Gelingt uns dies nicht, suchen wir uns im Außen solange Partner und Freunde, von denen wir uns erwarten, dass sie zumindest zu einem Teil die Leere, die wir in uns fühlen, ausfüllen können. Im Grunde genommen wählen wir unbewusst die Freunde und Partner, die sich genauso verhalten wie unsere Mütter und halten an diesen Beziehungen fest, auch wenn sie uns nicht oder viel zu wenig erfüllen. Unbewusst leben wir mit ihnen all die Programme, die wir uns als Abwehr-, Anpassungs- und Überlebensstrategien bereits in jungen Jahren angeeignet haben, um bloß nicht alleine zu sein, denn sonst müssten wir unsere eigene Leere fühlen und bewusst durch den Seelenschmerz und die damit verbundenen Gefühle tiefer Traurigkeit, die wir bislang verdrängt haben, gehen. Allzu leicht wählen wir nach einer Phase des ersten Verliebt-Seins und der daraus resultierenden Euphorie beseelt von dem Glauben, den richtigen Partner gefunden zu haben, unbewusst Beziehungsarrangements, die uns immer und immer wieder aufs Neue erleben lassen, dass da auch weiterhin ein unerfüllter Hunger nach der wahren Liebe in uns lebt.
Solange es beide Partner vermögen, sich hinsichtlich ihrer Bedürfnisse zu ergänzen bzw. einen für beide guten Mittelweg (Kompromiss) zu gehen, kann eine solche Partnerschaft sehr harmonisch und durchaus auch erfüllend sein. Doch der nach wahrer Liebe Suchende bleibt genauso ein Suchender wie ein Träumer ein Träumer bleibt. Und wenn die Seifenblase der Illusion von einer gesunden Beziehung zerplatzt, dann wird die traurige Wirklichkeit Realität. – Dann erkennen wir, dass sich beide Partner gefunden haben und zusammengeblieben sind, um immer und immer wieder ihr Symbiosetrauma unbewusst zu re-inszenieren, denn jeder von uns hat sein ganz eigenes Thema mit seiner Mutter. Jeder von uns hat ihre Präsenz in seinem Leben auf eine ganz eigene Art erfahren, erlebt und gefühlt. In diesem Prozess des Erlebens ähneln sich nicht einmal die Geschwister. Je nach Persönlichkeit und psychischer Standfestigkeit des Einzelnen wird es sehr unterschiedlich erlebt. Doch indem ich diesen Prozess so beschreibe, will ich keineswegs die Mütter anklagen, enttäuschen, kränken oder gar verbittern. – Ganz im Gegenteil. – Ich will unser aller Bewusstsein vielmehr dahingehend schärfen, wie wichtig die Aufgabe ist, Mutter zu sein, und an dieser Stelle betonen, dass ich fest davon überzeugt bin, dass jede Mutter stets ihr Bestes gegeben hat bzw. gibt, denn auch sie ist wiederum ein Kind ihrer eigenen Mutter, trägt ihre eigene Biografie in sich, sowie auch die Geschichte unserer Ahnen.
Nach Prof. Dr. Ruppert Frank lässt sich Trauma definieren als „ein Erlebnis, das das Ich des Betroffenen zum Verschwinden und seinen Willen zum Erlahmen bringt. Trauma bedeutet Aufgabe und Verlust des gesunden Ichs und des klaren Willens. Es führt zur Unterordnung unter ein „Wir“, das einem mehr schadet als nutzt, oder zur blinden Rebellion dagegen. Es führt zu endlosen symbiotischen Verstrickungen zwischen Menschen, die alle traumatisiert sind und den Weg daraus nicht mehr von alleine finden können.“
Transgenerationales Trauma – Generationsübergreifendes Trauma
Menschen, die Traumata aus der Eltern- oder Großelterngeneration in sich tragen, haben es neben ihren eigenen Erlebnissen und Gefühlen zusätzlich mit einer Flut von Gefühlen und Ereignissen zu tun, die nicht die ihren sind. Auch wenn wir versuchen diese irgendwie zu verarbeiten, so können wir dies nicht, denn wir können immer nur unsere eigenen Gefühle lösen. Diese fremden Gefühle, die wir da in uns aufgenommen haben, verhalten sich anders als unsere eigenen. Man könnte auch sagen: Sie führen unter ihren eigenen Vorzeichen ihr eigenes Leben in uns.
