„Kann ich mitkommen? Ich hab ja kein Auto.“
„Warum nicht? Was zieht dich in unsere schöne Bezirkshauptstadt?“
„Ich möcht Babysachen einkaufen.“
„Ah! Bub oder Mäderl?“
„Weiß ich noch nicht.“
„Dann wird’s aber schwierig.“
„Vielleicht einen Kinderwagen?“
„Und wenn dann Zwillinge kommen? Oder gar Drillinge?“
„Herr Bürgermeister!“
„In meiner Position, Simon, muss man immer mit allem rechnen.“
Am frühen Nachmittag kam Polt aus Breitenfeld zurück, packte eine allerliebste Plüsch-Katze aus und zeigte sie seinem mäßig interessierten Kater. „Kleinstkindgeeignet, Czerno! Keine Knopfaugerln zum Verschlucken, lutsch- und saugfest.“ Dann ging er daran, eine Gesprächsrunde für den Abend zu organisieren. Zuvor telefonierte er noch mit Ernst Höllenbauer und fragte ihn, ob er ein paar Leute in den Keller einladen dürfe. Na klar, war die Antwort, und er solle die Männer nur ja nicht verdursten lassen. Sepp Räuschl und Friedrich Kurzbacher nahmen die Gelegenheit, dem abendlichen Alltag zu entgehen, gerne wahr, Norbert Sailer hatte dienstfrei und versprach zu kommen, und der Bürgermeister war schon im eigenen Interesse dabei.
Polt nutzte seine neuen Geschäftsbeziehungen und erwarb bei Frau Habesam eine Kellerjause zum Vorzugspreis: Selchfleisch, Speck, Blutwurst und einen Laib Schwarzbrot.
Gegen Abend packte er alles zusammen, füllte Czernohorskys Fressnapf und ging durch die Halle, in der neuerdings lange Reihen metallisch schimmernder Weinbehälter standen. Weiter über den begrünten Innenhof mit dem altmodischen Säulengang, der Trettn, nach vorne zur Straße hin. Als er den großen Kellerschlüssel vom Haken hinter dem Hoftor nahm, war ihm merkwürdig zumute. Für heute war er, Simon Polt, der Weinbauer, der Schatzmeister im Keller. Eine gute Stunde vor der vereinbarten Zeit sperrte er das Presshaus auf, stellte die Tasche ab und ging nach draußen, wo linker Hand wenige Stufen zur Kellertür hinabführten, hinter der es viele Stufen gab, zweiundvierzig, um genau zu sein.
Die Innenseite der Tür war nass um diese Zeit, in der es im Freien allmählich wärmer wurde als im Keller, der seine zwölf, dreizehn, vierzehn Grad das ganze Jahr über bewahrte. Seit er die Familie Höllenbauer kannte, seit über zwanzig Jahren also, war Polt unzählige Male diese Stufen nach unten gegangen, diese in hunderten von Jahren krumm und rundkantig gewordenen Ziegelreihen, die sich durch die Schuhsohlen spüren ließen und lautlos alte Geschichten immer wieder neu erzählten. Im Keller angekommen, betrachtete Polt die großen, nach wie vor sorgsam gepflegten Fässer und wusste, dass die meisten davon leer waren und für immer leer bleiben würden. Er tastete sich langsam in einen verwinkelten, nicht gewölbten Bereich des Kellers vor. Dunkel war es hier. Aus Spalten im Löss drangen feine Wurzeln, dort, wo die Nässe Eisenanteile im Sand rosten ließ, gab es rötliche Flächen in vielen Schattierungen, Pilze und Flechten schimmerten feucht. Als sich seine Augen an diese beinah lichtlose Welt gewöhnt hatten, erkannte Polt Namen und Zeichnungen, eingeritzt oder sorgfältig graviert. Er dachte daran, dass er vor vielen Jahren am Ostermontag mit Karin Walter hier unten gestanden war, sehr aufgeregt und sehr verliebt. Na gut, verliebt war er noch immer, aber anders verliebt. Und dann dieser Geruch, dieser erdige, holzige, feuchte Geruch: jenseitig irgendwie, weihevoll, aber auch sinnlich, betörend sinnlich. Polt wandte sich wieder dem großen Kellergewölbe zu und ging an den Fässern vorbei, bis er einen fast sakral wirkenden Raum unter einem aufwändig gemauerten Gewölbe erreichte. Er nahm ein paar Flaschen aus den Wandnischen und stellte sie zurecht. Hier war ein guter Platz zum Reden und Kosten.
Wieder im Presshaus, wusch Polt Gläser aus, legte die Kellerjause auf ein Holzbrett, trug alles nach unten und wartete.
