt, gibt es lediglich 23 % Rechtsanwältinnen, obwohl gleich viele Männer wie Frauen diese Berufsausbildung beginnen (https://www.rechtsanwaelte.at/kammer/kammer-in-zahlen/mitglieder/; Röthler, 2019, S. 325). Somit geht hervorragendes und intensiv ausgebildetes weibliches Potential verloren. Trotz der steigenden Zahl an Rechtsanwältinnen hat Österreich im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten, wie etwa Frankreich, Spanien, Griechenland oder Italien eine vergleichbar geringe Quote an Rechtsanwältinnen (Prunbauer-Glaser, 2013, S. 108).
Die Daten von Hewlett und Luce (2006, S. 56f) deuten darauf hin, dass Frauen „extreme Jobs“ nicht deswegen nicht ausüben, weil sie Angst vor dem Druck und der Verantwortung dieser Jobs haben, sondern dass sie schlichtweg die Arbeitszeit nicht aufbringen können. Grund dafür könnte sein, dass mehr Männer als Frauen in diesen Jobs die Unterstützung einer Ehe- oder Lebenspartnerin zu Hause haben. Auch Brett und Stroh (2003, S. 76) befragten Manager, die viele Stunden arbeiteten und dies mit ihrer Rolle als Elternteil und Partner zu vereinbaren suchten. Die Studie ergab, dass es für den Erfolg essenziell sei, dass die meisten der Manager, die eine extreme Stundenanzahl arbeiteten, Frauen hätten, die nicht arbeiteten und zu Hause blieben. Die wenigen Managerinnen, die sehr viele Stunden arbeiteten und Kinder hatten, hatten einerseits auch einen Ehemann, der erhebliche Verantwortung für die Kinderbetreuung übernahm, andererseits nahmen sie auch bezahlte Hilfe in Anspruch. Cha (2010, S. 303) untersuchte in seiner Studie, ob lange Arbeitszeit die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen verschärft. Das Ergebnis war, dass die Kündigungswahrscheinlichkeit einer Frau signifikant höher war, wenn ihr Ehemann lange Stunden arbeitete, während die Kündigungswahrscheinlichkeit eines Mannes nicht signifikant erhöht war, wenn seine Ehefrau lange arbeitete. Bei Fach- und Führungsberufen war dieses geschlechterspezifische Muster stärker ausgeprägt.
Der Unterschied der Geschlechter ist auf das traditionelle Rollenbild von Frau und Mann zurückzuführen, dass Frauen historisch gesehen für die Betreuung von Kindern verantwortlich sind und daher gar nicht die Möglichkeit haben, diese Stundenanzahl aufzubringen (Epstein, 1999, S. 103). Die Studie von Boiarintseva und Richardson (2019, S. 874) über kanadische Rechtsanwälte zeigt das Problem, das Rechtsanwälte mit Work-Life-Balance haben. Die Befragten gaben an, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dadurch eingeschränkt war, dass sie als Männer als primäre Ernährer gesehen wurden. Diese gesellschaftliche Erwartung kombiniert mit der Erwartung an Rechtsberufe schränkt ihre Möglichkeit für Work-Life-Balance erheblich ein (Boiarintseva & Richardson, 2019, S. 874).
Diese geschlechterspezifischen Unterschiede führen zu einer Barriere für ehrgeizige Frauen und auch für Unternehmen, die mehr Geschlechtervielfalt in ihren obersten Rängen erreichen wollen. Organisationen haben hier eine echte Chance, talentierte Frauen für sich zu gewinnen, die hart arbeiten und Verantwortung übernehmen wollen, jedoch keine langen Arbeitsstunden leisten können (Hewlett & Luce, 2006, S. 57). Bei Jobs mit sehr langen Arbeitszeiten besteht die Gefahr, echte Talente, insbesondere weibliche Talente, zu verlieren. Unternehmen versuchen diesbezüglich eine Lösung zu finden und arbeiten an Work-Life-Balance-Strategien, wobei einige Organisationen versuchen, sicherzustellen, dass diese niedergeschriebenen Richtlinien auch im Alltag angewendet werden. Unternehmen fürchten jedoch, dass sie durch den Fokus auf Work-Life-Balance wiederum für andere Top-Talente unattraktiver werden, die es schätzen, wenn man ihren überdimensionalen Beitrag positiv bewertet. Einige Organisationen, wie etwa im Bereich Unternehmensberatung und Investmentbanking, ziehen ihre Talente überhaupt erst durch ihr schwieriges Umfeld an. Unternehmen sollten sich jedoch bewusst sein, welche Verhaltensweisen ihrer Mitarbeiter sie belohnen, fördern und fordern (Hewlett & Luce, 2006, S. 59). Auch Hitt et al. (2007, S. 24) argumentierten, dass Anwaltskanzleien, die familienfreundliche Alternativen anbieten, möglicherweise talentierte Anwälte, die diese Optionen wünschen, für sich gewinnen und auch halten können. Dadurch können Kanzleien juristische Spitzentalente für sich gewinnen, die sonst gezwungen wären, zwischen Arbeit und Familie zu wählen, was nicht nur vorteilhaft für die Mitarbeiter ist, sondern dem Unternehmen auch einen Wettbewerbsvorteil bringen kann.
3.5.3 Auswirkungen auf die unterschiedlichen Generationen
In Bezug auf Work-Life-Balance gibt es auch generationsspezifische Unterschiede. Laut Definition von Twenge (2010, S. 207) gehören die zwischen 1925 und 1945 geborenen der Generation Silent und jene zwischen 1946 und 1964 den Babyboomers an. Danach folgte die Generation X mit den Personen, die zwischen 1965 und 1981 auf die Welt kamen. Die Generation Y, oder auch Generation Me oder Millenials genannt, wurden zwischen 1982 und 1999 geboren. Die jüngste behandelte Generation ist die Generation Z oder auch iGen genannt, die Personen umfasst, die ab 2000 geboren wurden.
Führungskräfte stehen in den nächsten Jahrzehnten vor vielen Herausforderungen und eine davon wird die Einstellung, Bindung und Motivation von jungen Mitarbeitern sein. Die Erkenntnisse zeigen, dass die Generation X und noch mehr die Generation Y schwieriger zu motivieren sind. Die meisten Studien zeigen, dass die Generation X und insbesondere die Generation Y Arbeit als weniger zentral in ihrem Leben ansehen, sie weniger bereit sind, hart zu arbeiten, Freizeit mehr schätzen und sie eine schwächere Arbeitsethik aufweisen als die Generationen der Babyboomers und der Silents. Das Institut für Familie und Arbeit stellte auf Basis von tausenden Arbeitnehmern in der USA fest, dass der Wunsch, einen Arbeitsplatz mit größerer Verantwortung zu haben, mit der Zeit zurückging. Viele Personen nannten als Grund dafür, dass sie nicht mehr Stunden arbeiten wollen (Twenge, 2010, S. 201ff).
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