Woran lassen sich Trauma-Folgestörungen erkennen?
man kommt nicht mehr zur Ruhe, kann nicht mehr entspannen, innerer Stress
das Nervensystem ist permanent in Alarmbereitschaft
ausgebrannt-Sein und Erschöpfung
körperliche Schmerzen, chronische Entzündungen, schwaches Immunsystem
Gefühle tiefer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit
Schlafstörungen, erhöhte Wachsamkeit, Schreckhaftigkeit
Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Reizbarkeit
undefinierbare Ängste, Ärger und Wut
Zukunftsängste und Sorgen, pessimistische Haltung
Selbstvorwürfe, negatives Selbstbild
Schuld- und Schamgefühle
Alpträume und u. U. Lebensmüdigkeit
innere Antriebslosigkeit, zu keiner großen Entscheidung mehr fähig
…
In Wahrnehmungen und Gefühle übersetzt heißt dies, wie zum Beispiel bei mir: Warum habe ich immer wieder diesen Traum, in ein tiefes, schwarzes Loch zu fallen? – Was ist dieses Undefinierbare, dieses Schwarze, Düstere, Schwere in meinem Leben? – Was ist das für ein zähes Erbe, mit dem ich da angetreten bin? – Warum ist es mir nicht möglich von Grund auf glücklich zu sein? – Wo kommt sie her, meine tiefsitzende Angst vor dem Leben? – Was haftet ihr an? – Lebe ich denn überhaupt oder bin ich mehr ein Schatten meiner selbst? – Warum scheint mir Lebensfreude und Glück nicht einfach ebenso in die Wiege gelegt zu sein wie den anderen? – Warum habe ich das Gefühl mir alles so hart „erkämpfen“ zu müssen? – Ich bin so müde vom Kämpfen. – Ich mag nicht mehr. – Kämpfen, kämpfen, kämpfen! – Warum empfinde ich mein Leben als einen solchen Kampf? – ???
Ich trage in mir einen Schmerz, der meiner ist und doch nicht meiner. Er begleitet mich schon seit meiner Kindheit. Genau wie die Gefühle von tiefer Traurigkeit, Ohnmacht und ein starkes innerliches Aufgewühlt-Sein. – Bloß nicht schwach sein. Bloß keine Gefühle zeigen. Das kommt nicht gut. Gefühle müssen kontrolliert werden. Mein Weinen, meine Schwäche. – Bloß nicht auffallen, nicht laut sein, sich am besten gar nicht zeigen. Funktionieren ist wichtig. – Schon als Kind und Jugendliche fühlte ich mich oft sehr einsam und allein. Die Einsamkeit zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Ich kann mitten unter Menschen sein und fühle mich dennoch so allein. Manchmal ist meine Ohnmacht so groß, dass ich nicht sprechen kann. So konnte ich zum Beispiel meinen Eltern, aber auch meinem Ex-Mann, nie wirklich sagen, was mich beschäftigte. Ihre Welt war nicht wirklich meine Welt. Und ihnen erging es mit mir wohl ebenso. So war ich stets viel mit meinen Gedanken allein. Auch heute noch. …
„Die Seele ist nicht grenzenlos belastbar.“
Bettina Alberti
Die Seele ist nicht grenzenlos belastbar. – Dass dem so ist, das habe ich leider zu spät gemerkt. Solange ich denken kann, war eine gewisse Härte mir selbst gegenüber an der Tagesordnung. Bloß nicht zu weich und nachsichtig mit sich selbst sein. Möglichst keinen Stress machen. Angesagt sind Funktionieren und Disziplin! Das hatte ich gelernt. Das war mir vertraut. Was ich jedoch meiner Seele damit antat, das war mir nicht bewusst. Für mich war es ein ganz normaler Wahnsinn, so unsanft mit mir selbst zu sein. Ich war der Überzeugung, das gehört so zum Erwachsensein dazu. Doch das Leben wollte mich anderes lehren. Irgendwann – genau genommen mit dem Tod meines Bruders – kam ich mit allem nicht mehr zurecht. Schließlich kam meine Seele gemeinsam mit ihm in dieses Leben und gemeinsam mit ihm wollte sie auch wieder zurück. Für begrenzte Zeit konnte ich noch ganz gut funktionieren, dann aber kollabierte meine Seele. Ich fühlte mich nur noch leer. Eine leere menschliche Hülle. Ein Körper ohne Leben. Sich bloß im Außen nichts anmerken lassen. Stärke zeigen …
Oft haben wir die Traumata unserer Eltern und Großeltern schon so früh in unserer Kindheit aufgenommen, dass wir uns ihrer gar nicht bewusstwerden, weil sie schon von Anfang an in unserem System heimisch geworden sind. Mitunter versuchen wir vielleicht schon seit Jahren/Jahrzehnten ihrer habhaft zu werden, sie irgendwie auszugleichen und zu kompensieren, nur gelingt uns dies nicht. Stattdessen nehmen wir sie als Energieräuber, als Angst auslösend oder gar depressiv machend wahr und haben immer wieder ein Gefühl, als würden wir über einem dunklen Abgrund hängen. Die unverarbeitete übernommene Trauer kann sich uns zum Beispiel auch dadurch zeigen, dass wir zwar viel weinen, aber nicht wie üblich nach dem Weinen eine Erleichterung verspüren, sondern eher noch das Gefühl haben, noch tiefer in eine nicht enden wollende Traurigkeit abzurutschen. – So sehr uns diese Gefühle belasten und in die Knie zwingen, sind sie dennoch kaum greifbar für uns. Gelingt es uns nicht, ihrer trotz innerer Arbeit und Reflexion habhaft zu werden und sie aufzulösen, dann ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass es die Energien und Traumata unserer Eltern und Ahnen sind, denn wären es unsere eigenen Belastungen und die daraus resultierenden Energien, dann könnten wir sie uns bewusst machen und lösen.
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