Räuschl und Kurzbacher kamen gemeinsam. Diesmal waren sie viel zu früh dran. Polt hatte es noch nie erlebt, dass sich die beiden an eine Uhrzeit hielten. Jene Zeit, die sie als zeitgerecht empfanden, ließ sich nicht in Zifferblätter sperren. Norbert Sailer war pünktlich, wie es seiner präzisen Denkweise entsprach, und der Bürgermeister kam zu spät, um seine Bedeutung zu unterstreichen. Er grüßte beiläufig und trat auf Norbert Sailer zu. „Was gibt’s Neues mit deiner Leich?“
„Nichts Aufregendes, Herr Bürgermeister, und nicht einmal das kann ich erzählen. Bezirksinspektor Priml führt die Ermittlungen und er wäre zu Recht verärgert, wenn ich Informationen unters Volk bringe, noch dazu als Betroffener.“
„Dann eben nicht.“ Frischauf blickte animiert in die Runde. „Also! So ungefähr werdet ihr ja schon Bescheid wissen. Ich fasse das Wesentliche kurz zusammen.“ Er redete dann ziemlich viel und wandte sich endlich an Simon Polt. „Und? Was jetzt?“
„Kosten wir erst einmal. Ein Grüner!“ Polt öffnete die Flasche, roch prüfend am Korken, füllte die Gläser und hob das seine gegen das Licht. „Die Farbe passt, würd ich meinen.“ Er führte das Glas zur Nase. „Und er riecht doch glatt so, wie er riechen sollte.“
Sepp Räuschl warf Friedrich Kurzbacher einen schnellen Blick zu. „Na, na!“
Dann wurde gekostet. Ein Schweigen folgte, das Polt ein wenig unruhig werden ließ. Dann hob der Kurzbacher den Kopf. „Das ist aber keiner aus dem Vorjahr.“
„Doch, Friedrich, doch.“
„Der Ernstl versteht was vom Wein, aber zaubern kann auch er nicht.“
Polt grinste. „Nein, kann er nicht. Ich erzähl einfach, was ich mitbekommen hab beim Helfen. Erst einmal ist er so vorgegangen wie du auch.“
„Na also. Und dann?“
„Hat er ihn eineinhalb Tage auf der Maische stehen lassen, zur Fermentation. Vor dem Pressen dann Aktivkohle, und in den Most so ein Pulver …, wart, ich hab’s: Degustin. Aber da war noch was …“
Norbert Sailer hob sein Glas und trank ein zweites Mal. „Prepur wahrscheinlich, Simon, das nimmt die Gerbstoffe heraus.“
Räuschl schnaubte empört. „Alles Chemie.“
„Kasein, Sepp, halb so schlimm. Und dann war der liebe Ernst Höllenbauer auch noch sehr vorsichtig mit dem Aufzuckern …, da wird schnell einmal das Aroma dünn. Was ist mit dem Roten, Simon?“
Polt öffnete eine Flasche Blauen Portugieser. „Sogar in diesem Teufelsjahr ein hoher Ertrag, obwohl kräftig ausgedünnt worden ist. Aber die Trauben sind nicht richtig reif geworden. Der Most war viel zu hell. Der Ernstl hat mit Blauburger nachgeholfen. Jetzt passt die Farbe.“
„Nicht nur die Farb.“ Sepp Räuschl setzte sein Glas ab. „Und was jetzt?“
„Ein Gelber Muskateller. Na, das war vielleicht ein Kampf gegen die Säure im Most!“
Als alle gekostet hatten, ergriff wieder Norbert Sailer das Wort. „Also da ist ihm was gelungen, deinem Freund und Quartiergeber, Simon! Elegant und duftig, dieser Wein, nicht so stark und aufdringlich wie in den vergangenen Jahren. Irgendwelche Gegenstimmen?“
Alle schwiegen beifällig, dann leerte der Bürgermeister ungeduldig sein Glas. „Ans Werk, meine Herren! Wir müssen strategisch denken! Hölzerne Weinpressen, die noch verwendet werden, gibt es meines Wissens nur noch in deinem Keller, Norbert, und in deinem, Sepp, also im unteren Drittel der Kellergasse und ziemlich weit oben. Was gibt’s ganz unten, am Anfang herzuzeigen? Weißt du was, Simon?“
„Na ja, vielleicht. Da geht der alte Hans Hornung noch Tag für Tag in den Keller.“
„Perfekt. Dem verpassen wir einen Freund, der auch nicht viel jünger ist. Also: Hans Hornung steht in der Presshaustür, der Herr Kurzbacher gesellt sich zu ihm, und die zwei reden von alten Zeiten. Dann kommt ein Fremder, da nehmen wir meinen Wiener Schwiegersohn, und der lässt sich erzählen.“
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